Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger hat sich seine eigene Rehabilitation zur Lebensaufgabe gemacht. Am 7. August 1978 stürzte er über seine Vergangenheit als Marinerichter bei der Wehrmacht. Er trat zurück, nachdem bekannt geworden war, dass er während der letzten Tage des Zweiten Weltkriegs an Todesurteilen mitgewirkt hatte. Kurz vor seinem 90. Geburtstag am kommenden Montag ist in Baden-Württemberg wieder ein heftiger Streit um ihn entbrannt.
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Die Landesregierung ehrt den CDU-Politiker am Dienstag mit einem Empfang. Es sei eine Selbstverständlichkeit, dass es bei einem runden Geburtstag einen Empfang gebe, sagte ein Regierungssprecher in Stuttgart. Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Wolfgang Drexler, sagte seine Teilnahme ab mit der Begründung, er sehe auch 25 Jahre nach dem Rücktritt bei Filbinger keinen Ansatz zur Selbstkritik. Verschiedene Gruppen haben zu Protesten gegen die Ehrung aufgerufen.
Auch zwei Schwestern des im Frühjahr 1945 hingerichteten Deserteurs Walter Gröger übten heftige Kritik. "Wir sehen Filbinger als Mörder unseres Bruders an", sagten Eva-Maria Mäschke (68) und Ursula Galke (74) der "Sächsischen Zeitung". Filbinger war als Ankläger im Januar 1945 an dem Todesurteil beteiligt und nahm auch an der Hinrichtung Grögers teil.
Seinen Absturz in das politische Nichts hat er nie überwunden. Filbinger wurde am 15. September 1913 in Mannheim als Sohn eines Bankbeamten geboren, studierte Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft. Im Jahr 1951 trat er der CDU im Südwesten bei. Dem Landtag gehörte er von 1960 bis 1980 an. Er wurde Innenminister und 1966 Ministerpräsident, als sein Vorgänger Kurt Georg Kiesinger zum Bundeskanzler avancierte. Filbinger baute bei den folgenden Wahlen die absolute Mehrheit der CDU im Lande stetig aus.
1978 jedoch wurde für ihn zum Schicksalsjahr. Es gab zahlreiche Veröffentlichungen über seine Tätigkeit als Marinerichter und seine Mitwirkung während der letzten Kriegsmonate als Beisitzer oder Ankläger an Verfahren, die mit Todesurteilen endeten. Von dem Schriftsteller Rolf Hochhuth wurde Filbinger in der Wochenzeitung "Die Zeit" als "furchtbarer Jurist" bezeichnet. Filbinger, der gegen "Die Zeit" und das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" vor Gericht zog, machte zum einen geltend, er habe seinerzeit weisungsgebunden gehandelt, und nahm zum anderen für sich in Anspruch, dass er auch Verurteilungen, darunter Todesurteile, verhindert habe. Nicht so sehr seine Vergangenheit, als vielmehr seine als wenig überzeugend empfundene Art der Verteidigung führten dazu, dass sich schließlich auch in der CDU die Forderungen nach einem Rücktritt des an und für sich beliebten Ministerpräsidenten mehrten.
Filbinger räumte seinen Stuhl. Am 30. August 1978 wurde Lothar Späth Regierungschef. Er löste Filbinger später auch im Amt des CDU-Landesvorsitzenden ab. Filbinger wurde Ehrenvorsitzender der baden-württembergischen CDU.