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Konkurrenz für die Finanzlobby

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Wirtschaft

Finance-Watch tritt gegen die Finanzbranche an. | Gegenexpertisen für Parlament und Kommission. | Abgeordnete hatten um Hilfe gerufen. | Brüssel. Schon in naher Zukunft soll es die Finanzlobby in Brüssel nicht mehr ganz so einfach haben wie bisher. Denn stets waren es die Vertreter der Finanzindustrie selbst, welche die EU-Kommission und die Europaparlamentarier beraten haben, wenn es um neue EU-Gesetze zur Regulierung und Aufsicht des Finanzsektors ging. Dagegen will demnächst die hoch spezialisierte NGO Finance-Watch antreten.


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Ihre Gründung Ende Mai ist die Folge eines Aufrufs von 22 EU-Abgeordneten von letztem Juni. Weil es für sie unmöglich war, Gegenexpertisen zu den Ausführungen der Finanzlobbyisten zu erhalten, riefen sie die Zivilgesellschaft zur Hilfe.

Knapp 30 NGOs haben sich daher zusammengeschlossen, um Finance-Watch aus der Taufe zu heben. Darunter befinden sich neben Transparency International, Oxfam, dem Europäischen Gewerkschaftsbund und dem Tax Justice Network auch das Ökosoziale Forum Europa aus Österreich. An der Spitze des neuen rund zwölfköpfigen Expertenteams steht mit Thierry Philipponnat ein erfahrener ehemaliger Investmentbanker. Mehr als 20 Jahre habe er selbst in der Finanzbranche gearbeitet, erzählt er der "Wiener Zeitung" - etwa für die UBS in London und die französische Großbank BNP Paribas in Paris. Schließlich war er von der Euronext-Börse abgeworben worden und dort als Vorstand für den Handel mit Terminkontrakten und Derivaten verantwortlich.

"Die Finanzindustrie ist intellektuell interessant und sehr dynamisch. Das habe ich gemocht", sagt Philipponnat. "Doch wurde mir immer mehr bewusst, dass viele Finanzgeschäfte in sozialer und gesamtwirtschaftlicher Hinsicht keinen Sinn ergeben."

Das Gesamtbild zählt

Zwar liege es in der Natur von demokratischen Gesellschaften, dass Gesetzgeber Zurufe von zahlreichen Akteuren erhalten, die ihre Eigeninteressen vertreten, meint Philipponnat. Dabei handle es sich aber stets nur um eine Seite. Und EU-Mandatare könnten ihre Aufgabe als Gesetzgeber nur dann ordentlich erfüllen, wenn sie über das Gesamtbild verfügen, sagt der 49-jährige Finanzexperte. "In einer gesunden Demokratie sind auch Gegenargumente nötig." Ein besonders erschreckendes Beispiel für einseitiges Lobbying: Das EU-Parlament habe im März dafür gestimmt, die Spekulation auf Kreditausfallsversicherungen (Credit Default Swaps/CDS) für Staatsanleihen zu verbieten, die im Vorjahr die Kreditaufnahmekosten etwa für Griechenland und Irland in die Höhe getrieben haben. Nur noch zur tatsächlichen Absicherung von Außenständen sollten die CDS erlaubt bleiben. Weil die Entscheidung der Mitgliedstaaten aber noch ausständig war und den Beschluss des Parlaments noch kippen könnte, habe umgehend Gegenlobbying eingesetzt, erzählt Philipponnat. In einem Zeitungsartikel habe der Generaldirektor des weltweiten Lobbyverbands für den Derivatenhandel ISDA in der "Financial Times" erklärt, dass das Verbot die Finanzierungskosten für die europäischen Länder deutlich erhöhen und daher die Steuerzahler belasten werde.

Künftig müsse Finance-Watch in einem solchen Fall rasch mit einem FT-Artikel antworten, in dem sinngemäß steht: "Entschuldigen Sie, Herr Generaldirektor, aber was Sie schreiben, ist vollkommen falsch und das Gegenteil der Wahrheit." Stattdessen habe der britische EU-Botschafter kurz darauf einen Aufsatz im "Wall Street Journal" geschrieben, in dem er exakt die ISDA-Argumentation übernommen habe. Mit diesen Lobbying-Aktionen sollten die Mitgliedstaaten bewogen werden, die Entscheidung des Parlaments zu kippen, so Philipponnat.

Rund 200 Unterstützer

In einem anderen Fall habe der Parlamentsberichterstatter für die Regulierung alternativer Investmentfonds, der französische Konservative Jean-Paul Gauzès, 193 Treffen mit Vertretern von Banken, Hedgefonds und Private Equity Fonds gehabt. Alle hätten ihm erzählt, wie nützlich so wenig Regulierung wie möglich für die Gesellschaft sei. Gauzès habe niemanden gefunden, der ihm die andere Seite der Geschichte erzählte, und sei daher einer der 22 Abgeordneten, welche den Aufruf an die Zivilgesellschaft lanciert hatten.

Inzwischen unterstützen laut Philipponnat rund 200 Mandatare die Gründung von Finance-Watch. Als österreichische Vertreter im EU-Parlament haben bisher SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried, seine Parteifreundin Evelyn Regner, die Grünen Abgeordneten Ulrike Lunacek und Eva Lichtenberger und der unabhängige Mandatar Hans-Peter Martin unterschrieben.