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Krank durch Liebesmangel: Doch was ist nun die Liebe?

Von Wolfgang Kappler

Wissen

Medizinratgeber sind zwar voll der guten Tipps zur richtigen Ernährung und Bewegung und zur Vermeidung von Risikofaktoren, doch die wenigsten thematisieren die Liebe und deren Einfluss auf die körperliche Gesundheit. Der aber ist immens. So zeigten im Mai dieses Jahres Forscher der Yale-Universität, dass Menschen, die sich nicht geliebt fühlen oder keine Liebe geben können, weitaus anfälliger für Herz- und Gefäßerkrankungen sind als der Durchschnitt. Bestätigt wurden damit frühere Forschungen, die emotionale Unzufriedenheit als Mitverursacherin von Krankheiten wie Asthma, Neurodermitis, Neurosen oder Essstörungen ausmachten.


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Liebe macht ausgeglichen und zufrieden und beugt so letztlich Krankheiten vor, weil sie wahrscheinlich das Immunsystem stärkt. Aber: Was ist Liebe eigentlich? "Liebe kann in verschiedenen Formen auftreten, sie wird verschieden erlebt und kann deshalb nicht vereinheitlicht werden", stellt der Sozialpsychologe Prof. Hans-Werner Bierhoff von der Ruhr-Universität Bochum klar. Das Erlebnis der Liebe sei nicht durch Normen festgelegt, sondern lasse mehrere Varianten des Fühlens und Handelns zu.

Sechs Liebesstile

Der kanadische Soziologe John Alan Lee bringt das so auf den Punkt: "Es gibt viele Arten zu lieben." Sechs unterschiedliche Liebesstile hat er herausgearbeitet, die sich, ähnlich wie Farben, miteinander mischen lassen: Die romantische Liebe (Kennzeichen: Leidenschaft, sexuelle Zuneigung), die spielerische Liebe (Kennzeichen: sexuelle Freiheit, Ungebundenheit), die freundschaftliche Liebe (Kennzeichen: Gemeinsamkeit, Kooperation), die besitzergreifende Liebe (Kennzeichen: Eifersucht, Wechsel von emotionalen Höhen und Tiefen), die pragmatische Liebe (Kennzeichen: vernunftgesteuerte Partnerwahl, Suche nach Vorteilen) und die altruistische Liebe (Kennzeichen: Opferbereitschaft, Selbstlosigkeit).

Ist Pragmatismus Liebe?

Mit Ausnahme der pragmatischen Liebe, die von einigen Wissenschaftlern als Form von Nicht-Liebe dargestellt wird, gilt: Jeder Liebesstil kann individuell sinnvoll und zufriedenstellend erlebt werden, solange keine Extreme erreicht werden. "Extreme besitzergreifende Liebe kann zum Beispiel in Zusammenhang mit Gewalt in der Partnerschaft stehen, wogegen sie in abgemilderter Form ohne Gewaltanwendung und Aufdringlichkeit sogar eine Beziehung festigen kann", sagt Bierhoff. Spielerische Liebe tendiere indessen dazu, das Glück in einer Beziehung gänzlich zu unterwandern und verweist auf partnerschaftliche Unzufriedenheit. Zufriedenheit hingegen stellt sich am ehesten noch durch die romantische Liebe ein. Dabei hat sich gezeigt, dass, wenn ein Partner romantisch liebt, auch die Partnerin dazu tendiert, stark romantische Gefühle zu erleben.

Bedrohte Romantik

Die Kurzformel "Romantik = Glück" will die Wissenschaft aber nicht gelten lassen. Denn einerseits ist gerade in langfristigen Beziehungen die Beständigkeit der romantischen Liebe - so sie nicht ausreichend gepflegt wird - durch die ganz normalen Anforderungen des Alltags wie Stress am Arbeitsplatz, Kinderbetreuung oder Hausarbeit sehr stark bedroht. Und andererseits können auch altruistischer, freundschaftlicher und pragmatischer Liebesstil Beziehungen stabilisieren und das Glück erhöhen.

Interessant ist, dass Liebesstile sehr beständig sind. Wenn die geliebte Person aber wechselt, kann es schon auch zu einer Verschiebung unter den Akzenten kommen. Bierhoff: "Wenn Fritz gegenüber Klara romantisch war, kann er gegenüber Paula eher freundschaftlich sein. Es kann also zu einem Wechsel von der eher sexuell bestimmten zu der eher kameradschaftlichen Liebe kommen, wenn eine neue Partnerin an die Stelle der alten tritt."

Der Heidelberger Psychologe Manfred Amelang hat diese Zusammenhänge untersucht. Seine Ergebnisse weisen darauf hin, dass romantische, spielerische und freundschaftliche Liebe eher partnerabhängig sind, während pragmatische, besitzergreifende und altruistische Liebe eher partnerunabhängig sind.

Geprägt von sozialen Lernprozessen

Wichtig ist auch zu wissen, dass Frauen und Männer ähnlich lieben. Ausnahmen: Hinsichtlich der besitzergreifenden Liebe übertreffen Frauen die Männer, bei der altruistischen Liebe ist es umgekehrt. Aufgrund von Zwillingsstudien kann auch als gesichert gelten, dass Liebesstile nicht vererbt, sondern durch soziales Lernen geprägt werden. "Wie eine Person liebt, ist offensichtlich das Ergebnis ihrer Erlebnisse in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter sowie aus dem, was sie aus diesen Erfahrungen macht", so Bierhoff.

Drei Ebenen

Experten wie Laien stimmen darin überein, dass Liebe auf drei unterschiedlichen Ebenen angesiedelt ist: Leidenschaft, Intimität und Bindung. Leidenschaft (zugeordnet: romantische und besitzergreifende Liebe) verknüpft das Thema der Liebe mit Sexualität, Intimität (zugeordnet: freundschaftliche Liebe) stellt eine Verbindung zu Vertrauen und Selbstöffnung dar, Bindung (zugeordnet: altruistische Liebe) thematisiert, wie viel Zeit und Energie man in die Partnerschaft investiert.

Aus all dem lässt sich nur folgern: Lieben Sie gut, dann bleiben Sie gesund.

Lesetipp: Bierhoff, H.W. & Grau, I. - Romantische Beziehungen. Verlag Huber, Bern.