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In einer Wochenzeitung bezeichnete ein Kommentar den Erfolg des Volksbegehrens gegen Abfangjäger als einen "Sieg gelebter Blödheit", als einen "Triumph der Unvernunft". Dies deshalb, weil "eine so erschreckend hohe Anzahl von Menschen in diesem Land nicht imstande ist, einen auch nur halbwegs klaren und konsistenten rechtlichen Gedanken zu verfassen". Denn wer neutral ist, sei völkerrechtlich zur Kontrolle des Luftraums durch Abfangjäger verpflichtet. Es sei "fast bedenklich", dass solche Leute das Wahlrecht behalten. Mir scheint die Geisteshaltung, die hier zum Ausdruck kommt, selbst bedenklich.
Bei der Abfangjägerfrage handelt es sich primär um eine politische Entscheidung, über die man verschiedener Meinung sein kann. Es gibt hier unterschiedliche Interessen zwischen politischen Eliten, Militär und der Bevölkerung, die der neuen Aufrüstungswelle und den diffusen Bedrohungsszenarien der Militärs, welche diese rechtfertigen soll, skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.
Im übrigen lassen die rechtlichen Argumente nicht den zwingenden Schluss zu, dass "wer keine Abfangjäger will, der muss zuerst die Neutralität entsorgen". Das Völkerrecht kennt nicht nur eine bewaffnete, sondern auch eine unbewaffnete Neutralität. Die Verpflichtung zum Schutz der Landesverteidigung ergibt sich daher nicht aus dem Völkerrecht, sondern aus dem österreichischen Neutralitätsgesetz. Der mittelamerikanische Staat Costa Rica hat sich 1949 für unbewaffnet neutral erklärt und wurde bis heute von keinem Nachbar überfallen. Der ehemalige Präsident von Costa Rica begründete vor zwei Jahren diese unbewaffnete Neutralität wie folgt: "Jeder Dollar, der für unnütze Waffen ausgegeben wird, steht für eine verpasste Chance, um das Leben eines Menschen zu verbessern, der etwas zu essen, ein Dach über dem Kopf, Bildung oder medizinische Versorgung braucht. Es gibt Milliarden solcher Menschen in der ganzen Welt, und diese interessieren sich ganz bestimmt nicht für Kampfhubschrauber oder Kampfjets".
Das österreichische Neutralitätsgesetz sieht demgegenüber eine bewaffnete Neutralität vor, wonach Österreich seine Neutralität "mit allen zu Gebote stehenden Mitteln" zu verteidigen hat, wobei allerdings die Worte "zu Gebote" keine absolute Forderung darstellt, sondern eine Güter- und Interessensabwägung einschließt. Es stimmt zwar, dass die Art der Landesverteidigung im Gesetz offen gelassen wurde, doch ist davon auszugehen, dass zu einem umfassenden Neutralitätsschutz auch die Luftraumverteidigung gehört, wenn die Verteidigung des Territoriums auch sicherlich an erster Stelle steht.
Anhänger und Gegner der Neutralität gehen davon aus, dass diese inzwischen ausgehöhlt wurde. Die von der Bundesregierung beschlossene Sicherheitsdoktrin geht nicht von Österreich als neutralen, sondern als paktfreien Staat aus. Die Bundesregierung stützt sich hierbei auf die Rechtsmeinung, dass durch Artikel 23 f Absatz 1 BVG als jüngere und speziellere Norm der BVG Neutralität materiell derogiert wurde, sodass Neutralität nur mehr eine "Restneutralität" ist.
Nicht nur das Völkerrecht, sondern auch das Neutralitätsrecht unterliegen einem Wandel, wenn sich das politische Umfeld und die Bedrohungslage verändert. Wenn es daher möglich ist, im Hinblick auf diesen Wandel die Neutralität auf eine Restneutralität zu reduzieren, dann muss es auch möglich sein, die Bewaffnung dieser Restneutralität restriktiv auszulegen und z.B. zugunsten einer besseren Bewaffnung des Bundesheeres auf eine teuere Verteidigung des Luftraums für eine Übergangszeit (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) zu verzichten, wenn dieser Luftraum von keinen Feinden bedroht ist.
Natürlich kann man die verschiedenen Staatsaufgaben nicht aufrechnen. Aber es muss möglich sein, die verschiedenen Aufgaben unterschiedlich zu bewerten. Es ist eben Sache der jeweiligen Politik, ob sie mehr bei der Sozialpolitik, bei der Kulturpolitik oder bei der Militärpolitik einsparen will. Wenn österreichische Wähler hierbei unterschiedliche Auffassungen haben, kann man diese nicht für dumm erklären, unabhängig davon, welche rechtlichen Argumente nun die Richtigen sind. Wie immer man die Bewaffnungspflicht einer Restneutralität interpretieren sollte, es kann keinen Zweifel darüber geben, dass die Anschaffung von mit Bomben ausgerüsteten Kampfflugzeugen als offensives Kriegsgerät dem Neutralitätszweck widerspricht.
Dr. Gerald Mader ist Präsident des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK)