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Von 1912 bis 1938 fanden Schwimm- und Ruderwettbewerbe im Wiener Donaukanal statt.
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Bereits zum vierten Mal ist der Wiener Donaukanal heuer Mitte Mai Austragungsort von "viennautica", einem der größten Sportbootevents Österreichs. "Einer", "Achter", "Standup Paddler" und "Drachenboote" werden das Wasser durchpflügen, Wettkampfatmosphäre wird sich unter den Zuschauern am Ufer ausbreiten, vermischt mit Flair von "ein bisschen Cambridge", wie es eine Tageszeitung formulierte.
Dabei bräuchte man gar nicht berühmte Sportveranstaltungen in anderen Städten zu bemühen, sondern nur in die eigene Vergangenheit blicken. Denn Wiens "kleine Donau" war schon einmal ein viel beachtetes Zentrum des Wassersports.
Im Mittelpunkt stand zunächst das Schwimmen, ein Sport, der seit Ende des 19. Jahrhunderts breitere Bevölkerungsschichten erfasste. 1887 wurde der "Erste Wiener Amateurschwimmclub" gegründet, 1909 folgte der "Arbeiter-Schwimmverein Wien", der schon bald auch eine steigende Zahl an weiblichen Mitgliedern aufwies. Zahlreiche Wettbewerbe wurden ausgetragen, darunter die sogenannte "Strommeisterschaft", direkt im Hauptbett der Donau auf einer Länge von fünf Kilometern.
Nur 11 Grad Celsius
Die zunehmende Beliebtheit dieser Veranstaltung ließ eine Verlegung in größere Stadtnähe ratsam erscheinen. Der Donaukanal bot sich als Austragungsort an, war er doch gerade - nach Jahrzehnten der immer wiederkehrenden Umgestaltung - städtebaulich erneuert und in seine heutige Gestalt gebracht worden.
Unter dem neuen Titel "Quer durch Wien" fiel Anfang September 1912 der Startschuss für den ersten Schwimmwettkampf im Donaukanal. Die Strecke verlief von der Nußdorfer Schleuse bis zur damaligen Kaiser-Joseph-Brücke (heute Stadionbrücke), Gesamtlänge: nicht ganz zehn Kilometer. Organisator war Leopold Mayer, einer der besten Schwimmer des Landes, fünfmaliger Gewinner der Strommeisterschaften.
Die äußeren Bedingungen stellten, neben der beachtlichen Streckenlänge, die größte Herausforderung dar. Das Wetter war unbeständig und kalt, die Temperatur des Wassers betrug knapp 11 Grad Celsius. Nur insgesamt 18 Teilnehmer wagten sich in die Fluten, angespornt von rund 100.000 Zuschauern, die die Uferböschungen säumten. Nach knapp einer Stunde erreichte der geübte Langstreckenschwimmer Franz Schuh als Erster das Ziel, erschöpft und mit krampfverzerrtem Gesicht; eine Viertelstunde später folgte Else Straßhofer als schnellste Frau.
Ein Jahr später wurde der Wettbewerb erneut abgehalten, und er sollte fortan zu einem Fixtermin im jährlichen Veranstaltungskalender werden . Kurz danach fand zum ersten Mal ein Ruderwettbewerb im Donaukanal statt. Mehr als sechzig Boote fuhren von der Nußdorfer Schleuse bis zur Einmündung des Wienflusses, und auch zu dieser Veranstaltung kamen tausende begeisterte Zuschauer. Der Donaukanal begann sich, wie erhofft, als Zentrum des Wassersports zu etablieren.
Zum letzten Mal vor dem Ersten Weltkrieg wurde das "Propagandaschwimmen" im Sommer 1914 veranstaltet. Das Attentat in Sarajewo bedingte zwar eine zeitliche Verschiebung von Juni auf Juli, der Wettkampf konnte aber reibungslos durchgeführt werden. Bei gutem Wetter siegte Simon Orlik, die aufstrebende Schwimmerin Berta Zahourek folgte ihm als schnellste Frau knapp zwei Minuten später ins Ziel.
Nach den Verheerungen des Krieges ging man Ende Juli 1919 an die Fortsetzung des erfolgreichen Bewerbs, allerdings unter geänderten Bedingungen. Die Strecke wurde auf siebeneinhalb Kilometer verkürzt, sie verlief nunmehr von Nußdorf bis zur Sophienbrücke (heutige Rotundenbrücke). Da Leopold Mayer im Krieg gefallen war, wurde die Organisation in neue Hände gelegt und insofern modifiziert, als alle Teilnehmer vor dem Start eine Schwimmprüfung zu absolvieren hatten. Die ehemals teils dramatischen "Lebensrettungsszenen" sollten endgültig der Vergangenheit angehören.
Der Wettbewerb hatte geradezu Festcharakter. Die Sehnsucht nach Unterhaltung schien ungebrochen, sie linderte die Not der unmittelbaren Nachkriegsjahre. Rund 250.000 Zuschauer wohnten dem Ereignis bei, die Stimmung - auch bei den Sportlern - war bestens. Schon am Startplatz herrschte lebhaftes Treiben. Während die Frauen sich in den Kabinen des Nußdorfer Strombades umkleideten, taten die Männer dies, so das "Sportblatt am Mittag" augenzwinkernd, "in Gottes freier Natur". "Braungebrannte Sportgestalten" rieben ihre Körper sodann mit einer dicken Fettschicht ein, um sich gegen die Kälte des Wassers zu schützen, dessen Temperatur lediglich 14 Grad Celsius betrug. Ironische Zurufe "Ist’s kalt?" wurden energisch mit "Nein!" beantwortet. Die gute Laune hielt auch nach dem Start an, was sich daran zeigte, dass Teile des Feldes "lebhaft miteinander konversierten". Eine Schwimmerin stimmte sogar einen kräftigen Jodler an.
Seriensiegerin
Die Zuschauer, die ab der Brigittabrücke (heute Friedensbrücke) in immer dichteren Massen am Ufer standen, verfolgten das Geschehen mit Hochspannung, manche begleiteten die Wettkämpfer sogar mit dem Rad oder Pferd. Die Erfahrenen unter den Schwimmern kannten die diffizilen Eigenheiten des Donaukanals und wussten sie sich zu Nutze zu machen. Als Sieger konnte Fritz Kohn einen Triumph feiern. Er hatte mit einer Zeit von 47 Minuten und 40 Sekunden den Seriensieger der Vergangenheit, Simon Orlik, deutlich hinter sich gelassen. Bei den Frauen gewann erneut Berta Zahourek in 49 Minuten und 50 Sekunden.
Zahourek, die bereits 1912 als erste österreichische Sportlerin eine olympische Medaille errungen hatte, gehörte zu jenen Persönlichkeiten, die "Quer durch Wien" maßgeblich prägte. Insgesamt vier Mal konnte sie zwischen 1914 und 1921 den Wettbewerb für sich entscheiden. Keiner der nachfolgenden Sieger, auch nicht bei den Männern, kam an diese Rekordmarke heran, am ehesten noch Heinrich Goldemund und Friederike Löwy, die zwischen 1921 und 1930 jeweils drei Mal triumphierten. Der Schwimmsport avancierte so zu einem jener gesellschaftlichen Bereiche, in denen Frauen sich relativ früh als gleichwertige "Kameradinnen" emanzipierten.
Die Veranstaltung des Jahres 1920 präsentierte sich noch pompöser als in den Jahren zuvor. Erstmals inszenierten die drei Organisatoren (Arbeiterschwimmverein, Schwimmverband und Regattaverein) ein dreifaches Sportfest: Den Anfang machten die Paddler und Ruderer, die bei der Brigittabrücke starteten und wie gewohnt bei der Sophienbrücke durchs Ziel gingen. Dort folgte ein Kunstspringen, in dessen Mittelpunkt Albert Hilscher stand, Europameister im Turmspringen und später einer der führenden Fotoreporter der Zwischenkriegszeit. Er stürzte sich in eindrucksvoller Manier in die Fluten. Nach dem Springbewerb folgte als Hauptattraktion das Wettschwimmen, an dem sich diesmal 293 Schwimmer und 73 Schwimmerinnen beteiligten, eine auch danach nie mehr übertroffene Anzahl. Die Sieger hießen Berta Zahourek und Siegfried Brociner.
Auch in den folgenden Jahren blieb das Interesse an der Sportveranstaltung groß. Das "Arbeiterschwimmen" war zur politischen Manifestation des "Roten Wien", zum Ausdruck einer neuen proletarischen Körperkultur geworden. Die Berichterstattung in den Zeitungen und Zeitschriften expandierte. Ausführlich wurden die Ereignisse auch von Sportfotografen dokumentiert, unter ihnen der erwähnte Albert Hilscher oder Lothar Rübelt, einer der bekanntesten und innovativsten Fotoreporter der damaligen Zeit. Und die Idee des Wettbewerbs wurde - wie schon 1914 nach Berlin - wiederum in eine andere Stadt exportiert: 1921 fand erstmals "Quer durch Graz" statt.
Ab Mitte der 1920er Jahre zeigten sich erste Anzeichen einer Krise. Ein Gewöhnungseffekt hatte eingesetzt, die Massen wandten sich dem immer populärer werdenden Fußball zu. Nur mehr rund 25.000 Zuschauer zählte man 1927, vier Jahre später fanden sich gar nur mehr 6000 Neugierige am Zielpunkt bei der Rotundenbrücke ein. Viele hätten gern, wie es hieß, "ein bißchen mehr Abwechslung gesehen". Ein deutliches Alarmsignal, hatte man doch aufgrund der in diesem Sommer zeitgleich in Wien abgehaltenen Arbeiterolympiade eigentlich mit einem überdurchschnittlich hohen Publikumsinteresse gerechnet.
Hetze gegen Juden
Hinzu kamen die zunehmenden antisemitischen Anfeindungen gegenüber jüdischen Sportlern. Schon 1926 hatte die nazistisch orientierte "Deutschösterreichische Tageszeitung" über "Quer durch Wien" bemerkt: "Mit Bedauern müssen wir feststellen, und es wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die Zustände in unserem Schwimmsport, dass von zehn Teilnehmern neun Juden waren." Man hetzte gegen die mehrfache Gewinnerin, die "polnische Jüdin Löwy", und weitere Mitglieder des Schwimmvereins Hakoah.
Die Situation wurde immer unerträglicher, sodass man den Wettkampf 1932 in die Wachau, konkret die Donau zwischen Dürnstein und Krems, verlegte. Hier kam es dann zum Eklat. Die siegreichen Hakoahner Schwimmer wurden ungerechtfertigt disqualifiziert und von einer randalierenden Meute mit Steinen davongejagt. An ein Weitermachen wie bisher war nicht mehr zu denken. Friederike Löwy, als "feige Jüdin" beschimpft, resümierte später: "Lange vor Hitler war der Antisemitismus da, leider. Ich habe es auch im Sport sehr gefühlt." Der traditionsreiche Schwimmbewerb, einst Aushängeschild der Stadt Wien, war zum Politikum geworden. 1938 wurde er endgültig eingestellt.
Am 16. Mai 2015 findet im Donaukanal "viennautica", Österreichs größter Sportbootevent, statt. www.viennautica.at