Regierung in Dublin erhöht erneut Gebühren und kürzt Arbeitslosengelder.
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London/Dublin. Als erstes Euro-Krisenland will Irland in Kürze unterm Rettungsschirm der Währungszone hervortreten und finanziell wieder auf eigenen Füßen stehen. Das habe er, meint Regierungschef Enda Kenny, dem Land ja hochheilig versprochen: dass es erneut "wirtschaftlich souverän" sein werde - "eine unabhängige Nation".
Vom 15. Dezember an will Kenny wieder ohne Schirm auskommen. Aber noch ist keineswegs klar, ob Irland es ganz ohne neue Hilfskredite schafft. Ob das Land mit der höchsten Schuldenrate Europas sich künftig aus eigener Kraft aus seiner Banken-Misere retten kann. Auch Kenny weiß, "dass wir noch einen langen Weg vor uns haben".
Land ist laut IWF noch anfällig für neue Krisen
Zwar meldet die irische Wirtschaft in diesem Herbst die ersten Zeichen eines leichten Aufschwungs. Und fürs nächste Jahr hat Dublin auf den Finanzmärkten bereits ausreichend Reserven zur Deckung des erwarteten Defizits aufgenommen. Zwei der drei großen Rating-Agenturen haben die Grüne Insel in Sachen Kreditwürdigkeit etwas höher eingeordnet. Doch ob das mittelfristig ausreicht, ist noch schwer zu sagen.
Den EU-Partnern wäre es natürlich hochwillkommen, wenn nun - wie es Kenny ausdrückt - "der Notstand für Irland endlich vorbei" wäre. Das würde der Eurozone insgesamt Erleichterung verschaffen. Aber der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die Iren in seinem jüngsten Report gewarnt, dass sie noch immer anfällig seien für neue, schwere Krisen.
Mit einer Rekord-Staatsverschuldung von 123 Prozent des Bruttonationalproduktes müsste das Land, um seine Schulden abtragen zu können, über einen längeren Zeitraum Wachstumsraten von drei bis vier Prozent erzielen. Gerade was die lebensnotwendigen Exporte angeht, hängt Irlands Wirtschaft jedoch weiterhin von einer ungewissen internationalen Entwicklung ab. Und die Situation im irischen Bankenbereich beschreibt der IWF als noch immer äußerst bedenklich.
Mit Schaudern denken die Iren an jenen Herbst vor fünf Jahren zurück, in dem die große Immobilienblase platzte und ihr Bankensystem kollabierte. Seit damals ist das kleine Land im Nordwesten Europas buchstäblich Geisterbahn gefahren. Die Einbrüche waren dramatisch. Das Baugewerbe starb über Nacht. Hauspreise fielen um 60 Prozent. Dafür schnellte die Arbeitslosigkeit auf über 17 Prozent in die Höhe. Hunderttausende junger Iren emigrierten.
Im Herbst 2010 blieb Dublin nichts anderes, als sich unter den Rettungsschirm von EU und IWF zu flüchten. 67,5 Milliarden Euro hat die Rettungsaktion seither erfordert. Eingetragen hat sie den Iren Kontrollen, rabiate Kürzungen, scharfen Abbau von Sozialleistungen.
Meisten Iren reagieren mit stummem Zorn
Und diese Woche trat das siebte Sparbudget binnen sechs Jahren in Kraft. Noch einmal wurden Arbeitslosengelder gekappt, Beihilfen gestrichen und Gebühren angehoben. Insbesondere junge Leute und Pensionisten müssen diesmal für die teils kriminellen Banken- und Bauhai-Spekulationen der "Keltischen Tiger"-Jahre die Rechnung zahlen.
2,5 Milliarden Euro soll der Haushalt für 2014 sparen helfen - und so das Haushaltsdefizit auf unter fünf Prozent drücken. Insgesamt 28 Milliarden Euro sind in den vorherigen sechs "Notstands-Budgets" eingespart worden. In stummem Zorn haben die meisten Iren die zunehmende Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen und die Schrumpfung des öffentlichen Sektors hingenommen.
Diesmal, suchte am Mittwoch Vize-Premier Eamon Gilmore seine Landsleute zu trösten, habe es sich gewiss um "das letzte der schwierigen Budgets" gehandelt. So recht mögen das nicht alle Iren glauben. Viele machen auch Gilmores Labour Party, die Juniorpartnerin der Koalition mit der rechtsliberalen Fine Gael von Premier Kenny, für die schmerzhaften Risse im sozialen Netz verantwortlich.
Labour ist von 19 Prozent Stimmen, die es bei den Wahlen von 2011 erhielt, in letzten Umfragen auf katastrophale 6 Prozent abgesackt. Mit 26 Prozent für Fine Gael kommen die beiden Regierungsparteien nicht mal mehr auf ein Drittel aller Stimmen. Bei den Wahlen 2011 stimmte noch mehr als die Hälfte der Iren für eine der beiden Parteien. Inzwischen setzen Kenny und Gilmore alle Hoffnung auf neues Wirtschaftswachstum. Immerhin werden fürs nächste Jahr erstmals wieder mehr als zwei Prozent Zuwachs erwartet. Frisches Kapital fließt derzeit ins Land, zur Erleichterung Dublins. Selbst im Baugewerbe zeigt sich zögernd neues Interesse.
Andererseits hängt die Binnenwirtschaft noch sehr in den Seilen. Die irische Kaufkraft ist so sehr abgeschmolzen, dass die Iren allein ihre Wirtschaft nicht in den schwarzen Zahlen halten können. Das macht verständlich, warum die Regierung in Dublin so nervös auf die gegenwärtigen Koalitionsverhandlungen in Berlin schaut.
Forderungen der deutschen SPD nach einer Erhöhung der minimalen Körperschaftssteuer Irlands - sie beträgt derzeit 12,5 Prozent - haben alarmierte Schlagzeilen und trotzige Reaktionen in Dublin hervorgerufen. Man halte "hundertprozentig" an diesem Steuersatz fest, hat der Fine-Gael-Wirtschaftsminister Michael Noonan gelobt: "Daran wird sich nichts ändern."
Ein "i" in "Piigs" willDublin streichen
Freilich weiß man auch in Dublin, dass Irland möglicherweise weiter auf Euro-Kredite angewiesen sein wird. Regierungs-Kritiker rufen deshalb auch nachdrücklich nach Schuldenvergebung im europäischen Rahmen. Nur so könne Irland auf Dauer wieder ins Gleichgewicht kommen.
Labour-Chef Gilmore wäre schon froh, wenn sein Land nicht länger zu den ursprünglich hilfsbedürftigen "Piigs" (Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien) zählen würde. Ein "i" aus den "Piigs" wollen die Iren am 15.Dezember "für immer" streichen. "Wir haben", meint Gilmore mit hartnäckigem Optimismus, "unsere internationale Glaubwürdigkeit wieder hergestellt."