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Konsolidierung einer post-neoliberalen Alternative

Von Ulrich Brand

Gastkommentare
Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien und Mitherausgeber des Buches "Plurinationale Demokratie. Gesellschaftliche und staatliche Transformationen in Bolivien".

Vor der Präsidentschaftswahl in Bolivien steht Amtsinhaber Evo Morales bereits als Sieger fest.


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Dieses Wochenende werden in Bolivien der Präsident und das Parlament gewählt. Eines ist bereits klar: Der amtierende Präsident Evo Morales wird diese Wahl deutlich gewinnen und nach 2006 und 2010 abermals das wichtigste Regierungsamt übernehmen. Zu überzeugend ist sein Projekt für breite Teile der Bevölkerung. Das Staatsbudget hat sich durch eine Neuverhandlung der Konzessionen und hohe Weltmarktpreise für Gas - das Hauptexportprodukt Boliviens - und Öl vervielfacht, die Lebensverhältnisse haben sich spürbar verbessert.

Die bolivianischen Exporteinnahmen stiegen von 2006 bis 2012 von 1 Milliarde auf 12 Milliarden Dollar, das Bruttoinlandsprodukt wuchs von 7 Milliarden auf 32 Milliarden Dollar. Der Staat betreibt nicht mehr nur das Geschäft der Eliten, sondern kümmert sich um Bildung und Gesundheit für die Mehrheit. Tausende kubanische Ärzte arbeiten in Bolivien, bolivianische Ärzte werden in Kuba ausgebildet.

Der liberale koloniale Staat wurde mit der Verfassung von 2009 umbenannt in einen plurinationalen Staat. Das zentralistische und homogenisierende Politikmodell, das die indigene Bevölkerungsmehrheit systematisch ausschloss, wird ersetzt. Autonomie und plurale Rechtssysteme wurden gestärkt, das Prinzip des "Guten Lebens" führt zu spannenden Diskussionen, was jenseits von kapitalistischer Marktwirtschaft sinnvoll und möglich ist. Ziel ist eine "interkulturelle Demokratie", die unterschiedliche Erfahrungen und Ansätze der Organisierung der Bevölkerung berücksichtigt und eine Kombination von repräsentativer und direkter Demokratie fördert. Übrigens ein Modell, das auch für westliche Länder anregend sein könnte.

Hier liegt aber auch das Hauptproblem des Landes. Verfassung und Regierung in Bolivien streben eine andere, weniger naturzerstörerische Wirtschaft, eine Diversifizierung der Ökonomie an. Industrie soll verstärkt entstehen, aber auch Formen der genossenschaftlichen und solidarischen Ökonomie sollen ausgeweitet werden. Doch das ist schwierig, weil das aktuelle Wirtschaftsmodell offenbar großen politischen Spielraum lässt.

Ein anderes Problem liegt darin, dass es der Bevölkerungsmehrheit in Bolivien zwar besser geht, aber auch der Oligarchie. Alle haben teil am Wachstum und an den wachsenden Staatseinnahmen. Die aktuelle Regierung profitiert zwar von der politisch schwachen Opposition, doch ökonomisch sind die Eliten nicht geschwächt. Das kann in einer sich ändernden politischen Konjunktur durchaus zum Problem werden, wenn die alten Eliten wieder das Ruder übernehmen und die Errungenschaften zurückzudrehen versuchen. Von linken Kräften in Bolivien wird kritisiert, dass die Regierung einige konservative oder liberale Personen an wichtigen Stellen in der Regierung hat.

Es hat sich in Bolivien ein Staatskapitalismus entwickelt, der für viele Menschen nie dagewesene Aufstiegsmöglichkeiten bringt. Doch in den kommenden Jahren muss sich erst zeigen, ob die Demokratisierung der Gesellschaft und der Umbau der Wirtschaft wirklich gelingen.