Serbische Minderheit soll weitreichende Autonomie erhalten.
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Brüssel/Belgrad. Serbien und Kosovo haben in Brüssel die lang erwartete Einigung zum Status des Nordkosovo erzielt. Unter dem Vertrag fehlen nur noch die Unterschriften, hieß es nach einer neuerlichen Marathon-Runde am Dienstagnachmittag inoffiziell aus Brüssel. Die Details müssten noch ausgearbeitet werden. Bis zum Redaktionsschluss stand die Bestätigung noch aus.
Auf eine Einigung zwischen dem serbischen Premier Ivica Dacic und Hashim Thaci, dem Ministerpräsidenten der ehemaligen serbischen Provinz Kosovo, hatte jedoch einiges hingedeutet: Erstens war es die vorerst letzte Verhandlungsrunde der 2011 begonnenen Gespräche. Zweitens stieß auch der serbische Vize-Premier, der wegen seines Korruptionskampfs in Serbien derzeit äußerst beliebte Aleksandar Vucic, zu den Gesprächen mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton. Auch das kosovarische Team wurde mit den Vize-Premiers Hajredin Kuci und Slobodan Petrovic verstärkt. Und drittens naht die Veröffentlichung der Fortschrittsberichte der EU-Kommission Mitte April, die vor allem für Serbien von Bedeutung sind.
Selbständigkeit statt Parallelwelt
Der Dialog drehte sich um den Norden des Kosovo, der mehrheitlich von Serben bewohnt wird. Diese erkennen die Institutionen des Kosovo nicht an , genauso wenig wie bisher Belgrad, das dort seine Parallelstrukturen schalten und walten lässt - Schulen, Ämter, Krankenhäuser werden von Serbien finanziert und verschlingen Milliarden an Steuergeldern. Die bisher kolportierte Lösung würde statt der Parallelinstitutionen in gewisser Weise die Selbständigkeit der Serben im Norden, in Form eines Bundes der serbischen Gemeinden, vorsehen, allerdings ohne exekutive und legislative Rechte.
Die serbische Seite hätte gerne ihre Polizeikommandanten und Richter in erster und zweiter Instanz bestellt, doch der Kosovo, die Europäische Union und die USA sind dagegen. Im Kosovo befürchtet man, dass der Norden mit so viel Macht ausgestattet, zu einer zweiten Republika Srpska, der Entität in Bosnien und Herzegowina mit Abspaltungstendenzen, werden könnte.
Während der Verhandlungen schwebte immer das Datum für den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien im Raum. Bescheinigt die EU-Kommission Serbien in ihrem Bericht Fortschritte, könnte das Land im Juni das Datum für den Beginn der Verhandlungen bekommen.
Kosovo hofft auf Assoziierungsabkommen
Doch auch für den Kosovo steht einiges auf dem Spiel, wenn es sich nicht auf Serbien zubewegt: Kosovo hat noch kein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU, außerdem ist eine Lockerung der Visa- und Einreisebestimmungen in die EU in weiter Ferne. Beides könnte nach einem Scheitern des Dialogs zum Erliegen kommen. Das sei aber bei weitem nicht so schlimm, als wenn Belgrad kein Verhandlungsdatum bekäme, sagt der Balkan-Experte Daniel Serwer. In jedem Fall würde man aber die Isolation des Kosovo vorantreiben und möglicherweise albanischen Nationalsten einen unerwünschten Schub verpassen.
Warum es acht Verhandlungsrunden brauchte, um einen Beschluss zu fassen, der in Form des Ahtisaari-Plans schon seit 2007 auf dem Tisch lag, war wie immer politisch motiviert. Serbische Parteien wollten von sich aus nicht eingestehen, dass der Kosovo mit seiner Unabhängigkeitserklärung 2008 für immer verloren war, weil sie mit dem Festhalten an der "Wiege Serbiens" Wahlen gewinnen konnten. Doch mit dem Druck der EU änderten auch die größten Nationalisten ihren Ton.
Etwa der ehemalige Ultranationalist und jetzige Präsident Tomislav Nikolic, der Aleksandar Vucic, seinen Nachfolger an der Spitze der Fortschrittspartei, zur letzten Verhandlungsrunde nach Brüssel geschickt haben soll. Vucic, so hieß es in den vergangenen Monaten in serbischen Medien, wolle Neuwahlen vom Zaun brechen, wenn Dacic bei dem Kosovo-Dialog nachgebe und die ehemalige Provinz damit de facto anerkenne. Er könnte sogar mit einer Absoluten rechnen, so sehr war seine Popularität in der Öffentlichkeit gestiegen. Mit seiner Beteiligung an den Gesprächen aber stellte Vucic vorerst die Interessen des Landes vor jene seiner Partei. Politische Stabilität eines künftigen Verhandlungspartners kommt auch bei den EU-Mitgliedsstaaten gut an.
Wirtschaftlich wird sich vorerst nichts ändern
Wirtschaftlich gesehen würde das Datum für Serbien keinen Effekt haben, sagen manche serbische Wirtschaftsexperten. Denn das EU-Budget für 2014-2020 muss erst beschlossen werden, wie viel dabei für Serbien rausspringt, ist derzeit noch unklar.
Investitionen aus dem Ausland würden trotz der Rechtssicherheit, die mit den Verhandlungen einhergeht, jedoch ausbleiben, weil die europäische Wirtschaft geschwächt sei, lautet die düstere Prognose. Serbische Ökonomen vergleichen das Land mit dem baldigen EU-Mitglied Kroatien, das in den vergangenen Jahren, obwohl an der Schwelle zur EU, keine nennenswerten Investoren anlocken konnte.