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Wiener Zeitung: In Wien wurden vier Personen verhaftet, von denen drei unterwegs nach Pakistan waren. Was zieht junge Muslime in Terror-Camps?
Claudia Dantschke: Manche gehen in diese Gebiete, um einfach islamisch zu leben. Meistens gehen sie aber dorthin, um mitzukämpfen und ihren Brüdern zu helfen. Erst dort werden einige indoktriniert, auch in ihrem Herkunftsland Terroranschläge zu verüben. Es findet dort also eine weitere Radikalisierung statt. Aber das ist eine marginale Minderheit. Manche kommen auch einfach ernüchtert zurück.
In letzter Zeit häufen sich Meldungen über radikalislamische Kämpfer aus dem deutschsprachigen Raum. Werden es tatsächlich mehr?
Es ist ein gewisser Hype da. Die Vorfeldpropaganda nimmt auf jeden Fall zu. Das hängt mit den salafitischen Strömungen zusammen, die seit 2005 sehr aktiv sind. Allerdings landet nicht jeder, der sich dem Salafismus zuwendet, im Terror-Camp.
Was zeichnet Salafiten aus?
Eine ganz klare Schwarz-Weiß-Weltsicht, eine ziemlich einfache Darstellung von Gut und Böse. Es geht um ein Zurück zu dem, was unter Prophet Mohammed gelebt und gepredigt wurde. Alles was danach kommt, wird abgelehnt. In der radikaleren Form projiziert man das auf seine Umwelt: Demokratie, Nichtmuslime oder Muslime, die diesem Weg nicht folgen - all das ist der Feind, der Gegner. Da gibt es dann eine jugendliche Avantgarde, die sich dazu berufen fühlt, für Allah auch zu kämpfen. Aber letztlich hängt es vom Einzelnen ab, wie weit er für eine radikalere Form überhaupt ansprechbar ist.
Tendieren Konvertiten eher zu Radikalismus?
Nein. Wir haben auch viele bikultureller Herkunft oder welche, die zwar als Muslime geboren, aber nicht religiös aufgewachsen sind. Ob jemand radikal wird, hängt oft mit seiner Vorgeschichte zusammen. Es gibt welche, die in einer Verlierer-Position waren, keine Lebensperspektive hatten, andere waren Kleinkriminelle, es gibt aber auch Intellektuelle. Oft spielt auch Abgrenzung vom Elternhaus eine Rolle.
Das heißt, dass diese Einstellung nicht vom Elternhaus mitgegeben wird?
Genau. Wir haben nicht eine Art dritte Generation, wo schon die Eltern radikalislamistisch waren und die Kinder die Tradition fortsetzen. Was allerdings die politische Weltsicht angeht - Ablehnung des Westens, Antiamerikanismus und Antisemitismus -, haben viele Jugendliche das schon vorher verinnerlicht. Das wird dann verstärkt religiös formuliert und legitimiert. Dinge wie Abu-Ghraib, die Mohammed-Karikaturen oder in Österreich die Anti-Islam-Politik von Strache bieten dann Einfallstore.
Was kann der Staat, die Gesellschaft gegen solche Tendenzen tun?
Wir müssen uns mit diesen Jugendlichen und ihren Wünschen auseinandersetzen. Was bieten diese radikalen Gruppen den Jugendlichen, was ihnen die Gesellschaft nicht bietet? Bei Radikalisierung spielt der Unmut der Jugendlichen eine Rolle, Entfremdung - da können Sozial- und Familienarbeit ansetzen. Wir müssen uns aber eben auch mit der Ideologie auseinandersetzen, die den Jungen plötzlich eine Heimat, eine Aufgabe, eine Identität gibt.
Welche Rolle spielen Einzelpersonen wie der deutsche Konvertit und radikal-islamische Prediger Pierre Vogel?
Er ist ein Idol für die Jugendlichen. Er hat einen Status wie Robin Hood oder Che Guevara. Er trotzt den Mächtigen, macht sein Ding, sagt, was er will. Wobei Pierre Vogel mit Terror und Gewalt nichts am Hut hat. Er redet auch dagegen an. Allerdings ist er ambivalent, wenn es etwa um den bewaffneten Djihad in Afghanistan geht, den er als Selbstverteidigung rechtfertigt.
Claudia Dantschke (48) ist Islamismusexpertin am Berliner Zentrum für Demokratische Kultur.