Kritiker der Polizei drohen zehn Jahre Haft. | Wien/Moskau. Er hatte mit seiner öffentlichen Kritik an der herrschenden Korruption und Machtwillkür in Russlands Sicherheitsbehörden eine landesweite Debatte losgetreten, die einigen Mächtigen nicht gefiel: Im Jänner, zwei Monate nachdem Alexej Dymowski per Videobotschaft und in einem persönlichen Brief an Premier Wladimir Putin Details über die illegalen Machenschaften seiner Vorgesetzten in der Anti-Drogen-Behörde enthüllt hatte, wurde der Polizeimajor aus Noworossisk in U-Haft genommen.
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Der Vorwurf: Bestechung. Menschenrechtler und Sympathisanten des Majors sprachen von Rachejustiz und forderten dessen Freilassung. Am Sonntag wurde Dymowski schließlich unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Die Anklage gegen ihn wurde aber nicht fallen gelassen. Im Falle eines Schuldspruchs drohen ihm zehn Jahre Gefängnis.
Dymowski hatte offen ausgesprochen, was in Russland ohnehin jeder weiß: Dass vor allem die höheren Chargen des Sicherheitsapparates fast alle korrupt sind und Willkür walten lassen, weil sie keine Konsequenzen zu befürchten haben. Der Polizeimajor klagte auch über permanente Ermittlungen gegen und Verhaftungen von Unschuldigen, weil die Beamten eine bestimmte Aufklärungsquote zu erfüllen hätten. Um Geständnisse zu erzwingen, würden die Festgenommenen oft brutal misshandelt.
Die Liste der Verbrechen, deren sich die Sicherheitskräfte allein in den letzten Monaten schuldig gemacht haben, ist lang. Für Entrüstung sorgte etwa der Fall des Journalisten Konstantin Popow in Tomsk, der Anfang Jänner in Polizeigewahrsam von einem betrunkenen Beamten in einer Ausnüchterungszelle zu Tode gequält worden war. Schlagzeilen machte auch der Skandal um Gastarbeiter, die von einer Einheit der Polizeisondermiliz Omon monatelang zur Sklavenarbeit gezwungen wurden - unter anderem auch auf der Datscha von Vize-Innenminister Michail Suchodolksi. Mitarbeiter einer anderen Omon-Einheit beklagten sich kürzlich in einem öffentlichen Brief an Präsident Dmitri Medwedew, dass sie dauernd Tätigkeiten verrichten müssten, die nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehören, etwa als Bodyguards für Mafiosi zu arbeiten, Prostituierte zu kontrollieren oder Privatgrunstücke zu bewachen.
Kreml urgiert Reformen
Die himmelschreienden Missstände innerhalb der russischen Sicherheitbehörden haben mittlerweile den Kreml auf den Plan gerufen. Medwedew brachte bereits einige Reformvorschläge ins Parlament ein und erklärte die Causa zur Chefsache. Und es rollten die ersten Köpfe: 19 führende Mitarbeiter des Innenministeriums, Generäle und hohe Polizeioffiziere mussten den Hut nehmen; unter ihnen auch zwei Vize-Innenminister. Auch 16 regionale Polizeichefs wurden gefeuert. Der Moskauer Polizeichef war mit dabei.
Das Fehlverhalten der Staatsdiener untergrabe die Autorität des Staates, monierte Medwedew. Er ordnete ein Ende der Straffreiheit für korrupte Polizisten und solche, die sich brutaler Übergriffe schuldig machen, an. Und er befahl ein strenges Auswahlverfahren an, um Rambos und Psychopathen künftig vom Polizeidienst fernzuhalten.
Die Unterstützung der Bevölkerung dafür ist ihm gewiss. 77 Prozent der Russen haben Angst vor den Ordnungshütern, wie eine Umfrage des renommierten Lewada-Zentrums ergab. Sie fürchten sie mehr als die Kriminellen, die diese verfolgen sollten.