Während Theresa May urlaubt, tobt bei den britischen Tories der Machtkampf um ihre Nachfolge.
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London. Wenn die wanderlustige Theresa May am Montag zu ihrem Urlaub nach Italien und in die Schweiz aufbricht, muss ihr eine Warnung des früheren Labour-Premierministers Tony Blair in den Ohren klingen. Blair nämlich bekannte diese Woche, dass er "wirklich Mitleid" habe mit der Tory-Regierungschefin: "Sie ist von Leuten umgeben, die nur auf den geeigneten Augenblick warten, um sie über einen Felsvorsprung in die Tiefe zu stürzen."
Seit den Juni-Wahlen, als die Tories ihre absolute Mehrheit verloren und nun auf die Unterstützung durch die nordirische DUP angewiesen sind, herrscht bei den Konservativen Panik. Sollte es zu einem Führungskampf kommen, befürchten Tory-Abgeordnete totales Chaos in der Partei, bittere Fehden und ideologische Schlachten - und schlimmstenfalls erneute Parlamentswahlen, bei denen dann womöglich der linkssozialistische Labour-Parteichef Jeremy Corbyn in No. 10 Downing Street einziehen könnte.
"Komplett am Ende"
"Mays Autorität befindet sich im freien Fall", erklärt die den Konservativen nahestehende "Sunday Times". Und der Tory-Abgeordnete sowie frühere Minister Andrew Mitchell zieht eine verheerende Bilanz: "Theresa May ist komplett am Ende."
Am besten, hat ein Gefolgsmann des Brexit-Ministers David Davis der Premierministerin May angeraten, solle diese sich beim Wandern in der Schweiz die nötigen Gedanken machen - und aus Liebe zur Partei und zum Vaterland "binnen zwei Wochen" das Amt übergeben. Davis gilt als klarer Favorit für die Nachfolge und kann bereits eine (heimlich erstellte) Liste von Fraktionskollegen nachweisen, die seine Kandidatur befürworten. Weit abgerutscht in der Sympathie der Konservativen, nämlich auf Platz 13, ist dagegen Außenminister Boris Johnson, der langjährige Liebling der Partei. Nicht, dass ihn das davon abhält, ebenfalls mit allen Mitteln um Stimmen zu werben.
Auch Umweltminister Michael Gove, dessen jüngste Wiederaufnahme in die Regierung May der US-Medienmogul Rupert Murdoch erzwungen haben soll, scheint die Finger gründlich im schmutzigen Spiel zu haben. Ein prominenter Gove-Vertrauter, der Brexit-Stratege Dominic Cummings, der im Vorjahr die Referendums-Kampagne für den Austritt organisierte, bezeichnet Brexit-Minister Davis mittlerweile als "dumm wie Faschiertes, faul wie eine Kröte und eitel wie ein Narziss".
Gove und Johnson wird zugleich aber auch zur Last gelegt, ihren Top-Kollegen Philip Hammond, den Schatzkanzler, durch die Veröffentlichung vertraulicher Unterredungen in ein ungutes Licht gerückt zu haben. Unter anderem hieß es, Hammond habe im Kabinett verkündet, die Angestellten der öffentlichen Dienste Britanniens seien "überbezahlt" - und Frauen als Zugführer ungeeignet. Empört erwiderte der Schatzkanzler, seine Rivalen versuchten offenbar, ihn mit miesen Methoden "zu Fall zu bringen". Denen gefalle wohl der Plan einer Brexit-Übergangsphase nicht, den er verfolge. Denn hinter dem Ringen um persönliche Vorteile lauert immer auch die eine große Frage - die nach dem kommenden Abschied von der EU.
Kampf um Brexit-Kurs
Johnson und Gove gehören zur Phalanx der Brexit-Hardliner, die Großbritannien um jeden Preis aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion heraushebeln und keine wesentliche Übergangszeit und keinen Europäischen Gerichtshof mehr sehen wollen. Hammond dagegen führt die Riege der "sanften Brexiteers" an, die der britischen Finanz und Wirtschaft einen "gangbaren" Weg in die Zukunft ebnen möchten. Der noch immer nicht entschiedene Kampf um den rechten Brexit verschärft so die Ratlosigkeit im Regierungslager - und die gegenseitigen Attacken.
Seit den 90er Jahren seien die Tories als Regierungspartei nicht mehr so gespalten und in offene Anfeindung verwickelt gewesen wie jetzt, urteilt Tim Bale, Politik-Professor der Londoner Queen Mary Universität: "Auch damals verbanden sich tiefe ideologische Gegensätze mit persönlicher Ambition und Wahl-Panik zu einer wahrhaft giftigen Atmosphäre."
Wenn es Theresa May nicht bald nach ihrem Urlaub gelinge, die Initiative wieder an sich zu reißen und zusammen mit ihrem Schatzkanzler eine "realistischere" und auch für das Parlament akzeptable Brexit-Position durchzusetzen, meint die "Financial Times" scharf, dann sei ihr wohl wirklich nicht mehr zu helfen. Viel Zeit hat sie nicht: Im Oktober findet der Parteitag der Konservativen statt.