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Kostbare Kinder

Von Petra Paterno

Wirtschaft
Willhaben! Musshaben! Der Spielzeughandel läuft dieser Tage auf Hochtouren. Das große Geschäft mit dem Kinderspaß wird mit raffinierten Marketingtricks geführt.
© corbis

Weihnachtlicher Zwischenstopp: Weshalb gestaltet sich der Kauf von Kinderspielzeug bisweilen so schwierig?


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Die Briefe ans Christkind sind geschrieben. Die weihnachtlichen Wunschlisten liegen, nicht selten unter Nennung von Artikelnummer und Mengenangabe, zur Weiterbearbeitung auf. Eine der wichtigsten Anlaufstellen für die erwachsenen Erfüllungsgehilfen der Kinderwünsche ist nun das Spielzeuggeschäft.

Lokalaugenschein in einer Wiener Spielwarenhandlung. Donnerstagvormittag, reger Betrieb. Ein Mann in Bürokluft hetzt mit Playmobil-Karton unterm Arm Richtung Kasse, vorbei an einer Frau, deren Baby im Kinderwagen schläft. Die junge Mutter stöbert in einem raumhohen Regal mit Plastikspielzeug, das unterschiedliche Grade der Lärmentwicklung verspricht. Ein älteres Ehepaar arbeitet sich durch die Gänge. Der Wunschzettel leitet die beiden zu einem rosa-glitzernden Berg aus Schachteln, über dem das Schild "Barbie" prangt. Da ist die pinkfarbene Kutsche, die laut Verpackung leuchten und Musik spielen soll. "Ist das die richtige?", fragt die Frau.

Wofür soll man sich entscheiden? Im Handel findet sich genügend Spielzeug der Marke Elterngeneration in den Regalen: Eisen- und Carrera-Bahn, Holzklötze, Kaufmannsladen, Puppen, Brettspiele - nur: Kinder wünschen sich nicht unbedingt Alltime-Klassiker. Kinder verlangt es nicht nach Nostalgie, sondern nach dem aus TV- und Zeitungswerbung bekannten Warenangebot, nach all dem, was cool ist und auch im Freundeskreis ankommt.

Hier fangen die Probleme an. Der Einkauf von Schnickschnack für Kindergarten- und Volksschulkinder ist bisweilen alles andere als einfach.

Materialschlacht im Handel

Die Spielzeugindustrie hat diese Altersklassen längst als ideale Zielgruppen entdeckt - Kinderstars, Serien, Softwareangebote auf allen Kanälen. Die kaufwirksame Kombination von Kinderfilm, Sammelbild, Plastikzeug und gezuckerter Limonade wird spätestens seit den 1970er Jahren durchprobiert. Aber verglichen mit dem heutigen Raffinement der Marketingstrategen nehmen sich die PR-Maßnahmen im ausgehenden 20. Jahrhundert wie regelrechter Kinderkram aus: Im Durchschnitt sieht ein Kind der westlichen Hemisphäre im Alter von sechs bis 13 Jahren heute 900 Werbespots im Monat.

Die Spielzeugindustrie ist erwachsen geworden - und packt das große Geschäft mit dem käuflichen Kinderspaß in aller Ernsthaftigkeit an: In Österreich wird jährlich Spielzeug für rund 300 Millionen Euro eingekauft, von Mitte Oktober bis Dezember werden schätzungsweise 40 Prozent des Jahresumsatzes erwirtschaftet. Dabei wird nichts dem Zufall überlassen.

Nicht nur, dass die Geburtenrate sinkt. Der Trend geht in die Richtung, dass Kinder ab zehn Jahren für klassisches Spielzeug bereits verloren sind und sich dann vorwiegend auf das elektronische Spielfeld stürzen. Um unter diesen Umständen den Umsatz zu halten, müssen immer weniger Kinder in immer kürzerer Zeit mit möglichst viel Spielzeug versorgt werden.

Die Big Player der Kinderträume - Firmen wie Lego, Hasbro, Playmobil, Mattel, Simba Dickie Smoby - erhöhen auch deshalb den alljährlichen Kaufdruck. Eine Strategie ist die Bereitstellung ausgetüftelter Spielwelten, die zu stetigen Erweiterungskäufen einladen: vom Feuerwehrauto über den kleinen, mittleren und großen Löschwagen bis zur kompletten Brandwache.

Wobei das Angebot längst über die diversen Ausformungen des Stadt- und Landlebens im Miniaturmaßstab hinausgewachsen ist. Neuerdings punkten die Hersteller mit Traumwelten. 2011 führte Lego die Ninjago-Baureihe ein, die bald zum veritablen Verkaufsschlager avancierte - nach Star Wars und Lego City nimmt Ninjago innerhalb des Konzernumsatzes bereits den dritten Verkaufsrang ein.

Als Ninja-Krieger ausstaffierte Legofigürchen kämpfen dabei mit überirdischen Kräften und martialischen Boliden gegen Fabelwesen, Schlangen und Skelette. Filme, Zeitschriften, Online-Spiele ergänzen das Sortiment. Der Clou: Kaum lagert genügend Ninjago-Material im Kinderzimmerregal, entlässt Lego die nächste Welt, das nächste Muss-Haben: Lego-Chima, die Nachfolgereihe, ist seit kurzem erhältlich. Die Baureihe spielt im fiktiven Land Chima, in dem acht animalisch-archaische Stämme gegeneinander antreten.

Die tatsächliche Kampfzone? Eine schwer überblickende Materialschlacht aus kleinen und großen Geschenkpaketen.

Werte wie im Mittelalter

Neben den schnellen Produktzyklen wird das Geschäft auch von strikter Gender-Politik am Laufen gehalten, die Spielsachen optisch bevorzugt in einen Rosa-braven-Mädchenbereich und eine Bunt-wilde-Bubenwelt trennt. Selbst geschlechtsneutrale Ware von Lego und Playmobil gibt es inzwischen in getrennter Ausformung: Vermeintlichen "Mädchenthemen" (Feen, Einhörner, Prinzessinnen) stehen scheinbare "Bubenthemen" (Piraten, Indianer, Ritter) gegenüber.

Genderforscherinnen werfen der Industrie nicht erst seit gestern "Pinkifizierung" und "Gender-Apartheid" sowie die Rückkehr zu "Werten wie im Mittelalter" vor. Schneidend argumentiert, vermutlich aber nicht ganz zu Ende gedacht: Vielleicht wird so die Macht von Grinsekatze Hello Kitty, Prinzessin Lillifee (von der über 320 Produkte auf dem Markt sind) und der ewigen Tussi Barbie erst wirklich ins Übermaß gesteigert? Den Rosa-Trip lassen viele bald wieder hinter sich. Trotzdem lässt es sich nicht schönreden: In den Fachgeschäften lagern Massen an Spielzeug, bei denen mitunter das Auspacken auch schon das Interessanteste ist - und die den Kleinen vorgestrige Rollenbilder vermitteln, die wenig Spielraum und Gedankenfreiheit lassen.

Dennoch funktioniert das Geschäft wie geschmiert. Der weltweite Umsatz der Spielzeugindustrie lag laut deutschem Statistik-Portal im Vorjahr bei rund 84 Milliarden US-Dollar (2006: 67 Milliarden).

Weshalb machen Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel beim großen Spielzeugkauf mit? Vielleicht liegt es, im weitesten Sinne psychologisch betrachtet, an jenem Reservoir an Schuldgefühlen, das sich leicht anzapfen und zu Geld machen lässt.

Besonders in den urbanen Zentren haben viele Erwachsene das Gefühl, zu wenig Zeit für ihre Kinder zu haben. Marketing-Strategen nützen die Verunsicherung der Eltern. Sie suggerieren: Die Kinder wollen das. Die Eltern kaufen es. Was soll daran also falsch sein? So wachsen gerade zu Weihnachten - sei es aus schlechtem Gewissen, sei es aus falsch verstandener Zuneigung - die Spielzeugberge, obwohl viele Eltern ihre Kinder gerade vor dem Zuviel an Konsum bewahren wollen.

Eine Zwickmühle, aus der es nur einen Ausweg gibt: Gelassenheit und Zurückhaltung. Das eine oder andere Paket weniger fällt garantiert nicht auf.