Zum Hauptinhalt springen

Konservative auf Kurssuche

Von Alexander Dworzak

Politik

US-Fiskalstreit: Republikanischer Lobbyist gegen Steuererhöhungen stimmt Deal zu.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Washington. Alles andere als druckreif waren eigentlich John Boehners Worte, welche die ganze Anspannung und Verbissenheit im Fiskalstreit demonstrieren: "Go fuck yourself", fauchte der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses den demokratischen Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, in einer Verhandlungspause an. Nicht minder hart geführte Debatten stehen nach der Einigung im Fiskalstreit zwischen Präsident, Senat und Repräsentantenhaus bei den Republikanern selbst an - es geht immerhin um die Deutungshoheit in der sogenannten "Großen Alten Partei".

Nachdem der Senat bereits zugestimmt hatte, votierten in der Nacht auf Mittwoch 257 Abgeordnete des republikanisch dominierten Repräsentantenhauses für den Gesetzesentwurf, lediglich 167 lehnten ihn ab. Im Kern sieht das Maßnahmenpaket vor, dass US-Bürger mit mehr als 400.000 Dollar Jahreseinkommen oder Paare, die über 450.000 Dollar verdienen, künftig mehr Steuern zahlen müssen - der Spitzensteuersatz steigt von 35 auf 39,6 Prozent. Dass neben 172 demokratischen Abgeordneten auch 85 Republikaner den Gesetzesentwurf durchwinkten, bringt die Konservativen in interne Turbulenzen.

Pragmatismus und Opportunismus siegten mit dem Abstimmungsergebnis über fiskalpolitischen Fundamentalismus. Traditionell sträubten sich die Republikaner gegen jegliche Steuererhöhungen; 95 Prozent der Abgeordneten im Repräsentantenhaus haben gar einen Eid abgelegt, dergleichen nicht zuzustimmen. Erfinder und Propagandist dieses "Schwurs" ist Grover Norquist. Der eingefleischte Anhänger von Ex-Präsident Ronald Reagan führt als einflussreicher Lobbyist die Gruppe "Americans for Tax Reform". Als die Fiskalklippe drohte - und damit massive Steuererhöhungen -, schwenkte Norquist um. Neue Sprachregelung: Technisch gesehen werde der Eid nicht verletzt, weil Steuersenkungen für die Mittelschicht aus der Ära von Obamas Vorgänger George W. Bush dauerhaft verankert werden, versuchte sich Norquist in gesichtswahrenden Erklärungen. Am Tag der Abstimmung schickte er nicht weniger als zwölf Meldungen über den Kurznachrichtendienst Twitter ab, um seine Position zu erklären.

Wende um 180 Grad

An der Niederlage der Anti-Steuer-Bewegung besteht jedoch kein Zweifel: 620 Milliarden Dollar werden in den kommenden zehn Jahren zusätzlich über höhere Steuern eingenommen, während Ausgabenkürzungen vergleichsweise magere zwölf Milliarden Dollar zusätzlich einbringen sollen. Die republikanischen Abstimmungs-Renegaten vollziehen damit eine radikale Kehrtwende: Noch 2011 vereitelten sie anlässlich des damaligen Steuerstreits, dass Steuerschlupflöcher für Firmen in Milliardenhöhe geschlossenen wurden.

Ob sich die Abgeordneten dauerhaft von Norquists Eid abwenden und finanzpolitisch kompromissbereiter agieren, bleibt abzuwarten. An der Spitze der Republikaner herrscht derweil Uneinigkeit: Während Fraktionsvorsitzender Boehner das Gesetzesvorhaben mittrug, stimmten seine Partei-Stellvertreter Eric Cantor und Kevin McCarthy mit Nein - ebenso wie die Senatoren Marco Rubio und Rand Paul. Beide gelten als mögliche Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen 2016. Hingegen votierte Paul Ryan, gescheiterter Kandidat als Vizepräsident unter Mitt Romney 2012, für den Budget-Kompromiss. Die Republikaner sind also tief gespalten.

Neues Motto: Family first

Konservative Blogger trommeln bereits für gänzlich neue Ansätze. Man müsse populistischer sein und eine Agenda für die Familie schaffen, anstatt sich nur mit der Frage nach Steuersenkungen zu beschäftigen, plädiert Erick Erickson im Online-Portal "RedState". 40 Prozent der Kinder würden in außerehelichen Verhältnissen geboren und seien wesentlich stärker armutsgefährdet. Dementsprechend müsse die Stellung der Familie wieder gestärkt werden, so die Forderung.

Gestärkt geht jedenfalls Präsident Barack Obama aus der jetzigen Konfrontation. Seit dem Kampf um die Wiederwahl setzt er die Republikaner mit dem Diktum unter Zugzwang, diese seien lediglich eine Partei der Reichen - ein auch dieses Mal gern gebrauchtes Argument. Vollends zufrieden kann aber auch Obama nicht sein. Denn ein zentrales Versprechen seines Wahlkampfes hat er gebrochen: Ursprünglich sah das Staatsoberhaupt Steuererhöhungen für die obersten zwei Prozent der Top-Verdiener vor, also bereits ab einem Jahreseinkommen von 250.000 Dollar. Abseits der Wahlkampfversprechen stehen Ökonomen der nunmehrigen Lösung vorsichtig optimistisch gegenüber. Schmerzhaft für die Konjunktur ist jedoch der vorgesehene Wegfall der vor zwei Jahren eingeführten temporären Senkung der Sozialabgaben; die US-Arbeitnehmer müssen Belastungen über 120 Milliarden Dollar im Jahr 2013 in Kauf nehmen.

Und der nächste Konflikt mit den Republikanern steht vor Obamas Tür: Ende Februar ist die selbst auferlegte Schuldengrenze von 16,4 Billionen Dollar erreicht. Die neuerliche Aufstockung des Schuldenballasts werden sich die Konservativen so teuer wie möglich abkaufen lassen, eine Blockade Obamas ist nicht auszuschließen. Norm Ornstein vom konservativen American Enterprise Institute schwant Böses, denn: "Dieser Kongress ist der schlechteste, den wir jemals erlebt haben."