Vaxevanis veröffentlichte Liste mit Steuersündern - und wurde angeklagt.
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"Wiener Zeitung": Herr Vaxevanis, Sie haben Ende Oktober eine Liste von 2059 vermeintlichen Steuersündern mit Konten bei dem Geldinstitut HSBC in der Schweiz in Ihrem Magazin "Hot Doc" veröffentlicht. Diese Liste wurde von Regierungen in Athen jahrelang nicht verwertet. Das Ergebnis war, dass Sie festgenommen wurden und sich vor einem Athener Schnellgericht zu verantworten hatten. Wie bewerten Sie das im Rückblick?Kostas Vaxevanis: Die Enthüllung dieser Liste hat etwas sehr Wichtiges zum Vorschein gebracht. Es war ein offenes Geheimnis in Griechenland, dass eine kleine Gruppe von Menschen auch in der gegenwärtigen Krise nichts zahlen, indem sie im großen Stil Steuer hinterziehen. Die Liste hat nun aber erstmals deutlich gemacht, dass diese Griechen zum engeren Kreis der Machthaber und Regierenden zählen. Auf der anderen Seite gibt es viele Griechen, die in der Krise bluten müssen. Sie werden sogar von Politikern in Reden regelrecht verurteilt, weil sie beispielsweise keine Quittung ausstellen. Das hat der gegenwärtige Premierminister Antonis Samaras den Taxifahrern kürzlich vorgeworfen. Andere bleiben hingegen völlig unangetastet. Die Liste hat gezeigt, dass die Korruption in Griechenland Namen und Adressen hat. Auf der betreffenden Liste finden sich Herausgeber in der Medienbranche und Unternehmer mit Spareinlagen in dreistelliger Millionenhöhe. Wie kann das sein? Diese Leute sind nicht nur mit mächtigen Politikern befreundet, sondern mit der herrschenden Politik eng verflochten. Die Leute sehen zum ersten Mal schwarz auf weiß: Die Regierenden betreiben einen doppelten Umgang mit der Bevölkerung - auch und gerade in der Krise.
Sie sind vom Gericht freigesprochen worden. Im Ausland hat Ihr Fall hohe Wellen geschlagen.
Die Anklage entbehrte jeglicher Grundlage, wies Lücken auf und war mithin übers Knie gebrochen. Feststeht: Das öffentliche Interesse an einer Veröffentlichung wiegt schwerer als der Schutz von Personendaten. Immerhin hat der griechische Staat mein Telefon überwacht. Ferner haben fünfzig Personen der Staatssicherheit das Haus eines Freundes umzingelt, um mich festzunehmen. Im Verfahren vor dem Schnellgericht haben sie dann aber einsehen müssen, dass sie die Kontrolle in der Angelegenheit verlieren. Mir ging es klar um die Pressefreiheit. Ich wollte und will, dass die Griechen informiert sind über das, was im Lande geschieht.
Haben Sie schon viele Gerichtsverfahren kassiert?
Nein, seit der ersten Ausgabe von "Hot Doc" im April haben wir nur zwei Klagen erhalten. Die Betroffenen wissen, dass wir sehr gut recherchieren. Ohne Dokumente wird nichts veröffentlicht. Gleichzeitig sind etwa ein Dutzend staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren eingeleitet und zehn Anfragen in Parlament gestellt worden. Das ist sehr positiv.
Haben Sie Angst?
Ich habe folgende Theorie dazu: Je mehr Angst man hat und diese auch zeigt, desto stärker werden diejenigen, die wollen, dass man Angst hat.
Wie beurteilen Sie das politische System in Griechenland?
In Griechenland herrscht eine Clique. Sie setzt sich aus einigen Politikern, einigen Unternehmern und einigen hochdotierten Journalisten zusammen. Die Unternehmer handeln in ihrem Interesse. Sie scheuen nicht davor zurück, dabei gegen geltende Gesetze zu verstoßen. Die Politiker verfassen und verabschieden anschließend Gesetze, die diese illegalen Praktiken im Nachhinein legalisieren. So schützen sie diese Unternehmer. Ein gutes Beispiel für einen solchen Politiker ist Evangelos Venizelos (Ex-Finanzminister und derzeitiger Vorsitzender der mitregierenden Pasok-Sozialisten, Anm.). Er ist für eine Fülle von derartigen Gesetzen verantwortlich. Wir thematisieren dies in der aktuellen "Hot Doc"-Ausgabe. Und das Gros der griechischen Journalisten hüllt sich entweder in Schweigen oder betreibt Propaganda.
Wenn Sie in Sachen Korruption eine Note vergeben könnten und die Note zehn die schlechteste ist, welche bekäme dann die Politik in Griechenland?
Hierzulande gibt es einige durch und durch korrupte Politiker. Da reicht nicht einmal Zehn plus. Diese Kultur der Korruption, Vetternwirtschaft, des neuen Reichtums ist in Griechenland nach dem Ende der Obristendiktatur 1974 gewachsen. In der gegenwärtigen Krise erscheint das in krasser, extremer Form. Die Gesellschaft muss einerseits nun harte Sparmaßnahmen über sich ergehen lassen und ertragen. Das korrupte politische System strebt aber zugleich nur danach, wie es in der Krise selbst überleben kann. Das Schlimmste ist aber: Die Korruption wird immer noch akzeptiert. Entweder man ist selber korrupt oder man sagt: "Ach, wir leben doch in Griechenland! Das war doch immer so!" Ich werde wahninnig, wenn mich Freunde anrufen und mir sagen: "Ja, wir haben das gelesen, was du veröffentlichst hast. Wir finden das gut, dass du das getan hast. Aber Kostas, du weißt doch: Es wird doch nichts passieren."
Stehen Ihnen Ihre Berufskollegen zur Seite?
Schon. Sie rufen mich an. Sie sagen mir: "Mein Freund, wir sind mit dir. Mach weiter so! Wir folgen dir!" Aber wissen Sie, was mich dabei stört ?
Was?
Sie sagen mir das geheim am Telefon. Als ob ein Verbrecher mit einem Verbrecher spricht. Nicht wie freie Menschen. Meine Kollegen müssten dagegen in ihren eigenen Medien über diese Machenschaften und Missstände berichten. Sie müssten dies quasi schreiend tun. Sie sagen dir das aber nur am Telefon.
Wie sehen Sie die Zukunft Griechenlands?
Ich weiß nicht, wie der nächste Tag in Griechenland aussehen wird. Wirklich nicht. Ich persönlich will aber, dass die Anständigen die Oberhand behalten. Das muss das Ziel sein. Die gegenwärtige Politik hat es bis jetzt fertiggebracht, so zu regieren. Sie will die Anständigen nicht.
Kostas Vaxevanis (46) ist ein griechischer Journalist und Buchautor. Der investigative Reporter gibt das politische Magazin "Hot Doc" heraus.