Regelung für den Übergang gedacht. | Präsidentenwahl bald durch das Volk. | Premier Thaci spürt Gegenwind in eigener Partei. | Pristina. An sich ist es eher unüblich für einen souveränen Staat, dass der Botschafter eines anderen Landes vor laufenden Kameras eine innenpolitische Einigung verkündet. Der Fall des Kosovo ist aber nach wie vor ein spezieller. Und so war es US-Botschafter Christopher Dell - dem "Zeus des Kosovo", wie er von manchen bezeichnet wird - vorbehalten, vor der Presse zu verkünden, wer künftig an der Spitze des Balkanlandes stehen wird. | Porträt Atifete Jahjaga
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Nämlich Atifete Jahjaga. Dell, der sich zwei Tage lang bemüht hatte, die führenden Parteien des Kosovo auf einen Kompromiss festzulegen, hatte die politisch unerfahrene Juristin ein paar Stunden zuvor angerufen. Und die international bisher kaum bekannte junge Frau, die als stellvertretende Polizeichefin des Landes amtiert, ergriff ihre Chance, die sich aus der Notwendigkeit ergab, einen Weg aus der Staatskrise des Kosovo zu finden. Premier Hashim Thaci von der regierenden Demokratischen Partei (PDK), sein Koalitionspartner Behgjet Pacolli (AKR) und Oppositionschef Isa Mustafa (LDK) einigten sich auf die bald 36-Jährige.
Jahjaga wird zunächst freilich bloß eine Interimspräsidentin werden: Die Einigung der Parteichefs sieht nämlich die Bildung einer Kommission zur Verfassungsreform vor, um künftig eine Direktwahl des Staatschefs möglich zu machen. Bisher wurde das Staatsoberhaupt durch das Parlament gewählt. Diese Kommission soll ihre Arbeit in sechs bis neun Monaten abgeschlossen haben. Läuft alles nach Plan, sollen sechs Monate nach dem geplanten Inkrafttreten der neuen Verfassungsbestimmungen dann die Präsidentenwahlen stattfinden.
Dass Jahjaga bisher nicht gerade eine der bestimmenden politischen Figuren des Kosovo war, dürfte bei ihrer Kür eine entscheidende Rolle gespielt haben: "Die führenden politischen Kräfte wollten offenbar vermeiden, dass sich eine starke Persönlichkeit im Präsidentenamt profilieren kann", sagt der Grazer Kosovo-Kenner Martin Prochazka der "Wiener Zeitung". Das eher repräsentative Amt eigne sich nämlich gut, um Punkte zu sammeln: Das Staatsoberhaupt muss - ähnlich wie in Österreich - kaum unpopuläre Entscheidungen verantworten.
Staatskrise drohte
Eigentlich war das Präsidentenamt Thacis Koalitionspartner Pacolli versprochen. Dessen Partei hatte ihre Beteiligung an der Regierung im Februar mit dem Präsidentenamt für Pacolli verknüpft. Doch die bereits erfolgte, äußerst knappe Wahl des mit atemberaubender Geschwindigkeit in Russland zu Reichtum gelangten Bauunternehmers war vom Verfassungsgericht für ungültig erklärt worden. Ende März, nur einen Monat nach seiner Wahl, musste der 59-Jährige, dessen Ehe mit einer jungen Russin nicht nur auf Sympathie im Land stieß, als Präsident zurücktreten.
Die Zusammenarbeit mit Thacis PDK stand infolgedessen auf Messers Schneide. Fast wäre der Kosovo nicht nur ohne Präsident, sondern auch ohne Regierung dagestanden. Mit der jetzigen Einigung hat Premier Hashim Thaci noch einmal seinen Kopf aus der Schlinge gezogen.
Vorerst jedenfalls: Denn nicht nur die kleinen, nicht an der Einigung beteiligten Oppositionsparteien schäumen. Auch innerhalb von Thacis PDK regt sich bereits Unmut. Dass die Einigung im stillen Kämmerlein ausverhandelt wurde, passt Parteigranden wie Vizeparteichef Fatmir Limaj und Parlamentspräsident Jakup Krasniqi nicht. Der sagte, Thaci habe die Organe der Partei umgangen und deren Statuten verletzt. Krasniqi kritisierte auch die Entscheidung für Jahjaga: Für den Präsidentenposten seien Politiker nötig oder Akademiker, keine Polizisten.