Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Am 28. Oktober entscheidet das Volk im Kosovo über die politische Zukunft des Landes. Aber nicht das ganze Volk wird zu den Urnen schreiten, sondern nur die Kosovo Albaner. Seit Beginn der Registrierung im Frühling des Jahres bemüht sich die internationale Gemeinschaft, UNO und OSZE Hand in Hand, die Kosovo-Serben zur Registrierung zu überreden. Aber die weigern sich gegen die Zwangsbeglückung und sehen im Wahlboykott die einzige Möglichkeit ihre Missbilligung dieser Wahlen auszudrücken.
Zum einem fehlt es an einer politischen Plattform für die Kosovo Serben, von den 49 kandidierenden Parteien und unabhängigen Kandidaten tritt keine und niemand speziell für die Rechte der serbischen Minderheit ein. Kein Serbe würde es wagen zu kandidieren, damit würde er sein Todesurteil unterschreiben.
Denn der Alltag der Kosovo Serben ist dominiert von Einschüchterung. Sie können ihre Enklaven nicht verlassen, werden im öffentlichen Leben nicht nur diskriminiert, sondern mit direkter Gewalt bedroht. Die Familien, die nicht in Enklaven wohnen, sondern unter albanischen Nachbarn, werden von der KFOR zum Einkaufen eskortiert. Ansonsten verlassen sie ihre Wohnung nicht. In Krankenhäusern weigern sich die Ärzte, Serben zu behandeln.
Zum anderen befürchten die Serben, dass durch die Wahlen die etablierten Mafiastrukturen, die im Kosovo nach wie vor unter der Ägide von vielen ehemaligen UCK Kämpfern große Bereiche des öffentlichen Lebens administrieren, legal abgesegnet werden.
2 Parteien streiten um den Großteil der Wähler: Die "Partia Demokratike e Kosoves" (PDK) sammelt die ehemaligen UCK Kämpfer und Sympathisanten rund um den charismatischen Hashim Thaqi. Thaqi erwarb sich Ruhm als Führer der Befreiungsarmee UCK, ob er auch politische Führungsqualitäten hat, danach fragt das Volk nicht. Ibrahim Rugova ist der einzige, der mit seiner Partei "Lidhj Demokratike e Kosoves" (LDK) Chancen hat, in einigen Gemeinden die Mehrheit für sich zu gewinnen. Doch schon im Vorfeld des Wahlkampfes wurden gewinnträchtige Kandidaten der LDK Opfer von ungeklärten Mordanschlägen.
Die Serben sind schon eingeschüchtert, die gemäßigten innerhalb der Kosovo-Albaner werden es auch bald sein. Dennoch will die internationale Gemeinschaft unbedingt die Wahlen abhalten, denn Wahlen sind Ausdruck der Demokratie und die will man im Kosovo so schnell wie möglich etablieren. Fieberhaft arbeitet die internationale Gemeinschaft auf diesen Termin hin, UNMIK und OSZE sind mit der Implementierung betraut und da sich die internationale Gemeinschaft selbst nicht traut, wird der Europarat die Rolle des internationalen, unabhängigen und unparteiischen Wahlbeobachters übernehmen.
Und schon heute wissen wir, dass man diese Wahlen als frei und fair deklarieren wird, obwohl für freie und faire Wahlen eigentlich ein Minimum von öffentlicher Sicherheit vorhanden sein muss, die Einschüchterung von Kandidaten und Wählern ausschließt.
Der Grund, warum die internationale Gemeinschaft dennoch auf die Abhaltung der Wahlen drängt und in Kauf nimmt, dass keine Serben ihre Stimmen abgeben werden, findet man nicht in Pristina, wo zwar die nationalistischen Kräfte auf sofortige Wahlen drängen, sondern in Washinton. Bill Clinton wird bald sein Amt abtreten müssen und die Kosovo-Frage soll nicht mehr auf dem Schreibtisch seines Nachfolgers landen. Herr Clinton will seine für ihn persönlich so erfolgreiche Balkanpolitik krönen. Und was gäbe es da besseres als demokratische Wahlen im Kosovo?
Deswegen müssen wir alle wieder die "Lessons Learnt" schnell vergessen, sie bleiben nach wie vor nur ein nettes Schlagwort im theoretischen Diskurs, finden aber keinen Eingang in die Realpolitik.
Im Nachhinein in ein paar Jahren werden wir uns wieder einig sein, dass die Abhaltung der Wahlen zu diesem Zeitpunkt ein Fehler war, schon wie in Bosnien 1996, als die viel zu früh angesetzten Wahlen eine Ausrichtung der politischen Parteien nach ethnischen Identitätskriterien mit sich brachte und die OSZE sich heute vier Jahre später in der Situation wiederfindet, im Wahlkampf selbst aktiv eingreifen zu müssen. "Wähle die richtige Partei" konnte man auf OSZE Plakaten während den Gemeinderatswahlen in Bosnien Herzegowina im April dieses Jahres lesen und alle im Land wussten, welche Partei damit gemeint war. Jetzt kann sich die internationale Gemeinschaft im Kosovo noch darauf beschränken, das Volk mit bunten Plakaten zum Urnengang zu animieren.
Durch die neue politische Situation in Belgrad hätte die internationale Gemeinschaft nun die Möglichkeit alle politischen Kräfte Jugoslawiens an einem Tisch zu versammeln und die zukünftige politische Struktur eines gemeinsamen Jugoslawiens zu diskutieren. Danach könnten in allen Teilen des Landes Wahlen ausgerichtet werden, die allgemein akzeptabel sein würden. Denn auch wenn Milosevic gegangen ist, bleibt es fraglich ob die neue Führung unter Kostunica die Wahlen im Kosovo ohne Beteiligung der Kosovo-Serben wird akzeptieren können.
Die Abhaltung der Wahlen am 28. Oktober wird nur der Etablierung einer quasidemokratischen Struktur im Kosovo dienen, während die Klärung der zukünftigen gesamtjugoslawischen Verfassung nicht nur dem derzeitigen Trend nach einer großalbanischen Lösung im Kosovo entgegenwirken könnte, sondern auch die separatistischen Tendenzen der Montenegriner eingrenzen und somit wirklich zu einer Stabilisierung der gesamten Balkanregion beitragen könnte.
Gudrun Kramer ist Mitarbeiterin des ÖSFK.
Das Österreichische Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) ist ein privater, gemeinnütziger und parteiunabhängiger Verein zur Förderung von Friedensforschung, Friedenserziehung und Friedenspolitik. Schwerpunkte sind die Friedensuniversität und die Trainingskurse für zivile Konfliktbearbeitung.