London - Nur wenige Regierungschefs weltweit konnten in jüngster Zeit mit einer ähnlich guten Wirtschaftslage im Rücken in den nächsten Wahlkampf ziehen wie nun der britische Premierminister Tony Blair. Die Inflationsrate und die langfristigen Zinsen in Großbritannien sind auf dem niedrigsten Stand seit fast 40 Jahren. Die Arbeitslosenzahl sank unter die psychologisch wichtige Marke von einer Million und damit auf den niedrigsten Stand seit einem Vierteljahrhundert.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Wirtschaft wächst seit neun Jahren ohne Unterbrechung. Auch dies ist ein Rekord auf der Insel. Blair kann den Briten vor der Wahl am 7. Juni mit guten Gewissen sagen: "Es ging Euch nie so gut." Einen Satz, den 1957 der damalige konservative Premierminister Harold Macmillan in der "Goldenen Ära" Großbritanniens geprägte hatte.
Doch Blair kann in seiner zweiten Legislaturperiode bald ein etwas rauerer Wind entgegen wehen. Denn auch an Großbritannien gehen die Auswirkungen der Wirtschaftsflaute in den USA nicht vorüber. Der Rückgang des Wirtschaftswachstums wird im zweiten Halbjahr 2001 spürbar deutlicher ausfallen, prognostizierte Jonathan Loynes, Wirtschaftswissenschaftler bei Capital Economics.
Das britische Wirtschaftswachstum lag im vergangenen Jahr bei 3,0 Prozent. Für das laufende Jahr erwartet die jüngste Regierungsprognose ein Wachstum von 2,5 Prozent. Aber auch die pessimistischsten Wirtschaftsexperten erwarten, dass Großbritannien die US-Wirtschaftsschwäche relativ komfortabel übersteht. Die Verbraucher sind weiter optimistisch. Die Zinsen sind auf dem niedrigsten Stand seit mehr als zehn Jahren. Die privaten Ausgaben blieben in den vergangenen Wochen stabil.
Aber nicht alles in der britischen Wirtschaft ist rosig. Die Stärke des britischen Pfunds gegenüber dem jungen Euro hat viele verarbeitende Betriebe gelähmt. So wurde das Dienstleistungsgewerbe zum einzigen Zugpferd des Wirtschaftswachstum. Zudem ist das bedeutendste Wirtschaftsthema in Großbritannien, die britische Zugehörigkeit zur Euro-Zone, noch nicht abgehandelt und wird vermutlich das Parlament in der kommenden Legislaturperiode beschäftigen.
Trotz allem, die Labour Party hat seit ihrer vergangenen Regierungszeit in den 70er Jahren eine enorme Wandlung hinter sich. Stand sie damals in den Augen der Briten für wachsende Arbeitslosigkeit, steigende Inflation, starke Gewerkschaften, hohe Steuern und die Wirtschaft lähmende Streiks, trauen ihr nun jüngsten Umfragen zufolge die meisten Briten eher als den Konservativen zu, die Wirtschaft aufrecht zu erhalten.