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Bahners stellt sich mit seinem Buch gegen Thilo Sarrazins Thesen. | "Es gibt eigentlich keinen Dissens in der Integrationspolitik." | "Wiener Zeitung": Ihr Buch "Die Panikmacher: Die deutsche Angst vor dem Islam" hat hohe Wellen geschlagen und stark polarisiert. Es ist eine, wie sie selbst anführen, Streitschrift zu diesem derzeit äußerst heiklen Thema. Wollen Sie streiten? | Patrick Bahners: Ja, aber ich zettle den Streit nicht an. Der Streit über die Rolle des Islam in den westlichen Gesellschaften wird bereits geführt und daran beteilige ich mich.
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Sehen Sie Ihr Buch als Antwort auf Thilo Sarrazins polemisches Werk "Deutschland schafft sich ab"?
Sarrazin schrieb in seinem Buch, was den Komplex der Islamkritik betrifft, am allerwenigsten Eigenes. Vielmehr hat er die Behauptungen populärer Autoren wie Necla Kelek übernommen. Das scheint mir für die politische Wirkung des Buches besonders wichtig zu sein. Und insofern ist mein Buch eine Antwort auf Sarrazin. Absichtlich einer Gruppe von Menschen das Gefühl zu geben, sie gehörten eigentlich nicht dazu, wie es bei Sarrazin der Fall ist, das verträgt durchaus eine polemische Antwort.
Alice Schwarzer, Necla Kelek, Sarrazin, Henryk M. Broder befürchten eine Unterwanderung der Gesellschaft durch einen gut getarnten, nach Vorherrschaft strebenden Islam. Was halten Sie dem entgegen?
Anhand des historischen Kopftuchstreites in der Bundesrepublik ist eine Polarisierung in Gang gekommen, die mir sehr folgenreich erscheint. Maßgebliche Politiker legten ein populäres Islambild fest, das von einer Kette von Definitionen fixiert worden ist. Der Islam bedeute die Unterdrückung der Frau, Zwangsehe, Ehrenmord, Fundamentalismus. Ich verstehe das deutsche Recht aber nicht so, dass man verfassungsrechtlich gezwungen wäre, sich zu entscheiden, der Staat präferiere die kopftuchlosen Frauen gegenüber den Kopftuchträgerinnen. Das sind vielmehr freie Entscheidungen, die aber natürlich Folgen haben. Aber dass man so weit geht, etwas zu machen, was dem liberalen Recht völlig fremd ist, nämlich ein Verbot von Kopftüchern im öffentlichen Dienst, ohne sich mit der betreffenden Person zu beschäftigen, das halte ich schon für etwas Singuläres. Das Kopftuchverbot in vielen deutschen Bundesländern war ein Bruch, der dazu geführt hat, dass Muslime mit einem Verdacht belegt wurden, dass sie Bürger zweiter Klasse seien. Ich hoffe mit meinem Buch, die Debatte zu entschärfen und zu mehr Sachlichkeit und Pragmatismus zurückzukehren.
Was hat Sarrazin in Deutschland ausgelöst, wie kann man dieses große Echo erklären?
Beim Thema Einwanderung und Islam gibt es ein Unbehagen in der Bevölkerung, begleitet von dem Gefühl, dass man nicht viel machen könne, dass es aber keine gute Entwicklung sei. Das ist das eine. Das andere ist, dass es in der Bevölkerung das Gefühl gibt, von den Politikern hineingelegt zu werden. Nach dem Motto: Wir wissen ja sowieso, dass etwa das Rentensystem vor dem Zusammenbruch steht, den Leuten wird das aber vorenthalten. Die verbreitete Stimmung ist, dass Politik eine Verschwörung des Schweigens ist. Beim Thema Islam meint man die Politiker einmal erwischt zu haben. Dass Sarrazins Buch von Bundeskanzlerin Merkel stark kritisiert worden ist, wird von den Menschen so verstanden, dass hier jemand mundtot gemacht werden soll.
Wie konnte es überhaupt zu einem derartigen Bruch zwischen Einheimischen und Zugewanderten in der Gesellschaft kommen?
Durch die illusionäre Rhetorik von CDU und CSU. Sie reden den Leuten ein, dass sich nichts ändern muss. Sie reden von Minaretten im Vorgarten. Solches Sprücheklopfen auf Parteitagen und alltagsferne Begriffsschablonen für nationale Medien geben Stichworte für Ausländerhetze. Dabei gibt es keinen inhaltliche Dissens in der deutschen Integrationspolitik. Es gibt keine Multikulti-Politik. Es gibt eine klare auf Assimilation ausgerichtete Politik. Es soll keine Ghettos und keine gepflegten Besonderheiten geben, von Gruppen, die dann mehr in ihrer Herkunftswelt leben als in Deutschland. Das ist eine absolut einheitliche Linie.
Nicht erst seit Sarrazin muss man sich die Frage stellen, ob rassistische Aussagen wieder salonfähig werden. Welche Gefahren sehen Sie, wenn diese Grenze überschritten wird?
Fremdenfeindliche Parteien, die nach demokratischen Spielregeln mitspielen, werden Wahlerfolge erzielen. Wenn es um den Islam geht, sprechen seltsamerweise alle dieselbe Sprache, die USA und Europa. In Deutschland bildet man sich noch ein, dass aufgrund der nationalistischen Vergangenheit keine rechtsextremen Parteien an die Macht kommen. Da wäre ich mir aber nicht so sicher. Bei den Intellektuellen gibt es eine Bereitschaft, mit der Politik der 70er und 80er Jahre Schluss zu machen.
Geht es um Integration allgemein oder nur um den Islam?
In Deutschland wird immer wieder behauptet, dass es nur mit Muslimen Probleme gebe. Das ist aber eine Legende, die man faktisch widerlegen kann. Dass man die Diskussion auf den Islam zugespitzt hat, muss einem schon zu denken geben. Der Islam steht halt für Religion. Eine Schattenseite der Aufklärung war immer schon, dass auf Religion ein massiver liberaler Druck ausgeübt wird.
Was waren Ihre Beweggründe, dieses Buch zu schreiben?
Ich habe mich immer mehr darüber geärgert, dass im Namen von Aufklärung und Liberalismus den Muslimen Schikanen auferlegt werden. Einem muslimischen Metzger etwa wurde es mit allen Mitteln unmöglich gemacht, sein Gewerbe auszuüben. Meine Lebenswelt ist ein Beweis dafür, dass bisher die Durchmischung der Milieus noch nicht allzu weit gegangen ist. Bei der "FAZ" gibt es nur wenige muslimische Kollegen. Ein Zugehen auf Migranten muss aber ganz normal sein, damit die Angestellten unterschiedliche Hintergründe haben.
Haben Sie keine Angst, als Sprachrohr der Muslime vereinnahmt zu werden?
Das wird natürlich schon gemacht. Man hat mir bereits mittels Fotomontage einen Turban aufgesetzt. Andererseits finde ich es erfreulich, wenn muslimische Leser sagen, es sei toll, dass ein Nicht-Muslim mal das so schreibe.
Sie kritisieren, dass die umstrittene dänische Mohammed-Karikatur mit dem Deckmantel der Meinungsfreiheit eine Bevölkerungsgruppe beleidigt. Aber ist nicht die Karikatur wesentliches Element eines aufgeklärten Journalismus’?
Natürlich ist die Karikatur ein legitimes Kampfmittel, und die Freiheit zum Karikieren muss mit allen Mitteln von Recht und Polizei verteidigt werden. Was mich stört, ist aber die Naivität auf westlicher Seite. In diesem Fall sollten Muslime provoziert werden. Die Redakteure wussten, was sie taten. Es ist bedenklich, dass Merkel einem der Karikaturisten einen Preis überreichte.
Sie treten für einen liberaleren Umgang in der Kopftuch-Frage auf. Wie stehen Sie zu Zwangsehe oder Ehrenmord als Teil des Islam?
Das Kopftuch der Frauen ist direkt auf den Koran zurückzuführen. Für Zwangsehe oder Ehrenmord gibt es laut Gelehrten keine Legitimation. Die Verbindung zum Islam besteht deshalb, weil diese Bräuche als Teil einer patriarchalischen Lebensform aus Regionen kommen, wo der Islam gelebt wird. Diese Bräuche werden zu uns importiert und müssen selbstverständlich als archaische blutige Bräuche ausgemerzt werden. Die Islamkritik ist hier aber sicher nicht hilfreich.
Das islamische Recht, die Scharia, soll angeblich immer öfter bei deutschen oder österreichischen Gerichten angewandt werden.
Das ist ein Gerücht, ein typisches Beispiel dafür, wo wider besseres Wissen Panik verbreitet wird, wie etwa Alice Schwarzer es macht. Nach dem internationalen Privatrecht gilt für Ausländer, die sich in Deutschland aufhalten, das Recht des Herkunftslandes, sofern es mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Hier wird in der Öffentlichkeit suggeriert, es würde bei uns bald ein Rechtssystem implementiert, in dem Hände abgehackt werden.
Sie bewerten das Christentum und den Islam gleich. Doch bei uns sprengt sich niemand in Gottes Namen in die Luft, es gibt keine Hass prediger und Frauen müssen sich nicht verschleiern.
Wenn wir jetzt eine Menschenrechtsstatistik der Weltreligionen aufmachen würden, würde der Islam sicher schlechter abschneiden als das Christentum. Aber Hassprediger und religiöse Gewalt gibt es auch im Christentum. Welche Chance hat ein frommer Schüler, seiner Familie nicht völlig entfremdet zu werden, zugleich wie jeder andere Unterricht zu bekommen? Viele christliche Familien haben Probleme. Die kann man aber auch nicht einfach aushebeln und sagen, ihr lebt hinter eurer Zeit.
Zur Person
Patrick Bahners, geboren 1967 in Paderborn in Deutschland, ist Feuilletonchef der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ). Im Februar ist sein Buch "Die Panikmacher: Die deutsche Angst vor dem Islam" erschienen. Bahners warnt darin vor einer Kultur der Intoleranz und Verrohung.