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"Korruption und Betrug gehören zum Leben"

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Diskrete Ermittlungen im Hintergrund. | Bulgarien wird es noch schaffen. | "Wiener Zeitung":Sie sind der oberste Korruptions- und Betrugsbekämpfer der EU. Wie kann man Korruption und Betrug aufdecken?


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Franz-Hermann Brüner: Also mit Hauruck-Methoden geht da gar nichts - Tatütata schon 20 Kilometer vor dem Tatort können Sie bei einer Leiche machen. Die kann sich nicht mehr bewegen. Aber Papier kann man immer noch verbrennen. Daher muss man ruhig und systematisch vorgehen und jede Information mehrdimensional betrachten - überlegen, welche Hintergründe und Motive dahinter stecken könnten. Es sind oft kleine Informationen, die große Wirkung haben. Aber man darf auch nicht erwarten, dass man mit dem ersten Mosaikstückchen gleich am Ziel ist. Große Reden darüber, was man alles gefunden hat, sind kontraproduktiv. Die Leute müssen Vertrauen zu einem haben, damit sie einem mehr und bessere Informationen geben und wissen, dass man damit richtig umgeht.

Wer liefert Ihnen denn die Informationen?

Das sind zum Teil Geschädigte, aufmerksame Bürger, Konkurrenten, die Mitgliedsstaaten und natürlich die Dienststellen der Institutionen selbst. Es ist ein gutes Zeichen, dass immer mehr Informationen aus den Dienststellen kommen. Sie sind kritischer geworden.

Wo geht denn in Europa das meiste Geld verloren?

Korruption und Betrug sind Teile unseres gesellschaftlichen Lebens. Das muss man leider akzeptieren. Und wir geben Gelder unter schwierigen Bedingungen aus. Ranglisten stellen wir aber prinzipiell keine auf. Natürlich haben Länder, die viele Subventionen bekommen, auch mehr Fälle. Und in manchen Bereichen sind die Zahlungen an sich schwieriger zu kontrollieren.

Welche Bereiche sind das?

Strukturförderungen oder Fortbildungsmaßnahmen zum Beispiel. Die Landwirtschaftspolitik ist dagegen zwar ein Riesentopf, aber auch der am besten kontrollierte. Es geht ja auch nicht um eine Kuh mehr oder weniger. Wir müssen immer die Dimension im Auge behalten.

Ab welcher Dimension wird denn Olaf tätig?

Es gibt keine in Zahlen gefassten Grenzen. Wir müssen erst unterscheiden, ob es sich um einen internen oder externen Fall handelt. Bei Fällen innerhalb der Institutionen gibt es null Toleranz. Bei externen Fällen ist es oft besser, eine nationale Behörde kümmert sich zunächst darum. Die bitten uns dann oft um Unterstützung - wer das betroffene Programm in der Kommission betreut hat, ob es schon einmal geprüft wurde oder wie die Ausschreibung verlaufen ist. Wenn wir merken, dass bei einer Ermittlung nichts weiter geht, müssen wir einschreiten. Das entscheiden wir im Einzelfall.

Olaf hat auch Bulgarien und Rumänien geholfen, ihre Betrugsbekämpfung zu verbessern. Wie schätzen sie die Lage in den beiden Ländern ein? Kann Bulgarien seine Defizite noch bis September aufholen?

Die Bulgaren müssen jetzt Farbe bekennen. Wir erwarten ja nicht, dass alles gleich in bester Ordnung ist. Aber die Strukturen müssen vorhanden sein und es muss klar sein, dass sie bereit sind, weiter zu arbeiten, damit wir unsere finanziellen Interessen schützen können. Und mit Pauschalurteilen müssen wir sehr vorsichtig sein.

Wenn in Bulgarien ein 50 Jahre alter Richter, der von Marktwirtschaft noch kaum etwas weiß, für einen komplexen Wettbewerbsfall länger braucht, heißt es gleich, alle Richter seien korrupt. Oft handelt es sich dabei schlicht um Überlastung. Solche Überlegungen muss man berücksichtigen. Wir haben Bulgarien und Rumänien - wie schon den neuen Mitgliedsstaaten davor - abverlangt, 50 Jahre Geschichte in zehn Jahren aufzuarbeiten.

Wieso ist Bulgarien aber gegenüber Rumänien so zurückgefallen?

Die Rumänen haben früher erkannt, dass es eins vor zwölf ist und einen radikalen Schritt gemacht. Sie haben eine Crew von jungen Leuten rekrutiert und ihre Korruptionsbekämpfung ganz neu aufgebaut. Dazu hat sie die drohende rote Karte der EU angespornt. Die Bulgaren haben dagegen bestehende Strukturen mit einer neuen Philosophie konfrontiert. Sie bilden Gremien und diskutieren länger. Aber Bulgarien wird das auch noch hinkriegen. Wir bei Olaf sehen, dass die Reformen in beiden Ländern langfristig angelegt sind. Aber sie müssen noch operativer werden - das ist eine Frage der Umsetzung.

Ihre Behörde kostet rund 50 Millionen Euro pro Jahr. Wie viel Geld kommt zurück?

Ich schätze, dass wir jeweils im Februar bezahlt sind. Wenn Sie das Geld von Philip Morris dazunehmen, haben wir die nächsten 20 Jahre auch schon abgedeckt.

Zur Person:

Der Bayer Franz-Hermann Brüner (60) ist seit März 2000 der Generaldirektor von OLAF. Davor war der ehemalige Richter und Staatsanwalt Leiter der internationalen Betrugsbekämpfungseinheit in Bosnien-Herzegowina. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.

+++ Wissen: Olaf, das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung, benannt nach seinem französischen Kürzel "Office européen de lutte anti-fraude", wurde 1999 gegründet.

Aufgabe der Brüsseler Behörde ist der Kampf gegen Betrug am EU-Budget und Korruption innerhalb der EU-Institutionen. Viele der rund 380 Mitarbeiter haben einen Hintergrund als Staatsanwälte, Zollfahnder, Steuerfachleute oder Rechnungsprüfer.

Finanziell betrachtet der größte Erfolg waren Olaf's Ermittlungen gegen internationale Tabakkonzerne wegen Zigarettenschmuggels. Der weltweit größte Konzern Philip Morris hat sich schließlich verpflichtet, 1,25 Milliarden Dollar (995 Millionen Euro) an die EU zu bezahlen.