Der Osterhase ist eigentlich eine komplette Fehlbesetzung.
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Berlin. Der Osterhase ist eigentlich eine komplette Fehlbesetzung. Schließlich sieht sein Stellenprofil vor allem eine Aufgabe für ihn vor: Leckereien verstecken. Und dafür sind Feldhasen einfach nicht qualifiziert. Denn statt ihr vegetarisches Menü irgendwo zu verbergen, fressen sie es lieber direkt auf. Für österliche Versteckspiele hätte die Tierwelt also ein paar deutlich bessere Kandidaten zu bieten.
Viele davon stellen ihre Talente aber nicht zu Ostern, sondern eher im Herbst unter Beweis. Eichhörnchen etwa verbringen dann täglich Stunden damit, Nüsse und andere Nahrung für den Winter in Astgabeln und Rindenspalten zu deponieren oder im Boden zu vergraben. Auch Eichelhäher machen sich viel Arbeit, wenn sie ihre Wintervorräte an den verschiedensten Stellen verbergen. So hat ein einziger Vogel in Sachsen-Anhalt in nur drei Wochen nachweislich 2200 Eicheln versteckt. In anderen Studien kamen einzelne Vögel sogar auf bis zu 5000 Exemplare.
Ähnlich fleißig ist auch der Tannenhäher Nucifraga caryocatactes, der in den Alpen und anderen nadelwaldreichen Regionen vorkommt. Geschickt pickt er die Kerne aus den Zapfen der Zirbelkiefer und verstaut sie in bis zu 10.000 Verstecken.
Diese dezentrale Lagerung hat einen großen Vorteil: Sollten andere hungrige Eichel- oder Nussfans ein Versteck entdecken und plündern, ist nicht gleich der ganze Wintervorrat dahin. Jedoch hat die Sache auch einen Haken. Irgendwie muss man seine Schätze ja auch wiederfinden. Und das ist schwieriger, wenn sie statt in einer zentralen Vorratskammer in hunderten von Verstecken lagern.
Wenn sie mit knurrendem Magen eines ihrer Depots aufsuchen wollen, lassen sich Säugetiere gern von ihrer Nase leiten. Vögel dagegen merken sich markante Wegweiser wie Steine, Bäume und andere Besonderheiten der Landschaft. Vor allem die Rabenverwandtschaft kann sich dabei nicht nur auf ihr gutes räumliches Orientierungsvermögen verlassen, sondern auch auf ein sehr gutes Gedächtnis. So haben Russell Balda von der Northern Arizona University und Alan Kamil von der University of Massachusetts das Erinnerungsvermögen des Kiefernhähers Nucifraga columbiana getestet. Diese Vögel, die in den Kiefernwäldern im Westen Nordamerikas leben, konnten sich noch nach mehr als neun Monaten ziemlich genau an ihre Futterverstecke erinnern.
Ökologisch ein Glück
Auch ein echter Gedächtniskünstler aber kann sich nicht alles merken. Das ist ökologisch gesehen ein Glück. Denn aus den vergessenen Samen keimen neue Bäume. Arten wie Eichelhäher, Tannenhäher und Eichhörnchen spielen daher eine wichtige Rolle für die Samenverbreitung und die Verjüngung von Wäldern. So könnte sich die Zirbelkiefer ohne die Aktivitäten des Tannenhähers wohl nur talwärts ausbreiten. Da ihre schweren, ungeflügelten Samen mit dem Wind nicht weit kommen, brauchen sie für den Weg bergauf ihre gefiederten Transporteure. Und die verhungern auch dann nicht, wenn sie nicht jedes ihrer zahlreichen Verstecke leeren. Zumal man seinen Hunger ja nicht nur mit eigenen Vorräten stillen muss. Gerade Rabenvögel fallen durch diebisches Verhalten auf. Der Westliche Buschhäher Aphelocoma californica muss jederzeit mit Artgenossen rechnen, die seine Futterverstecke ausspionieren und plündern wollen. Das gilt es zu verhindern. Also wechseln die nordamerikanischen Rabenvögel manchmal die Verstecke. Dabei analysieren sie sehr genau, ob eine solche Vorsichtsmaßnahme nötig ist.
Mit einer Reihe von Tests hat Joanna Dally von der University of Cambridge in Großbritannien festgestellt, dass sich die Tiere beim Verstecken darüber im Klaren sind, wer sie beobachtet. An den Blicken ihres Partners stören sie sich dabei nicht, der bekommt oft einen Happen ab. Schaut aber ein anderer Artgenosse zu, wählen die Vögel von zwei möglichen Verstecken fast immer das am weitesten vom Spion entfernte. Dadurch kann dieser nicht so genau erkennen, was vor sich geht. Ihr weiteres Verhalten machen die Vögel dann vom Status ihres Beobachters abhängig.
Auch Kolkraben setzen auf Verwirrspiele, um andere von ihren Schätzen fernzuhalten. Thomas Bugnyar und sein Team von der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle Grünau und der Universität Wien staunen immer wieder darüber, wie raffiniert die Tiere sind. So berücksichtigen die Vögel sehr genau den Informationsstand ihrer Artgenossen. Wenn es ans Plündern geht, nehmen sie sich zuerst die Depots vor, die auch ihre Gefährten kennen. Um selbst einen Happen zu verstecken, passen sie gerne einen unbeobachteten Moment ab.
Die Tricks der Raben
Fühlen sie sich aber im Visier von Konkurrenten, versuchen sie ein Täuschungsmanöver. In einem Versuch der heimischen Forscher wussten die Tiere zwar genau, unter welcher von mehreren Dosen ein Leckerbissen versteckt war. Doch unter den indiskreten Blicken der übrigen Raben holten sie ihn nicht sofort hervor. Also lockten sie potenzielle Diebe erst einmal zu einer leeren Futterbüchse. Und während die reingelegte Konkurrenz noch an der falschen Stelle suchte, holten sie gefahrlos ihren Snack aus dem richtigen Versteck.
Selbst die Forscher verlieren da schon mal den Überblick. So glaubte Christian Schloegl von der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle eines Tages genau gesehen zu haben, wie ein Rabenweibchen einen Leckerbissen von einem Versteck in ein anderes schaffte. Doch als der Forscher dort nachsah, war das Depot leer. Das Tier hatte den Versteckwechsel nur vorgetäuscht.
Vielleicht wären Raben als Osterboten ja doch nicht die beste Wahl. Sie sind einfach zu clever. Schließlich will man ja auch nicht bis Pfingsten suchen, bis alle Ostereier gefunden sind.