Zum Hauptinhalt springen

Kopf-an-Kopf-Rennen in Seoul

Von WZ-Korrespondentin Sonja Blaschke

Politik

Diktator-Tochter und Menschenrechtsanwalt fast gleichauf bei Wahlen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Tokio/Seoul. Am Geländer der Mapo-Brücke über den Han-Fluss in Südkoreas Hauptstadt Seoul hängen Fotos von fröhlichen Menschen und Sprüche wie "Haben Sie heute schon etwas gegessen?" oder "Wussten Sie, dass alle Gorillas Blutgruppe B haben?". So wollen Seouls Behörden einen der beliebtesten Orte für Selbstmord unattraktiv machen. Denn in den letzten zehn Jahren haben sich die Suizide mehr als verdoppelt, täglich beenden über 40 Menschen ihr Leben. Nicht, weil es Südkorea schlecht ginge: Keine andere Nation baut zum Beispiel mehr Schiffe oder Mobiltelefone. Nur profitieren vom Erfolg immer weniger Menschen. Denn die Finanzmacht liegt bei familiengeführten Mega-Konglomeraten, den "Chaebol", wie Hyundai und Samsung. Sie erwirtschaften 30 Prozent aller Firmenumsätze. Allein Samsung sorgt für ein Fünftel der Exporte, beschäftigt aber nur fünf Prozent der arbeitenden Bevölkerung. 80 Prozent der Südkoreaner gehen zur Universität, doch nur 10 Prozent erhalten Stellen bei Spitzenfirmen. Der Druck steigt - und manche halten ihm nicht stand.

Das Schlagwort "wirtschaftliche Demokratie" prägte daher den Präsidentschaftswahlkampf in den letzten drei Wochen. "Lasst uns gegen die Mächte, die die Chaebol beschützen und die Reichen kämpfen", wetterte der 59-jährige Moon Jae-in, ein Menschenrechtsanwalt und Ex-Büroleiter des früheren Präsidenten Roh Moo Hyun. Er tritt am 19. Dezember für die größte Oppositionspartei Democratic United Party an. Moon will gegen umstrittene Kreuzbeteiligungen vorgehen, über die die "Chaebol" in allen Bereichen des täglichen Lebens mitmischen. Während man Samsung im Ausland vor allem als Elektronikhersteller schätzt, besitzt der Konzern Anteile an Immobilien-, Schiffsbau- und Autofirmen und 50 Prozent an südkoreanischen Filialen der Café-Kette Starbucks. Mit seiner Kritik läuft Moon offene Türen ein: Reuters veröffentlichte eine Umfrage eines regierungsnahen Think Tanks, wonach über 70 Prozent der Befragten sagten, "Chaebol" seien für sie negativ besetzt. Moon versucht, so vor allem junge, liberale Wähler anzusprechen.

Ob er Erfolg hat, wird sich erst gegen 23 Uhr Ortszeit zeigen. Dann entscheidet sich das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen ihm und der 60-jährigen Park Geun-hye. Die Vertreterin der regierenden Saenuri Party appelliert an die Wähler, sie zur ersten Präsidentin zu machen. Dabei kämpft sie gegen das Image der "Diktator-Tochter". Ihr Vater, Park Chung Hee, der Südkorea von 1963 bis zu seiner Ermordung 1979 mit eiserner Hand regierte, förderte früher die "Chaebol". Lange lag sie in Umfragen vorne, doch zum Ende des Wahlkampfs holte Park auf, auch weil zwei weitere Kandidaten vorzeitig ausschieden.

Herausforderung Nordkorea

Bis sechs Uhr abends können knapp 40,5 Millionen Wahlberechtigte an über 13.500 Wahllokalen ihre Stimme abgeben.

Die Beteiligung lag bei 63 Prozent im Jahr 2007 und bei 70,8 Prozent 2002. Laut der Zeitung "Korea Herald" sagte Park Geun-hye in einer Rede: "Ich denke, ein Votum über die Zukunft des Landes wiegt schwerer als eine Million Tonnen Gold." Moon Jae-in sagte: "Wenn man davon ausgeht, dass es eine Stunde dauert, seine Stimme abzugeben, dann wird diese Stunde die nächsten fünf Jahre bestimmen."

Wahlbeobachtern zufolge dürfte er davon besonders profitieren. Was ihm Stimmen kosten könnte, ist das vorhergesagte besonders frostige Wetter von unter null Grad.

Gespannt auf das Wahlergebnis sind auch die ostasiatischen Nachbarn. Japan fragt sich, wie die neue Regierung wohl die Frage der umstrittenen Takeshima-Inseln handhabt, die in Südkorea Dokdo heißen. Ein früherer Botschafter Japans in Südkorea sagte dem japanischen Fernsehen, die Kandidaten unterschieden sich hier nur um Nuancen. Beide wollten "zukunftsorientiert" handeln.

Eine besondere Herausforderung der neuen Führungsspitze wird Nordkorea sein, das kürzlich mit dem Abschuss einer Langstreckenrakete überraschte; anschließende Tests von Nuklearwaffen werden befürchtet. Während Park gegenüber Nordkorea hart vorgehen will, baut der Oppositionskandidat auf mehr Kommunikation mit den Nachbarn auf der koreanischen Halbinsel.

Der 70-jährige Präsident Lee Myung Bak wird im Februar 2013 sein Amt aufgeben, da die Verfassung eine Wiederwahl des Präsidenten verbietet.