Scharfe Kritik an von Italien erteilten Papieren, Rom trotzig. | Wien, Berlin erwägen Kontrollen an Binnengrenzen. | Einige EU-Länder nehmen freiwillig Flüchtlinge. | Brüssel.Wenn es um Flüchtlingsbewegungen und Asylwerber geht, ist die EU selten einer Meinung. Verhandlungen über ein gemeinsames EU-Asylsystem, das 2012 hätte fertig sein sollen, stecken komplett. So versucht Italien den Migrationsdruck aus Nordafrika mit ungewöhnlichen Mitteln zu lindern, blitzt gemeinsam mit Malta bei mit der Forderung nach der Aktivierung einer Notklausel ab und hört aus Österreich und Deutschland, dass es selbst unsolidarisch handle.
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Die beiden überlegen - wie Frankreich - die Binnengrenzen des Schengenraums wieder hochzuziehen. Die beim Treffen der EU-Innenminister anwesende Schweizer Justizministerin Simonetta Sommaruga sah bereits "das Schengen-System auf die Probe gestellt". Die EU greift daher zum üblichen Rezept: Die Südgrenzen sollen dichter, die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll verstärkt werden.
Denn nachdem in der Nacht auf Montag erneut rund 700 Menschen aus Tunesien auf der kleinen italienischen Insel Lampedusa gelandet waren, zeigte sich ein gewohntes Bild: Italiens Innenminister Roberto Maroni warb für mehr Solidarität mit den europäischen Mittelmeeranrainern. An die 28.000 illegale Eingewanderte sollen seit Jahresbeginn aus Nordafrika gekommen sein. Die meisten hätten jedoch nicht um Asyl angesucht, meinte Innenkommissarin Cecilia Malmström - es handelt sich scheinbar überwiegend um Wirtschaftsflüchtlinge.
Weil die Italiener begonnen haben, ihnen vorübergehende Aufenthaltsgenehmigungen auszustellen, setzte es herbe Kritik aus Österreich und Deutschland. Das italienische Vorgehen könne einen "enormen Staubsaugereffekt" zur Folge haben, warnte die österreichische Innenministerin Maria Fekter. Rom rechne nämlich damit, dass die illegal Eingewanderten in andere EU-Länder weiterziehen.
"Italien putzt sich ab", kommentierte Fekter. Sollte es diese Praxis fortsetzen, müssten die offenen Binnengrenzen in Frage gestellt werden. "Wenn Bayern andenkt, seine Schengen-Grenzen wieder dichtzumachen, müssen wir Österreicher das selbstverständlich auch", befand die Ministerin. Ihr deutscher Amtskollege Hans-Peter Friedrich hatte schon zuvor strengere Kontrollen angekündigt und sich gegen die Vergabe von "undurchsichtigen Aufenthaltstiteln an tunesische Arbeitsmigranten" durch die italienischen Behörden gewandt.
Besorgtes Frankreich
Die meisten Sorgen machen sich die Franzosen, welche wegen ihrer großen Anzahl bereits im Land lebender Tunesier, die fast alle auch französisch sprechen, den größten Andrang befürchten. Paris ließ die Kontrollen im Grenzraum zu Italien verstärken, obwohl Maroni seinem französischen Kollegen Claude Gueant die strikte Einhaltung des Schengen-Kodex zugesagt hatte.
Der erlaubt die Ausstellung des Schengenvisums nur unter gewissen Umständen wie Vorhandensein von Reisedokumenten und ausreichend finanziellen Mitteln für die Bestreitung des Lebensunterhalts für die Aufenthaltsdauer. Wie genau sich die Italiener wirklich daran halten, blieb unklar.
Eine eindeutige Absage gab es von Malmström vorläufig für die Aktivierung einer Notfallklausel für den Fall von "massivem Flüchtlingsansturm". Dafür sei es eindeutig zu früh, sagte die Schwedin. Einige Länder hätten aber auf freiwilliger Basis zugesagt, Menschen aufzunehmen, die internationalen Schutz brauchen. Darunter seien Belgien, Portugal, Spanien, Schweden, Deutschland und das Nicht-EU-Land Norwegen. Die Schweizerin Sommaruga berichtete von zunehmenden illegalen Grenzübertritten aus Richtung Italien.
Dessen Innenminister Maroni gab sich am Ende des Treffens trotzig: Er fragte öffentlich, "ob es noch Sinn macht, EU-Mitglied zu sein", wenn sein Land in der Flüchtlingsfrage "alleine gelassen" werde.