Über Gratis-Korane wollen Salafisten verstärkt in Österreich Fuß fassen. Der Verfassungsschutz ist alarmiert - rechtlich ist die Aktion gedeckt.
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Wien. "Wir haben einen neuen Bruder. Der Bruder hat heute den Islam beim ,Lies!‘-Infostand in Wien angenommen. Möge Allah ihn festigen."
Auf einem vier Wochen alten Video zu sehen ist ein junger Bursche, der vermutlich auf der Landstraße Hauptstraße bei Wien Mitte das Glaubensbekenntnis nachspricht. Zwei bärtige Männer mit "Lies!"-T-Shirts sprechen es ihm auf Arabisch, dann auf Deutsch vor.
Salafisten on Tour - von Innsbruck bis Eisenstadt
Seit 2011 verteilt die "Lies Stiftung" in ganz Europa Korane und verbreitet über diese Aktionen ihre fundamentalistische Ansicht des Islam - auch in Österreich. Ihren Sitz hat sie in Deutschland. Dort wurden schon über 1,4 Millionen Exemplare verteilt. In Österreich gab es alleine seit der Bekehrungsszene in Wien Mitte schön drapierte Stände mit hunderten Koran-Exemplaren in Wiener Neustadt, in Eisenstadt, auf der Wiener Mariahilfer Straße und an diesem Wochenende wieder auf der Landstraßer Hauptstraße.
Der Koran ist, so weit das durch die deutsche Übersetzungen möglich ist, original. Die Botschaft im Beipackzettel hat es aber in sich. Darin heißt es mit dem Hinweis auf die fett gedruckte Glaubensformel: "Dieser Satz ist Ihre Rettung vor der ewigen Bestrafung in der Hölle am Jüngsten Tag und der Schlüssel zum Paradies." Davor wird darauf hingewiesen, dass der Koran alle vorherigen Offenbarungen wie Thora und Evangelium "abrogiert", das heißt, sie aufhebt oder widerruft. Es folgt ein Zitat des Propheten Muhammad über die "Bewohner des Höllenfeuers".
Rekrutierungsgefahr "evident"
Der heimische Verfassungsschutz beobachtet die Verteil-Aktion aufmerksam und kennt nach eigenen Angaben die handelnden Personen. "Es ist evident, dass aus einer bloßen Verteilaktion auch ein Bezug zur Rekrutierung für den Dschihad entstehen kann", sagt ein Sprecher. Die Verfassungsschützer rechnen die Lies!-Aktion der salafistischen Szene zu. Der Salafismus in seiner dschihadistischen Ausprägung gilt als Nährboden für islamistischen Extremismus.
Die deutsche "Welt" berichtete am Wochenende, dass sich von 378 Islamisten, die nach Syrien in den Dschihad gereist sind und deren Biografien der Verfassungsschutz durchleuchtet hat, jeder Fünfte über das "Lies!-Projekt" radikalisiert habe. Die Korankampagne sei einer der wichtigsten "Radikalisierungsfaktoren".
Im Rechtsstaat darf verteilt werden
Das Verteilen von religiösem Informationsmaterial alleine ist aber nicht strafbar, erklärt das Innenministerium. Auch aus dem Justizministerium heißt es: "Dass Missionierungsversuche wie mit dem angeschlossenen Handzettel womöglich zur Folge haben, dass sich jemand einer terroristischen Vereinigung anschließt, reicht nicht für eine Strafbarkeit aus." Auch gegen den neuen Verhetzungsparagrafen verstößt die Aktion nicht. Verhetzung liegt nur dann vor, wenn zur Gewalt gegen Gruppen aufgerufen wird.
Was die mögliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach § 278b Strafgesetzbuch betrifft, kommt es auf den Einzelfall an. "In dem Moment, wo sich konkrete Verdachtsmomente ergeben, schreiten wir ein", heißt es aus dem Innenministerium. Ein Verfahren richte sich dann aber gegen einzelne Personen, nicht gegen die Verteil-Aktion an sich.
Die Aktion, die auf der Homepage mit E-Mail und Telefonnummer um Mitstreiter wirbt, kann also munter weiterlaufen.
Auf Facebook verlinkt "Lies Projekt Österreich" auf die Seite "die wahre Religion" von Ibrahim Abou-Nagie. Dieser ist neben dem Konvertiten-Prediger Pierre Vogel die führende Figur des deutschen Salafismus. Gemeinsam versuchen sie, Kinder und Jugendliche zum Salafismus zu bekehren. Die "wahre Religion" startete 2011 die Lies!-Kampagne.
"Islam wird zur Sekte degradiert"
Wie ist die religiöse Dimension der Lies!-Aktion zu bewerten?
Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative muslimischer Österreicher, der selber predigt, lässt kein gutes Haar daran: "Der Koran ist kein Werbeprospekt." Oft lande er nach der Verteilung im Müll. "Der Islam wird von der Weltreligion zur Sekte degradiert. Diese Art der Präsentation des Islams mit Angst und oberflächlicher Betrachtung spiegelt in keiner Weise die nötige Auseinandersetzung wider." Die aggressive Form der Missionierung entspreche nicht der Tradition des Islam und erzeuge oft Missstimmung.
Zu den Botschaften auf dem Flyer meint er: "Im Koran steht schon in der 3. Sure eindeutig und in vielen anderen Stellen, dass auch das Evangelium und die Thora ausdrücklich anerkannt werden. Die Abrogation bezieht sich nur darauf, dass der Koran für Muslime als die letztgültige Botschaft Gottes gilt. Aber so, wie es hier formuliert ist, erweckt es den Eindruck, als würden Muslime andere Religionen automatisch ablehnen."
Als "sehr problematisch" bezeichnet Baghajati die Botschaft der Salafisten, wonach die "Hölle" drohe. "Das ist theologisch falsch. Wer Paradies oder Höllenfeuer erlebt, ist alleine Sache Gottes. Es gibt nichts Schlimmeres, als einer bestimmten Person als Mensch Hölle oder Paradies definitiv zu versprechen."
Einem Verbot der Korankampagne könnte Bagjahati aber nichts abgewinnen. "Wenn es klare sicherheitspolitische Bedenken hinsichtlich einer Rekrutierung gibt, dann ist das Sache der Polizei. Ein bloßes Verteilen von Meinungen oder Schriften muss eine Demokratie meines Erachtens besser aushalten können."
Auch Bagjahati rechnet die Stiftung der salafistischen Ecke zu. Als Finanziers vermutet er "private Spender, die in die Irre geführt" werden. Der Salafismus sei in Österreich jedenfalls weniger verbreitet als in Deutschland.
Auf Facebook hat "Lies Österreich" nur 391 Fans. Das kann aber "an den vielen Schlechtheiten" von Facebook liegen, die im Forum beklagt werden.