Zahl der Krebserkrankungen nach Jugoslawien-Krieg stark gestiegen. | Munition mit abgereichertem Uran verwendet. | Pristina/Wien. Nikola war 1999 vier Jahre alt und spielte gerade mit Freunden im Garten in Kosovska Mitrovica, als sich ein kleiner Bombensplitter in seinem Hals festsetzte. Die Nato hatte im Kosovo-Krieg eingegriffen und mit der Bombardierung des damaligen Jugoslawien begonnen. Erst neun Jahre später wurde bei Nikola Krebs diagnostiziert - die Ärzte fanden ein radioaktiv verseuchtes Teil in seinem Hals. Nikola wurde bereits etliche Male operiert, er kämpft weiter um sein Leben.
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"Es gibt keinen Tag, an dem nicht zumindest bei einem Patienten Krebs diagnostiziert wird", sagt der in der kleinen Kosovo-Stadt Zvecan tätige Arzt Vlastimir Cvetkovic der Belgrader Zeitung "Vecernje novosti". Der Arzt hat keinen Zweifel daran, dass die vermehrten Krebsfälle auf radioaktives Uran zurückzuführen seien. "Der Kosovo ist zu einem kleinen Hiroshima geworden."
In den vergangenen drei Jahren sei eine starke Zunahme an Schilddrüsenkrebs registriert worden. Vor allem Frauen seien betroffen. Viel öfter als vor dem Krieg würde zudem Gebärmutterkrebs diagnostiziert. Besonders erschüttert den Arzt, dass Kinder an Krebs erkranken und sterben. Erst kürzlich sei bei einer Zwölfjährigen Brustkrebs diagnostiziert worden.
Radioaktivität in Luft
Nach Angaben des in Pristina erscheinenden Blattes "Ekspress" gibt es im Kosovo die meisten Krebs-Todesfälle in der Region. An Krebs würden dreimal so viele Albaner sterben als vor dem Krieg. Ärzte führen diesen Anstieg auch auf die Radioaktivität zurück.
"Es ist ein Erfolg, wenn bei jemandem, der ins Krankenhaus kommt, nicht Krebs diagnostiziert wird", sagt der in Kosovska Mitrovica tätige Arzt Nebojsa Srbljak. Die vermehrten Krebsfälle führt er auf das Einatmen radioaktiver Substanzen zurück. Nur jeder fünfte Mann zwischen 20 und 50 Jahren, bei dem Krebs diagnostiziert wurde, habe geraucht. Dafür seien viele im Krieg mobilisiert gewesen.
In den vergangenen Jahren sei die Zahl der an Leukämie, Leukose und Hodenkrebs Erkrankten dramatisch angestiegen. Vermehrt komme es auch zu Abtreibungen, weil die Kinder ohne Gliedmaßen oder mit anderen genetischen Defekten auf die Welt kommen würden, schildert Srbljak.
Die Nato hatte ein Jahr nach der Bombardierung des damaligen Jugoslawien offiziell zugegeben, im Kosovo-Krieg Munition mit abgereichertem Uran eingesetzt zu haben. Die UN-Umweltorganisation (Unep) berichtete, dass US-Kampfjets bei mehr als 100 Luftangriffen 31.000 Einheiten Munition mit insgesamt rund zehn Tonnen abgereichertem Uran verwendet hätten. Auch etliche Soldaten der internationalen Kosovo-Truppe klagten nach ihren Einsätzen über Beschwerden.
Militär relativiert
Die Wirkung von abgereichertem Uran auf den menschlichen Organismus wird unterschiedlich bewertet. So relativieren vor allem Militärs: Die Alpha-Strahlung von Uran 238 wirke nur auf kurze Distanz und könne gar nicht von außen durch die Haut in den Körper dringen. In diesem Sinne kam eine EU-Expertenkommission im Jahr 2001 zu dem Schluss, dass Menschen im Kosovo keiner Gefährdung ausgesetzt gewesen seien. Viele Ärzte und Wissenschafter sind aber anderer Meinung: Urangeschosse setzten beim Aufprall Feinstaub frei, der über die Atemwege in den Körper gelangen könne. Dieser Stoff sei krebserregend, schwäche das Immunsystem und schädige das Erbgut.