Die CDU-Vorsitzende scheiterte an eigenen Fehlern und dem unlösbaren Machtkonflikt mit Kanzlerin Angela Merkel. Diese Woche wird ihr Nachfolger gewählt.
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Maß und Mitte nimmt die CDU für sich in Anspruch. Wenn es aber um ihre Vorsitzenden geht, herrscht bei den deutschen Konservativen die Devise: ganz oder gar nicht. Entweder bleiben die Parteichefs eineinhalb Jahrzehnte oder länger im Amt. So gesehen bei Konrad Adenauer (1950-66). Helmut Kohl stand der CDU sogar ein Vierteljahrhundert vor, und bei Angela Merkel waren es immerhin 18 Jahre, von 2000 bis 2018.
Ihre Nachfolgerin, Annegret Kramp-Karrenbauer, reiht sich hingegen in die Kategorie der früh Gescheiterten ein. Sie befindet sich in prominenter Gesellschaft: Der Vater der Sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard, hielt sich nur knapp mehr als ein Jahr. Wolfgang Schäuble, heute als Präsident des Bundestages und längstdienender Parlamentarier in der Geschichte der Bundesrepublik eine parteiübergreifende Autorität, trat infolge der CDU-Spendenaffäre nach eineinhalb Jahren zurück.
Beim Corona-bedingt digitalen Parteitag stimmen am Samstag 1.001 Delegierte über den Nachfolger Kramp-Karrenbauers ab. Zur Wahl stehen Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, der ehemalige Fraktionschef Friedrich Merz und Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag - nur 770 Tage nach der Wahl Kramp-Karrenbauers.
Kein Gespür für Ton und Debatten
"AKK", wie sie genannt wird, scheiterte an sich selbst, wurde aber auch ein Opfer der ungemein schwierigen Umstände. Dabei gewann sie erst die Herzen vieler Konservativer, als sie ohne Rückversicherung von Saarbrücken nach Berlin wechselte. Den sicheren Posten der saarländischen Ministerpräsidentin gab sie auf und wurde im Februar 2018 CDU-Generalsekretärin. Damals rumorte es in der Partei, wie auch in der gesamten Union aus CDU und CSU. Die Wunden aus dem Sommer 2015 waren nicht verheilt, als Merkel die Landesgrenzen offenhielt. Die Kanzlerin kam dem Wunsch nach Veränderung nach, und AKK wurde von der Basis freudig empfangen. So sehr, dass sie nach Merkels Rückzug als CDU-Chefin den Vorsitz übernahm. Mit einer persönlichen und mitreißenden Rede stach sie Friedrich Merz Ende 2018 am Parteitag aus.
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Dieses Gespür für den richtigen Ton verließ Kramp-Karrenbauer als Vorsitzende der CDU völlig. Petitessen wie ihr Witz bei einer Karnevalssitzung über Toiletten für das dritte Geschlecht wurden medial aufgeblasen, und AKK setzte die Debatte unnötigerweise fort. Völlig falsch reagierte die gesamte Partei auf das Video des YouTubers "Rezo". Der rechnete in "Die Zerstörung der CDU" kurz vor der Europawahl 2019 mit den Konservativen ab, Millionen Menschen sahen den Clip. Schonungslos legte der Fall Rezo offen, wie ungelenk traditionelle Parteien in den sozialen Medien agieren. All das fiel auf Kramp-Karrenbauer zurück, und sie trieb den unsouveränen Umgang auf die Spitze mit ihrer Frage, ob solch "klare Meinungsmache" vor der EU-Wahl nicht reguliert werden müsse.
Der Urnengang endete für die Union mit einem Debakel (minus 6,4 Prozentpunkte), wie so viele Wahlen in der Amtszeit von AKK. Bei der Landtagswahl in Brandenburg verlor die CDU 7,4 Prozentpunkte. In Sachsen lief es kaum besser, minus 7,3 Prozentpunkte. Und in Thüringen fielen die Verluste sogar zweistellig aus, die AfD überholte die CDU. Im Umgang mit den Positionen der Rechtspopulisten lag eine der größten Herausforderungen für Kramp-Karrenbauer. Ein Teil der Union verzeiht Merkel bis heute nicht, dass sie der klinisch toten AfD mit den Themen Asyl, Migration, Integration und innere Sicherheit neues Leben einhauchte. Kramp-Karrenbauer emanzipierte sich von der Kanzlerin und initiierte eine Veranstaltung über diese Bereiche. Darüber zeigte sich Merkel öffentlich pikiert.
Entgegen allen Versprechen Ministerin geworden
Der Fall zeigt das unlösbare Dilemma von AKK: Um sich von der Kanzlerin zu emanzipieren und die Partei vollständig mitzunehmen, brauchte sie auch Unterstützung von Merkel-Kritikern. Andererseits war sie auf gutes Einvernehmen mit Merkel angewiesen, denn nur als Parteichefin verfügte Kramp-Karrenbauer über sehr begrenzte Machtfülle. So suchte sie nach einem bundespolitischen Anker. Als Ursula von der Leyen an die Spitze der EU-Kommission wechselte, trat AKK ihre Nachfolge als Verteidigungsministerin an - entgegen allen Versprechen. Es war der nächste schwere Fehler.
So beschädigt war AKK mittlerweile, dass sie Ende 2019 beim Parteitag die Machtfrage stellen musste. Einmal noch versammelte sie die Partei hinter sich, im Februar gab sie auf und kündigte ihren Rückzug an. Denn die Thüringer Landesgruppe machte gemeinsame Sache mit der AfD und wählte einen FDP-Politiker zum Ministerpräsidenten. Kramp-Karrenbauers Kritik verhallte, ihre Autorität war vollends beschädigt. Noch schlimmer: Merkel musste ein Machtwort sprechen. Im Pandemie-Jahr war die Kanzlerin ohnehin die wichtigste Politikerin. Lob für ihr Krisenmanagement dominierte anstatt Debatten über die schwache Parteichefin - was sich in hohen Umfragewerten für die Union widerspiegelt.
"Ich wünschte, ich hätte weniger Fehler gemacht", meinte AKK vor wenigen Tagen selbstkritisch über ihre Amtszeit. Und sie gestand im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" ein, dass ihr der unbedingte Wille zur Kanzlerschaft gefehlt hat: "Ich will es nicht zu 110 Prozent." Das lässt sich von den drei Kandidaten um die Nachfolge Kramp-Karrenbauers nicht sagen.