Strafrecht ist untauglich, die Justiz scheint überfordert. | Schmieren stellt für Politik offenbar immer noch ein Kavaliersdelikt dar. | Es gibt nur sehr wenige Urteile, aber eine extrem hohe Dunkelziffer.
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Die neue Justizministerin Beatrix Karl spricht überraschenderweise bereits von einem "Meilenstein". Dabei wirkt der Entwurf eines Lobbyinggesetzes, der der Tollpatschigkeit des Ex-EU-Abgeordneten Ernst Strasser zu verdanken ist, ziemlich zahn- und relativ sinnlos. Und falls es - was zu erwarten ist - nach der Begutachtungsfrist, die am 19. Juli endet, aufgrund flehentlicher Einwände des betroffenen Berufsstandes zu einigen textlichen Abschwächungen in den derzeit sieben Druckseiten kommt, bleibt letztlich wenig über: Ab Jänner 2012 werden sich Österreichs professionelle Lobbyisten in ein Register eintragen müssen - Interessenvertretungen oder Nationalratsabgeordnete werden groteskerweise ausgenommen sein.
Neo-Ministerin Karl lässt jedenfalls, so wie ihre Vorgängerin Claudia Bandion-Ortner, die ausgerechnet zur Antikorruptionsakademie IACA in Laxenburg wechselt, jegliche Ambition vermissen, ein wahrhaft heißes Eisen anzupacken. Und die rot/schwarze Koalition scheint, wie seit Jahren praktiziert, keine Notwendigkeit zu sehen, gängige unsaubere Praktiken in diesem Land wirksam zu bekämpfen. Karls kürzlich erfolgte schriftliche Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage des Abgeordneten Albert Steinhauser zum Thema Korruption nährt diesen Verdacht in seltsamer Manier.
Rund 300 Anzeigen
wegen Bestechung
Der Grüne Parlamentarier Steinhauser, ein gelernter Jurist, ist der Auffassung, dass das im Sommer 2009 novellierte Korruptionsstrafrecht zu sehr aufgeweicht wurde. Seither sei das sogenannte "Anfüttern" - gemeint sind etwa Zuwendungen eines Bauunternehmens an eine Gemeinde - wieder erlaubt, sofern es nicht mit einem konkreten Amtsgeschäft verbunden ist.
Auch diverse finanzielle Aufmerksamkeiten sind - unabhängig von der Höhe - nicht mehr strafbar. Die Einladung von Amtsträgern beispielsweise zu den Salzburger Festspielen oder zur Bärenjagd nach Alaska ist also durchaus erlaubt.
Umgekehrt haben Amtsträger, die im Zuge einer Anbahnung von Amtsgeschäften Geld oder auch nur eine Esseneinladung annehmen, nichts mehr zu befürchten. Kritisch sei es bloß, wenn sie von sich aus etwas fordern. Steinhauser stört es weiters, dass bestechliche Abgeordnete ebenso wenig Sanktionen befürchten müssen wie etwa Beschäftigte staatsnaher Unternehmen, also etwa bei Post, ÖBB, Asfinag oder ORF. Auch für die öffentlich-rechtlichen Kammern gelten die zahnlosen Bestimmungen im Strafgesetzbuch.
Die Ministerin vertritt zwar den Standpunkt, dass sich der Arbeitsaufwand für die Justiz "grundsätzlich vergrößere", sie glaubt allerdings nicht, dass es "Probleme bei der strafrechtlichen Verfolgung" derartiger Delikte gebe. Aus den für den Zeitraum 1. September 2009 bis 31. März 2011 vorgelegten Justiz-Statistiken ergibt sich ein anderes Bild: Seit Inkrafttreten des "Korruptionsstrafrechtsaufweichungsgesetzes", wie es der einstige Justiz-Sektionschef Wolfgang Bogensberger bezeichnet, gab es nicht weniger als 11.693 Anzeigen - überwiegend gegen bekannte, teilweise aber auch gegen unbekannte Täter. In den allermeisten Fällen ging es um "Missbrauch der Amtsgewalt" und "strafbare Handlungen unter Ausnützung einer Amtsstellung".
Die vermuteten Delikte "Bestechlichkeit" (beim Nehmer) bzw. "Bestechung" (beim Geber) bereiteten der Korruptionsstaatsanwaltschaft sowie den 16 weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften deutlich weniger Arbeitsaufwand: Österreichweit langten diesbezüglich im Lauf von 19 Monaten nur rund 300 Anzeigen ein - etwas weniger als unter dem Titel "Verletzung des Amtsgeheimnisses" (368) eingebracht worden sind. Die Klageflut ist jedoch zügig eingedämmt worden: Denn im genannten Zeitraum wurden 609 Causen abgebrochen und nicht weniger als 12.756 Verfahren - naturgemäß auch solche, die im September 2009 anhängig waren - eingestellt.
Nur sechs Urteile
wegen Schmiergeld
Zur Anklage kam es schlussendlich bloß in 428 Fällen, wobei die Korruptionsstaatsanwaltschaft mit 112 den Vogel abschoss und die Wiener mit 73 Fällen auf Platz zwei verwies. An dritter Position landete die Staatsanwaltschaft Innsbruck mit 30 Anklagen - vor den offenbar weniger gestrengen Kollegen in Korneuburg, Graz und St. Pölten. In Krems hingegen kam es nur zu zwei Anklagen, in Steyr gab es gar nur eine. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle handelte es sich um "Missbrauch der Amtsgewalt", um die Tatbestände "Bestechlichkeit" und "Bestechung" ging es bloß 12 bzw. 16 Mal.
Schlussendlich kam es in zwei von drei Fällen zu einem Happy End: Die Richter an den Landesgerichten fällten nämlich alles in allem nur 143 Urteile, wobei es sich fast durchwegs - bei 124 Schuldsprüchen - um "Missbrauch der Amtsgewalt" handelte.
Die Angeklagten fassten überwiegend bedingte Freiheitsstrafen, deutlich seltener unbedingte Geldstrafen oder eine Kombination aus Geld- und Freiheitsstrafen aus. Wegen des Delikts "Bestechung" blieben hingegen nur vier Übeltäter auf der Strecke, wegen "Bestechlichkeit" erwischte es gar nur zwei. Sie zählen damit zu den wenigen schwarzen Schafen, die so wie ein Salzburger Bauunternehmer dereinst wegen einer im Zusammenhang mit einer Auftragsvergabe in München stehenden Bestechungsaktion verurteilt wurde: Er bekam damals eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren und wurde zu einer Zahlung von 1,8 Millionen Euro verdonnert.
Die Dunkelziffer sei laut Walter Geyer, dem Chef der Anfang 2009 eingerichteten Wiener Korruptionsstaatsanwaltschaft, jedenfalls beträchtlich höher. Zahlreiche Rechtsbrecher haben allerdings das Glück, dass der Wahrheitsbeweis in klassischen Korruptionsfällen zumeist äußerst schwer zu erbringen ist - sodass es häufig nicht einmal zu einer Anzeige kommt.
Straßburg und Brüssel
machen gehörig Druck
Was die Höhe der Strafen anlangt, kann sich Österreich etwa von Russland einiges abschauen: Kreml-Chef Dmitri Medwedew will die grassierende Korruption in seinem Land mit drakonischen Geldstrafen bekämpfen. Wer ein solches Verbrechen begeht, muss bis zum Hundertfachen der Bestechungssumme an Strafe zahlen. Obergrenze sind 500 Millionen Rubel, umgerechnet 12,3 Millionen Euro. In dem neuen Gesetz, das er kürzlich unterzeichnete, ist überdies die Verhängung von Gefängnisstrafen vorgesehen.
So wie die Russen, die in der von der Organisation Transparency International erstellten Liste der korruptesten Staaten auf Platz 154 unter 178 Ländern rangieren, will auch die Ukraine die gängige Schmiergeldkultur vehement bekämpfen. Das Parlament verabschiedete unlängst ein Gesetz, das Regierungsangestellte ab 1. Juli zur Offenlegung ihrer Einnahmen und Ausgaben verpflichtet. Auch die Mitglieder von staatlichen und regionalen Regierungen müssen mit ihren nächsten Verwandten ihre Einkünfte deklarieren sowie sämtliche Vermögenswerte - von Bankkonten bis Immobilien im In- und Ausland - offenlegen.
In Österreich - einem Land, das vom bei der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) tätigen Schweizer OECD-Experten Mark Pieth als "Korruptionsoase" bezeichnet wird - passiert vorerst nichts dergleichen. Die überforderte, weil personell unterbesetzte Justiz schaffte es etwa bisher nicht, die Schmiergeld-Verdachtsmomente in der Causa Eurofighter abzuklären, und die Gesetzgeber im Parlament bleiben weiterhin passiv. Obwohl die Antikorruptionsgruppe Greco des Europarats in Straßburg den heimischen Politikern massiv Druck macht und eine generelle Offenlegung von Parteispenden fordert, ist eine diesbezügliche Reform noch immer nicht absehbar.
Jetzt kann man gespannt sein, wie lange die rot-weiß-rote Regierung noch lethargisch bleiben kann: Die Europäische Union hat nämlich unlängst ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Korruption beschlossen und will die Mitgliedsstaaten zur strengen Umsetzung einschlägiger Rechtsparagrafen vergattern. Also viel Lärm um nichts?