Nach einem zögerlichen ersten Halbjahr hat sich die tschechische Wirtschaft zu einem kleinen Boom empor geschaukelt. Das dritte Quartal 2003 war das beste seit drei Jahren, und der weihnachtliche Einkaufsrausch führte sogar zu Engpässen beim Angebot. Geblieben ist die Abhängigkeit von "äußeren" Faktoren, der lahmen europäischen Konjunktur und den starken Handelspartnern, allen voran Deutschland.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Auf den Einkaufsstraßen ist der Wahnsinn los", erzählt Vera Polakova, tschechische Studentin, nach ihrem Adventbesuch zu Hause. Die Leute seien in einem Konsumrausch, der vor einigen Jahren noch unvorstellbar gewesen sei.
Der österreichische Handelsdelegierte in Prag, Michael Angerer, sieht die Lage ähnlich: "Der hohe Konsum der privaten Haushalte hat sich in diesem Jahr zu einer Stütze der tschechischen Wirtschaft entwickelt, demgemäß läuft auch das Weihnachtsgeschäft hervorragend", meint Angerer im Interview mit der "Wiener Zeitung". Laut Medien seien die Einzelhandelsgeschäfte mit den Weihnachtsverkäufen mehr als zufrieden und erwarten hohe Umsatzsteigerungen. Gekauft werde fast alles, vor allem Verbrauchselektronik. Angerer: "Hier hat das Interesse der Konsumenten die Erwartungen der Händler bei weitem übertroffen, so dass es bereits in vielen Geschäften zu Engpässen gekommen ist."
Optimistische Beobachter sprechen mittlerweile sogar von einem kleinen Boom. Tatsächlich betrug der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im 3. Quartal 3,4% gegenüber dem Vorjahreszeitraum - das höchste Wachstum, das in den vergangenen zwei Jahren erreicht wurde. Das statistische Zentralamt sieht die Gründe für diese Entwicklung im hohen Verbrauch der privaten Haushalte, dem gestiegenen Einkommen, der geringen Inflationsrate, den niedrigen Zinsen auf Verbraucherkredite, den unternehmerischen Investitionen und dem Einfluss der Überschwemmungen im Vorjahr. Nach den schwächeren ersten beiden Quartalen dürfte das für immerhin plus 3% reichen, meinen die Wirtschaftsfachleute - weit mehr, als Österreich oder der EU-Schnitt zu bieten hat. Die Inflationsrate wird bei 0,4% und die Arbeitslosenrate bei 10,0% erwartet.
Auch wenn die BIP-Prognose für 2004 lediglich von einem Plus von 2,8% ausgeht, wird die Teilnahme Tschechiens an der EU einen weiteren Wachstumsschub in der Wirtschaft auslösen, dessen ist sich Angerer sicher. "Das hängt mit dem anhaltend großen Interesse ausländischer Investoren etwa an tschechischen Industrieanlagen zusammen", meint Angerer Dabei handle es sich in letzter Zeit sehr oft um japanische und koreanische Investoren, die Tschechien als Standort in unmittelbarer Nähe zum EU-Raum entdeckt haben und hier sich vor allem auf den Bereichen Automobilindustrie, Automobilzulieferindustrie und Elektronikindustrie etablierten.
So besitzt Tschechien zur Zeit auch die besten Karten beim Poker um den Standort für ein Hyundai-Autowerk. "Sollte es dazu kommen, ist mit einem weiteren Schub von ausländischen Investoren im Automobilzulieferbereich im Land zu rechnen", so Angerer. Große Bedeutung werden auch die im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt zusätzlich finanzierbaren Projekte für die Wirtschaft haben. Dabei handelt es sich um Projekte, die aus dem Kohäsionsfond und Strukturfond kommen, vor allem im Verkehrsinfrastruktur- und Umweltbereich, aber etwa auch in der Lebensmittelindustrie betreffend notwendiger Angleichungen an EU-Standards.
Für österreichische Investoren und Exporteure sieht Angerer vor allem in den Bereichen Automobil-, Elektronik- und Holz- und Metallverarbeitende Industrie anhaltend gute Chancen im Nachbarland. "Mit dem Wegfall der Zollgrenze per Mai 2004 ergeben sich für grenznahe Klein- und Mittelbetriebe (KMUs) zusätzliche Möglichkeiten, in unmittelbarer Nähe zum Hauptstandort in Österreich mit tschechischen Unternehmen auf der anderen Seite zusammen zu arbeiten", meint er. Zahlreiche Tischler, Schlosser und sonstige Metallverarbeiter hätten schon in der Vergangenheit davon Gebrauch gemacht. Gemeinsam mit den Wirtschaftskammern Niederösterreich und Oberösterreich werden nun laufend Kontaktbörsen abgehalten. Grundsätzlich gilt Tschechien für österreichische Unternehmen auf Grund der Nähe, der guten technischen Arbeitskraft und dem überdurchschnittlich wachsenden lokalen Markt als nach wie vor interessanter Investitionsstandort. "Allerdings steigen die Kosten auch überdurchschnittlich und Tschechien scheint somit nur mehr dann geeignet, wenn besondere logistische Kriterien das erforderlich machen und Produktionen in entfernten Ländern - Rumänien, Bulgarien, Ukraine, Fernost - nicht möglich sind", schränkt Angerer ein.
Zu den großen Investoren in Tschechien zählt - im Bereich Kunststoffverarbeitungsbereich - die oberösterreichische Firma Greiner. Sie baut in Litvinov (Nordböhmen) eine neue Produktionsanlage für Kunststoffbecher. Weiters errichtet der Mayr-Melnhof-Konzern in Paskov das größte Sägewerks Tschechiens. Eine starke Stellung in Tschechien haben auch österreichische Baustoffproduzenten wie Wienerberger oder Bramac.
AH-DelegationPrag: http://www.austriantrade.cz, Tel. 420 2 22 21 02 55, e-mail: prag@wko.at