Die enttäuschenden Wachstumsprognosen der Wirtschaftsforscher von weniger als 1% für heuer und 1,2% bis 2% für 2004 verdüstern zwar auch weiterhin den Wirtschaftshorizont, sie verzerren aber die ökonomische Realität in unangemessener Weise. Konjunktur und potentielle Wirtschaftskraft sind zwei grundverschiedene Facetten, die nichts miteinander zu tun haben. Konjunkturwellen kommen und gehen, gesunde Strukturen aber bleiben bestehen.
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Insbesondere kleine Länder sind einer schwachen Weltkonjunktur fast wehrlos ausgeliefert - und seien sie fundamental noch so stark. Solange unsere drei wichtigsten Handelspartner Deutschland, Italien und die Schweiz, die zusammen mehr als die Hälfte unserer Außenwirtschaft dominieren, selbst an nahezu totaler Stagnation leiden, kann es keinen zügigen autonomen Aufschwung für Österreich geben. Trotzdem starrt die Öffentlichkeit wie gebannt nur auf die Konjunktur und übersieht oder verdrängt alle aussagekräftigeren Elemente unserer fundamentalen Stärke wie hohe Produktivität, überlegene industrielle Dynamik, hervorragende Exportperformance, dramatische Aktivierung der Handels- und Leistungsbilanz, sowie vor allem nachhaltige Erfolge im internationalen Einkommensvergleich.
Wirtschaftswachstum
Seit der letzten Hochkonjunktur (2000: +3,5%) ist die Wirtschaft (bis 2002) kaum noch um bescheidene 2% weiter gewachsen. Trotzdem kann von einer "Rezession" keine Rede sein. Hinter dieser mageren Gesamtbilanz verbergen sich indessen positive Aspekte von großer Tragweite, vor allem im Vergleich mit den oft angepriesenen "Vorzeigemodellen" USA, Schweden, Finnland, Holland und Schweiz. Je schwächer die Konjunktur, umso besser behauptet sich Österreich vergleichsweise gegenüber allen genannten Vorbildern, insbesondere gegenüber den USA. Im realen Pro-Kopf-Einkommen ist Österreich den USA bis auf 23% nahe gerückt (1990 waren es noch 36% und 1950 sagenhafte 190%).
Auch der einst gewaltige Vorsprung der Schweiz von 140% (1950) wurde seither auf Bruchteile dezimiert (1990: 13% und 2002: 4%). Der technologische Aufholprozess von Schweden und Finnland scheint nunmehr wieder zu erlahmen. Der signifikante Rückstand der Skandinavier zu Österreich scheint sich nunmehr bei 6 bis 7% stabilisiert zu haben. Auch das holländische "Poldermodell" hat seinen Nimbus verloren. Österreich liegt nunmehr mit Holland wieder gleichauf. Generell gibt es nicht das geringste Indiz für Positionseinbußen Österreichs im EU- und OECD-Raum.
Preisstabilität
Dank hoher Produktivität und verantwortungsbewusster Einkommenspolitik gehört Österreich schon seit 50 Jahren zu den preisstabilsten Ländern der Welt. Derzeit liegt die mittelfristige Preisrate um etwa 0,5% p. a. unter dem EU-Durchschnitt. Diese erfolgreiche Preispolitik schuf nicht zuletzt die Voraussetzung für die günstigsten Lohn-Stück-Kosten seit der letzten Währungsabwertung von 1953 ("Kamitz"), die unseren wirtschaftlichen Aufstieg bis heute ermöglicht hat, vor allem dank der Sozialpartnerschaft.
Arbeitslage
Trotz Konjunkturrückschlag ist unsere etwas überdramatisierte Arbeitslage besser als ihr Ruf. Allein zahlenmäßig gibt es weltweit maximal drei bis vier Länder mit einer Arbeitslosenrate von weniger als unseren 4,2%. 1998 waren es trotz viel besserer Konjunktur noch 4,5%. Ein überzeugender Beweis für strukturellen Fortschritt, zumal auch die mittlere Dauer der Arbeitslosigkeit demnach qualitativ noch erträglicher ist als quantitativ. Im Konjunkturaufschwung 1998 bis 2000 sank die Rate sprunghaft von 4,5% (1998) auf 3,6% (2001). Im (hoffentlich) nächsten Aufschwung erscheint daher eine vergleichbare Entlastung um etwa 1% durchaus möglich.
Leistungsbilanz
Seit vielen Jahrzehnten war die Leistungsbilanz oft ein hartnäckiger Problemfall. Insbesondere die Handelsbilanz war seit 90 Jahren (1912) chronisch defizitär und erreichte im langfristigen Durchschnitt (seit 1955) ein Ausmaß von runden 5% des BIP. Sie konnte nur mühevoll durch den Fremdenverkehr und sonstige Dienstleistungen finanziert werden. Nunmehr ist dank unseres oft unterschätzten Strukturwandels und Modernisierung auf allen Ebenen offenbar ein endgültiger Durchbruch zu einer Industrienation höchster Ordnung gelungen.
Die sensationelle Aktivierung der Handelsbilanz kann auch durch Importrückgänge nicht erklärt werden, weil gleichzeitig trotz Flaute neue Exportrekorde erzielt wurden mit dem Ergebnis der Eroberung des höchsten Weltmarktanteils Österreichs aller Zeiten. Allein in den letzten Jahren (2001/2002) hat Österreich seinen Marktanteil im OECD-Raum um satte 14% ausgeweitet, die EU nur um 6% und die USA, Schweden, Finnland und Holland haben Anteile eingebüßt.
Staatshaushalt
Trotz der Konjunkturschwäche seit 2000 ist die Sanierung der Staatsfinanzen, wenn auch verzögert, auf gutem Wege. Auch wenn derzeit das mittelfristig angestrebte "Nulldefizit" konjunkturbedingt außer Reichweite steht, sind die erreichten Fehlbeträge von 1,2% des BIP für heuer und 1% für 2004 viel harmloser als in den meisten anderen EU-Ländern und nur halb so hoch wie im EU-Durchschnitt. Die Budgetsanierung begann bereits 1995 bei einem Defizit von 5% und gelang weit überwiegend durch Senkung der Ausgabenquoten und nur geringfügig durch Erhöhung der Einnahmequote. Das Geheimnis der im Grunde eher schmerzfreien Drosselung der Ausgabenquote seit 1995 besteht nur ausnahmsweise in absoluten Ausgabenkürzungen, sondern vielmehr im Einfrieren von Ausgaben durch konsequente Abkoppelung vom Wirtschaftswachstum (keine Valorisierung von Pensionen, Familienbeihilfen und Sozialausgaben aller Art). Die Große Steuerreform (2005) setzt allerdings einen neuen Konjunkturaufschwung voraus, soferne der Staatshaushalt nicht neuerlich außer Kontrolle geraten soll.
Schlussfolgerungen
Dass die Stimmung derzeit erheblich schlechter ist als die Lage erklärt sich aus der mentalen Überbewertung kurzfristiger konjunktureller Schwächen bei gleichzeitiger Unterbewertung bzw. gezielter Verdrängung aller längerfristigen, viel wichtigeren strukturellen Erfolgen auf allen Ebenen. Diese kontraproduktive Mentalität verschärft unnötigerweise jede seriöse Reformdiskussion über Verteilungsfragen, die prinzipiell immer nur von statischen Verhältnissen ausgehen. Je stärker hingegen das Produktivitätswachstum desto effizienter und schmerzloser gelingen dringend notwendige Reformschritte. Genau diesen Bonus kann Österreich erfahrungsgemäß besser lukrieren als die Konkurrenz. Was die negativ besetzten "weichen" Indikatoren betrifft wie Steuerquote, Schuldenlast, Beamtendichte usw. sollte man bedenken, dass deren Qualifikation umstritten ist. Unsere weltweit von allen anerkannte hohe Lebensqualität ist zum "Nulltarif" nicht zu haben. Wie die Beispiele USA, Skandinavien und Österreich zweifelsfrei beweisen, besteht ein untrennbarer Zusammenhang zwischen öffentlichem Dienst und Lebensqualität im weitesten Sinne (Gesundheit, Alterversorgung, Umweltqualität, Kriminalität und Lebenserwartung).
Professor Dr. Anton Kausel leitete von 1956 bis 1973 die Abteilung Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und Öffentliche Finanzen im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Anschließend war er im ÖSTAT tätig. Von 1981 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1984 bekleidete er dort das Amt des Vizepräsidenten.