Bawag-Affäre, Hypo-Skandal, Commerzialbank-Desaster: Elitenkorruption war schon immer ein Gradmesser für gesellschaftliche Dekadenz.
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Wo ist das Geld geblieben? Das fragte sich einst der Mephisto-Darsteller Gustaf Gründgens 1931 in einem Lied, das wie ein Evergreen der Korruptionsgeschichte klingt: "Man verschleiert geschickt die Bilanzen, wer sich sträubt, wird korrumpiert. Was kümmern uns denn die Finanzen, Hauptsache, wir sind saniert . . . Mein Gott, was kann einem schon groß passieren, irgendwie kann man sich immer durchlavieren, irgendwie kann man ja alles arrangieren . . . Ja, so ist das nun mit dem Geld, das unter Land und Leute rinnt, wo steckt es nur in aller Welt, da alle Menschen pleite sind . . ."
Der Publizist und Ökonom Karl Ausch hatte einen scharfen Blick für Ammenmärchen. Eines davon ist die gängige Vorstellung, die Bankenzusammenbrüche der 1920er und 1930er Jahre wären rein eine Folge der Wirtschaftskrisen gewesen. Trotz seiner parteipolitisch gefärbten Schilderungen war Ausch realistisch genug, das Kind beim Namen zu nennen: Korruption, Unfähigkeit sowie ein hohes Maß an krimineller Energie waren allzu oft mitverantwortlich. Allein zwischen 1924 und 1926 mussten 37 Aktienbanken und 136 Privatbanken liquidiert werden, und in fast allen Fällen waren betrügerische Handlungen im Spiel. Es war eine Zeit wüster Spekulationen - fernab von Hochfrequenzhandel und digitalen Währungen unserer Tage, aber nicht minder abenteuerlich.
Im Frühjahr 1923 schätzte die Bankenkommission die Zahl der Banken in Österreich auf rund 1.500; eine Zählung in der Mariahilfer Straße samt Nebengassen ergab 78 verschiedene Banken. Viele dieser "Firmen" waren Winkelbanken, die in kleinen Räumen, oft in Untermiete, ihre Geschäfte betrieben - die Gattung Wall Street Wolf eben. Kleingewerbetreibende hatten ihre Mühe mit den unzähligen Konzessionsregeln, Bankiers dagegen, die mit Fremdkapital eifrig wetteten, ignorierten die Behörden. Klingt vertraut. Man denke nur an die auffallend lustlose Aufklärung von Fällen wie den Cum-Ex-Bankengeschäften oder Wirecard.
Prominente Opfer
Der Skandal um die Depositenbank 1924 war das Entree für das Hauptmenü, das noch kommen sollte. Der berühmt-berüchtigte Finanzmagnat und Glücksritter Camillo Castiglioni schaffte es mit seinen Konsorten, durch Charme und Geschick die Bank vollends auszuplündern. Das hielt die damalige österreichische Bundesregierung nicht davon ab, ihn zu hofieren. Kanzler Ignaz Seipel verglich Castiglioni sogar mit den römischen Senatoren der Antike, die als Mäzene Kunst und Wissenschaft gefördert hatten. Die Politik umtanzte schon immer das Goldene Kalb.
Auch Steuern bezahlte der "Haifisch" (Zitat Karl Kraus) kaum, er nahm es sportlich. Das Finanzministerium war ebenso gnädig wie später die Staatsanwaltschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg hörte man den Namen Castiglioni noch ein letztes Mal, als dieser die kommunistische Regierung Jugoslawiens unter Josip Broz Tito auf Zahlung einer Provision für die Vermittlung einer Anleihe klagte - mit Erfolg.
Ein Jahr später gerieten 1925 die renommierte Biedermann Bank und die Anglo Austrian Bank (kein Naheverhältnis zur Meinl Bank, die sich jetzt auch so nennt) ebenfalls in Schwierigkeiten; eine desaströse Geschäftspolitik war die Ursache. Im ersten Fall gab es sogar zwei prominente Opfer: den Politiker und Nationalökonomen Joseph Schumpeter und den Banker Alfred Treichl. Beide verloren ihr ganzes Vermögen, beide hatten den falschen Leuten vertraut. Die Haupttriebfeder der Malversationen im Falle der Biedermann Bank war Gottfried Kunwald, der durch politische Rückendeckung mit öffentlichen Geldern jonglierte.
Mit dem Zusammenbruch der Centralbank der deutschen Sparkasse folgten 1926 die wirklich schweren Fälle. Das Desaster hatte im Grunde drei Ursachen: Die Centralbank übernahm auf Druck der Christlichsozialen eine Reihe bankrottreifer Finanzinstitute, ihr Großaktionär Viktor Wutte schlachtete das Institut systematisch aus, und zu guter Letzt gaben ihr Führungsfehler den Rest. Nach kurzer Untersuchungshaft konnte Wutte seines Weges gehen, man wollte es mit der Bestrafung nicht übertreiben. Die Bilanz: eine Wirtschaft, die noch lange an den Folgen der Milliardenverluste zu leiden hatte, und ein Staat, dessen Kassenreserven nun leer waren. Dies bedeutete auch keinen Schilling mehr für Soziales.
"Gier frisst Hirn"-Prinzip
Mitten in den Untersuchungen zur Centralbank brach der Postsparkassen-Skandal auf. Der "Österreichische Volkswirt" schrieb damals, die Centralbank-Affäre sähe dagegen wie ein Kinderspiel aus. Doch in Wahrheit war es nur eine Variation des Altbekannten: gigantische Verluste durch wilde Spekulationen, ein Intrigantenstadl aus Regierungsmitgliedern und hohen Funktionären sowie millionenschwere Finanzspritzen für marode Bankhülsen. Sigmund Bosel, ein berüchtigter Börsenguru, war der "nützliche Idiot" in einem Spiel wechselseitiger Übervorteilungen.
Ende 1926, kurz bevor die Misswirtschaft aufflog, verreiste der involvierte Finanzminister Jakob Ahrer plötzlich nach Kuba. Mitte Oktober demissionierte die Regierung unter Kanzler Rudolf Ramek unter der Last des Skandals, und Seipel übernahm. Das Einzige, was danach noch florierte, waren dreiste antisemitische Lügen über die angeblich verderbliche Rolle der Juden im Finanzwesen, dabei waren christlichsoziale und deutschnationale Kreise die treibende Kraft gewesen.
Eine Neuauflage des "Gier frisst Hirn"-Prinzips stellte 1929 der Zusammenbruch der Bodencreditanstalt ("die Boden") dar. Im Zentrum stand ein Mann: der Präsident der Bank, Rudolf Sieghardt. Er schaffte es, aus einer hoch angesehenen Bank, die auch das Privatvermögen des Kaisers und der Erzherzöge verwaltete, eine mafiöse Organisation zu machen. Eine unverantwortliche Dividendenpolitik, abstrus hohe Direktionsgehälter sowie der Verdacht frisierter Bilanzen vergifteten den Ruf. Die Bodencreditanstalt vergab als Patronanzbank der Christlichsozialen hochriskante Kredite an unterkapitalisierte Betriebe. Günstlings- und Freunderlwirtschaft waren ein Stück Normalität.
Zwang zur Fusion
Doch es kam noch dicker: Die politisch gefärbten Transaktionen reichten bis hin zur Terrorismusfinanzierung. Die Millionen, die an die Heimwehr flossen, kamen nicht nur von italienischen und ungarischen Faschisten, sondern auch von österreichischen Banken und Industriebetrieben. Das politische Engagement Sieghardts und die Umtriebe der Heimwehr lösten eine Kapitalflucht aus. Großkunden kündigten Kredite, ausländische Investoren zogen ihr Geld ab, und die Sparer stürmten die Banken, allen voran "die Boden". Die Lage war hochexplosiv.
Letztlich konnte nur eine Fusionierung mit der Creditanstalt das Land vor dem Abgrund retten. Die Gendarmerie rückte aus, um schnellstmöglich den Präsidenten der Creditanstalt, Louis Nathaniel von Rothschild, ausfindig zu machen, der gerade auf der Jagd war. Höchst widerwillig stimmte dieser schließlich zu - er hatte schon geahnt, dass diese Altlasten irgendwann auch der Creditanstalt gefährlich werden könnten. Wenige Wochen später brach die Weltwirtschaftskrise aus, und die Creditanstalt geriet in starke Turbulenzen - 1931 war sie insolvent. Rückblickend soll Kanzler Johann Schober später gesagt haben, man habe Rothschild "nicht eine Pistole, sondern ein Maschinengewehr an die Brust gesetzt".