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Kosmopolitische Baukunst

Von Bernhard Widder

Reflexionen

Der früh verstorbene polnisch-amerikanische Architekt Maciej Nowicki war lange fast vollständig vergessen. Nun wird er als bedeutender Repräsentant der internationalen Moderne wieder entdeckt.


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Die Reihe "Architektur im Ringturm" zeigt seit Jahren umfangreiche Präsentationen, die der Geschichte der modernen Architektur des 20. Jahrhunderts in vielen Ländern gewidmet sind. Das Hauptgewicht dieser Ausstellungen liegt auf Mittel- und Osteuropa, und dieser Fokus entspricht dem geografischen Bereich, in dem der Versicherungskonzern der "Wiener Städtischen" tätig ist. So wurden einzelne Länder mit ihren unterschiedlichen Entwicklungen der Architektur der Moderne vorgestellt, aber auch einzelne Städte, etwa die slowenische Stadt Maribor, die im Jahr 2012 als eine "Kulturhauptstadt Europas" fungierte.

Derzeit wird das Werk des polnischen Architekten Maciej Nowicki (1910-1950) gezeigt, und diese Präsentation ist eine besondere Entdeckung. Den wenigsten Kennern der internationalen modernen Architektur wird dieser Name bekannt sein, wenn man von seinen polnischen Schülern und späteren, amerikanischen Studenten und Partnern absieht. Der Kurator der Reihe, Adolph Stiller, hat für diese Ausstellung den heute 90-jährigen Warschauer Architekten und Historiker Tadeusz Barucki eingeladen, der sich seit Jahrzehnten mit dem Werk Maciej Nowickis befasst.

Eine Stadt in Indien

Das Interessanteste an der Ausstellung im Ringturm ist die Entdeckung, dass ein amerikanisches Team mit Nowicki den ersten Auftrag für die Planung einer neuen Hauptstadt namens Chandigarh im nördlichen indischen Bundesstaat Punjab von der indischen Regierung erhalten hatte. Im Sommer 1950 arbeitete Nowicki monatelang in Nordindien an den Plänen für diese neue Stadt, die für eine halbe Million Einwohner gedacht war.

Auf der Rückreise von Delhi in die USA Ende August 1950 stürzte das Flugzeug der TWA in der ägyptischen Wüste ab: Alle 55 Passagiere, darunter Maciej Nowicki, starben. Kurz darauf erhielt ein anderes internationales Architektenteam unter der Leitung von Le Corbusier den Auftrag der indischen Regierung, die Planung von Chandigarh fortzuführen.

In den Monografien über Le Corbusier findet sich kein Hinweis auf die früheren Planungen von Nowicki, Albert Mayer und Henley Wittlesey, seine amerikanischen Partner. Das wirft nicht das beste Licht auf den schweiz-französischen Großmeister, vor allem, wenn man in Betracht zieht, dass der junge Architekt Nowicki in den 1930er Jahren ein Praktikum im Büro von Le Corbusier in Paris absolviert hatte.

Damit ist das letzte Lebensjahr des polnischen und ab 1945 amerikanischen Architekten Maciej (später Matthew) Nowicki skizziert. Die Ausstellung wie auch das exzellente monografische Buch Tadeusz Baruckis über Leben und Werk von Maciej Nowicki haben den Untertitel: "Polen, USA, Indien". Der Lebensweg des jung verunglückten Nowicki, der diese drei Länder in unterschiedlicher Zeitdauer berührte, wird ausführlich dargestellt.

Warum aber war das Werk Nowickis so lange verschollen? Das hat mehrere Gründe: Einerseits war es über viele Jahre unklar, welche Bauwerke tatsächlich von Nowicki stammten, sofern sie die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs in Polen überdauert hatten. Das bekannteste Bauwerk, das Nowicki entworfen hatte, wurde von seinen Partnern, dem Architekten William Henry Deitrick und dem Statiker Fred Severud, erst nach seinem Tod in Raleigh, North Carolina, errichtet.

Eine große Messehalle, als "Paraboleum" bezeichnet, heute "Dorton Arena" genannt, erhielt nach ihrer Fertigstellung 1953 den Preis für die beste architektonische Leistung des "American Institute of Architects". Der wegweisende Hallenbau setzte kons-truktive und gestalterische Vorgaben, die ihrer Zeit weit voraus waren, und die in den nachfolgenden Jahrzehnten öfter kopiert wurden. Die große Konstruktion der Halle, die aus zwei tragenden, parabelförmigen Bögen aus Stahlbeton besteht, lässt entfernt an die später realisierten Planungen des gleichaltrigen Oscar Niemeyer für die neue brasilianische Hauptstadt Brasilia denken.

Auf der schwarzen Liste

Ein weiterer Grund für das Vergessen des Namens Nowicki wird von Tadeusz Barucki beschrieben: "Das lässt sich unter anderem damit erklären, dass er - wie viele andere Kulturschaffende, die dies aus unterschiedlichen Gründen getan hatten - wegen seiner Entscheidung, nicht in die Heimat zurückzukehren und in den USA zu bleiben, in der Volksrepublik Polen von den damaligen Machthabern auf die schwarze Liste gesetzt und somit aus dem öffentlichen Bewusstsein des Landes gelöscht worden war. Und während international - nach Nowickis verfrühtem, tragischem Tod - mit seiner Messehalle in Raleigh, North Carolina, eine neue Periode der Architekturgeschichte verkündet wurde, breitete man im damaligen Polen einen Mantel des Schweigens über dieses Thema." Erst ab dem Jahr 1989 sollte der Name Nowicki in Polen wieder ein Begriff werden.

Maciej Nowicki wurde 1910 in der sibirischen Stadt Chita (Transbaikalien) geboren, seine Familie war vorher aus Polen "umgesiedelt" worden, wie Tadeusz Barucki erwähnt. Die Familie konnte in die Gegend von Krakau zurückkehren. 1918 übersiedelte die Familie Nowicki nach Chicago, da Vater Zygmunt dort die Stellung des Generalkonsuls der Republik Polen erhielt. Der Sohn Maciej besuchte amerikanische Schulen, seine Begabung als Zeichner fiel früh auf. Nach einigen Jahren kehrte die Familie nach Polen zurück, Maciej besuchte Kunstschulen in Warschau und maturierte 1928 in Krakau.

Danach begann er ein Architekturstudium an der Technischen Universität in Warschau, das er 1936 abschloss. Der Architekt und Professor Rudolf Swier-czynski, der die Diplomarbeit Nowickis betreut hatte, beschäftigte den jungen Architekten als Assistenten an der Universität und als Mitarbeiter in seinem Büro.

Mit seiner Kollegin und späteren Frau Stanislawa Sandecka gründete Nowicki ein eigenes Büro, das vielseitig aktiv war: zu den ersten kleineren Aufträgen gehörte die Gestaltung von Cafés und Geschäften. Das Paar entwarf auch grafisches Design, gestaltete eine Reihe von Plakaten in avantgardistischem Design, den Bauhaus-Entwürfen verwandt.

Erste Erfolge

Es folgten einige Erfolge bei Wettbewerben, die zu Preisen, aber nicht zu größeren Aufträgen führten: eine Moschee in Warschau (1936), das Gebäude der "Wojwodschaft" in Lodz (1938), der Erste Preis für das Kurgebäude im heute litauischen Kurort Druskininkai.

Diese Beiträge zeigen Nowicki als virtuosen Zeichner, der in Bleistift-Perspektivzeichnungen seine Vision einer modernen Architektur mit dynamischem Strich entwickelt. Auffallend ist, dass gerade der preisgekrönte Entwurf für den Kurort Druskininkai eine perspektivische Ansicht eines klassizistischen Neubaus darstellt.

Einige Bauwerke sind noch heute erhalten: ein Haus für seine Eltern, ein Hotel in Augustow und eine Sporthalle in Warschau.

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Besetzung Polens wurde eine eigenständige polnische Entwicklung abgeschafft, die Universitäten geschlossen. Nowicki begann seine Tätigkeit als Lehrer an Berufsschulen für Bauwesen, die von den Nazi-Behörden geduldet wurden. Die Fakultät für Architektur wurde im Untergrund, an geheimen Orten weitergeführt.

Nach dem erfolglosen Warschauer Aufstand wurde das Zentrum der Hauptstadt zum großen Teil von der Besatzungsarmee zerstört. Nowicki, seine Frau und einige Kollegen flüchteten nach Zakopane in der südpolnischen Tatra-Region. Dort wurde ein weiteres Büro gegründet, in dem die umfangreichen Planungen für einen neuen Wiederaufbau der Hauptstadt entstanden. Nowicki wollte das zerstörte Zentrum als völlig neue Stadt entwickeln.

Mit dem Kriegsende kehrten Maciej und Stanislawa Nowicki nach Warschau zurück. Der neue Masterplan wurde diskutiert, Nowicki veröffentlichte einen grundlegenden Aufsatz ("Auf der Suche nach einem neuen Funktionalismus") in der neuen Zeitschrift "Skarpa Warszawska". Doch über den Wiederaufbau Warschaus wurde anders entschieden. In einem langwierigen Bauprozess wurde die historische Altstadt mühsam rekonstruiert.

Ende 1945 erhielt Maciej Nowicki die Einladung, als Berater der polnischen Vertretung in den USA tätig zu sein. In New York wurde er Mitglied des "UN Board of Design Consultants", einer internationalen Gruppe von Architekten (darunter Sven Markelius, Le Corbusier, Oscar Niemeyer), die von den soeben entstehenden "Vereinten Nationen" beauftragt worden war, das Hauptquartier in New York zu entwickeln.

1948 übersiedelte die Familie Nowicki nach Raleigh, North Carolina. An der dortigen Universität wurde im selben Jahr eine neue "School of Design" gegründet. Maciej Nowicki erhielt das Angebot, die Klasse für Architektur zu leiten, seine Frau Stanislawa betreute Entwurfskurse. Mit dieser günstigen Aussicht beschloss die Familie, in den USA zu bleiben.

Maciej oder Matthew arbeitete als engagierter Professor, wirkte in den letzten beiden Lebensjahren auch intensiv als Theoretiker und Essayist, schrieb in sehr gutem Englisch. Seine Tätigkeit als Architekt wollte er weiterführen, aber dabei war er auf die Zusammenarbeit mit amerikanischen Kollegen angewiesen. Noch fehlte ihm die amerikanische Befugnis als Architekt. 1949 entstand eine Kooperation mit Eero Saarinen für einige Neubauten der Brandeis Universität, die später von Saarinen umgesetzt wurden.

Und somit gelangt man zum letzten kurzen Kapitel in Indien, das nur ein Jahr umfasste. Der Anstoß dafür kam durch den Theoretiker und Kritiker Lewis Mumford, der Nowicki kannte und fördern wollte. Später schrieb Mumford über Maciej Nowickis städtebaulichen Gesamtplan für die Stadt Chandigarh: "Der Natur in der Auslegung von F.L. Wright, der trockenen Wissenschaft und der Maschine in der Auslegung von Le Corbusier fügte Nowicki das fehlende Glied dazu: den Menschen."

Die Ausstellung "Maciej Nowicki: Eine Architektenkarriere zwischen Polen, Amerika und Indien"ist noch bis 15. Februar 2013 zu sehen. Ausstellungszentrum im Ringturm 1010 Wien, Schottenring 30.Bernhard Widder geboren 1955 in Linz, lebt in Wien und ist als Schriftsteller, Lyriker, Essayist, Übersetzer und Architekt tätig.