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Beobachter aller Gattungen haben längst zum Abgesang auf das System angestimmt. Sie übersehen dabei allerdings Wesentliches.
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Es ist ein seltsam grundlegendes Missverständnis, bei der Analyse politischer Parteien das Hauptaugenmerk auf inhaltliche Fragen zu legen. Ein Beispiel: Warum geht es der ÖVP in den Städten so schlecht? Weil sie eine kleinbürgerliche, antimoderne Partei der Nischeninteressen geworden sei, die jegliche Berührungspunkte zum Lebensgefühl ihrer Zeit verloren habe. Sagen jedenfalls die Analytiker (und die linke Hälfte ihrer Mitbewerber). Oder auch immer beliebt: Warum verliert die SPÖ die Arbeiter? Weil sie zu einer von Berufsfunktionären gesteuerten Pensionistenpartei regredierte. Behaupten zumindest Beobachter (und alle Mitbewerber).
Solche Kritik prallt aber an den so bemängelten institutionalisierten Bewegungen ab. Entgegen einer weitverbreiteten Vermutung haben sich Parteien im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium noch selten dazu verführen lassen, ihr Schicksal inhaltlichen Überzeugungen anzuvertrauen.
Um es am Beispiel der Stadtschwarzen in Wien zu veranschaulichen: Im Gegensatz zur Außenwahrnehmung betrachtet sich die ÖVP Wien so lange nicht als macht- und einflusslos, solange sie über einige Brückenköpfe ihrer Identität verfügt. Dazu zählt neben den Bezirksvorstehungen der City, von Hietzing, Döbling und Währing insbesondere die Wirtschaftskammer. Es gilt: Wer eine gewisse Mindestgröße unterschritten hat, für den ist nicht jede Stimme gleich viel wert. Zwecks Verteidigung der letzten Hochburgen nimmt man die Marginalisierung in allen anderen Bezirken, noch dazu sehr viel bevölkerungsreichen, in Kauf. Ähnlich verhält es sich bei den Wahlen zur Wiener Wirtschaftskammer - man verteidigt verbissen die Scholle, auf der man sitzt, auch wenn ringsum das Eis längst weggeschmolzen ist. Und so wie die Wiener verhalten sich auch die Kärntner oder Linzer Schwarzen.
Oder politisch spiegelverkehrt die Roten im Ländle oder in Tirol.
Die Konzentration auf diese Rückzugsgefechte der Altparteien verstellt jedoch den Blick auf die andere Seite der Medaille. Wo es ÖVP und SPÖ gelingt, ein in sich stimmiges Personal- und Politikangebot (die Betonung auf die Personen ist bewusst) dem Wähler aufzudrängen - anzubieten wäre ein unpassend demütiger Begriff -, dort lassen sich bis heute auch absolute Mehrheiten zumindest unter jenen holen, die noch zur Wahl gehen. Das macht zwar auch Mehrheits- zu Minderheitsparteien, aber in den Augen der Betroffenen handelt es sich bei dieser Unterscheidung um eine bösartige Spitzfindigkeit. Die ja auch in der Tat für die reale Machtverteilung ohne Folgen bleibt.
Solche Nischen des Monocoloren werden dadurch erleichtert, dass sehr wohl Ventile des politischen Abreagierens zur Verfügung stehen. Oder einfacher ausgedrückt: Michael Häupl, Hans Niessl und Erwin Pröll oder Markus Wallner profitieren davon, dass ihre Wähler sich an ihren Bundesparteien abreagieren können, wozu sie ja auch subtil ermuntert werden. Auf dass es den Menschen leichter fällt, einmal noch, ein letztes Mal, bei der Landtagswahl das Kreuz an der richtigen Stelle zu machen. Das System ist noch lange nicht am Ende.