Durch neues Ärztearbeitszeitgesetz kann Spitalsbetrieb in gegenwärtiger Form nicht aufrechterhalten werden.
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Wien. Kaum ein Tag vergeht ohne Schlagzeile zu den Spitalsärzten. Ob es nun Leistungsreduktionen im Betrieb sind oder ein Aufbegehren gegen unbefriedigende Arbeits- und Ausbildungsbedingungen. Gegen eine im internationalen Vergleich mäßige Entlohnung. Und gegen die Verantwortlichen aus der Politik in Bund und Ländern, die den Berufsstand links liegen lassen.
Der aktuelle Anlass: die seit Jahresbeginn wirkende Arbeitszeitregelung. Eine Vorgabe der EU, die in Österreich eigentlich schon seit zwölf Jahren umgesetzt sein müsste.
Gesundheitsökonomen befürchten dahinter ein Versäumnis der Länder, die schlicht nicht in mehr Ärztepersonal investieren wollten. Hätte Österreich im September des vergangenen Jahres die Novelle nicht beschlossen, wären hohe EU-Strafzahlungen für Österreich fällig geworden.
"Aber auch die Ärztekammer darf man aus dieser Diskussion nicht herausnehmen", sagt Otto Traindl, Präsident des Verbands Leitender Krankenhausärzte Österreichs (VLKÖ) im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Die hat immer wieder einmal auf das Problem hingewiesen, es aber letztlich verabsäumt, wirklich aktiv dagegen vorzugehen." Nun, so Traindl, müssten Österreichs Spitäler innerhalb kürzester Zeit auf die neue Regelung reagieren, ohne Pläne für eine Kompensation ausgearbeitet zu haben.
Was ist an der Umsetzung so schwierig? Nach dem neuen Gesetz dürfen Spitalsärzte in einem Durchrechnungszeitraum von 17 Wochen nur noch 48 statt 60 Stunden pro Woche arbeiten. Die Maximalarbeitszeit, die nicht überschritten werden darf, verringert sich von 72 auf 60 Stunden. Außer, der Mediziner unterzeichnet freiwillig eine Einverständniserklärung (Opt-out). Dann darf er länger arbeiten. Diese Übergangsfrist endet allerdings 2021.
Durch die Regelung verlieren die Ärzte ob der niedrigen Grundgehälter sämtliche Zuverdienstmöglichkeiten. Nämlich Nachtdienste und Überstunden und damit ein Drittel ihres Einkommens. Die Ärztekammern machen deswegen in den Ländern für höhere Grundgehälter mobil. In Salzburg und in der Steiermark hat man ihnen den Wunsch bereits erfüllt. Auch in den Wiener Gemeindespitälern wird es eine Erhöhung geben. In Vorarlberg, Tirol und dem Burgenland gibt es gegenwärtig immerhin Übergangsvereinbarungen. Damit wollen die Verhandlungspartner Zeit gewinnen, um zu einer endgültigen Lösung zu kommen.
Mit höheren Grundgehältern soll vor allem der Ärzte-Nachwuchs im Land gehalten werden, der vermehrt nach Deutschland oder in die Schweiz abwandert.
Nur sechs von zehn Uni-Absolventen nehmen in Österreich aueinen Job an, rechnet die Ärztekammer vor. 2013 arbeiteten 2700 heimische Ärzte alleine in Deutschland. 2008 hätten in Ost-Österreich noch etwa 5000 Jungärzte auf einen Job im Krankenhaus gewartet. Jetzt gibt es keine Warteliste mehr. Sie ist leer. Mit attraktiven Löhnen sollen aber auch Mediziner mit Fachexpertise leichter ins Land geholt werden.
Fakt ist: Mehr Ärzte wird man brauchen. Denn freilich geht es in dieser Diskussion nicht nur um Geld. Sondern vor allen Dingen um den Patienten. Wenn die Ärzteschaft weniger Stunden macht, sind die Ärzte nicht beim Patienten und der Spitalsbetrieb kann wegen des Durchrechnungszeitraumes in seiner jetzigen Form nicht aufrechterhalten werden.
"Um mehr Ärzte und neue Dienstpläne beziehungsweise eine neue Organisationsstruktur werden die Spitäler nicht herumkommen", sagt Traindl zur "Wiener Zeitung". Das Gesetz hätte den Ärztemangel noch zusätzlich verschärft. Derzeit kommt es vereinzelt in Spitälern zu längeren Wartezeiten bei geplanten Operationen und in den Ambulanzen. Im Wiener AKH stehen einzelne Abteilungen gar vor dem Ende ihrer Kräfte. Und das Rote Kreuz warnte am Donnerstag vor einem Notärzte-Mangel, da die Spitalsärzte durch die neue Regelung nicht zusätzlich als Notarzt arbeiten können. Manche Gebietskrankenkassen würden seit 2010 Notärzte nicht mehr auf Basis von freien Werksverträgen, sondern nur noch fix angestellt beschäftigen.
Nur in Niederösterreich hat man bereits 2012 reagiert und unterschreitet seither die 48-Stunden-Grenze konsequent. Die fehlenden Zuverdienste wurden dort ausgeglichen und später die Grundgehälter angehoben. Aber auch hier sucht man nach Jung- und Fachärzten. Die sind trotz der im internationalen Vergleich mit 4,7 Ärzten pro 1000 Einwohner höchsten Ärztedichte Europas, und einer der höchsten weltweit, schwer zu finden, sagt Traindl.
Wie viele Ärzte braucht Österreich, um den Auswirkungen des Arbeitszeitgesetzes entgegenzuwirken? Genau kann man das nicht beziffern, heißt es aus der Ärztekammer. Sie verweist aber auf die jüngste Bedarfsstudie des Gesundheitsministeriums aus dem Jahr 2012.
Laut der Studie wird der Ärztebedarf bis zum Jahr 2030 flächendeckend um 20 Prozent ansteigen. Noch nicht hineingerechnet in die Prognose ist die Reduktion der Arbeitszeit auf 48 Stunden.
Allerdings gibt es auch noch ein zweites Szenario. In der Studie wird explizit darauf hingewiesen, dass "keine Annahmen zu künftigen strukturellen Veränderungen im Gesundheitswesen" enthalten sind. Dadurch könnten 10 bis 20 Prozent im Spitalsbereich bis 2030 sogar reduziert werden. Die Schätzung liegt bei 1450 bis 2900 Ärzten, die man damit einsparen könnte.
Wie und ob das eventuell funktioniert, kann man künftig beim Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) beobachten. Der möchte den Spitalsalltag in Wien komplett umdenken und mithilfe einer völlig neuen Diensteinteilung auch 10 Prozent der Ärzte bis 2018 abbauen. Einige Primarärzte haben das kritisiert. Dadurch könnte nicht mehr die gewohnte Leistung für den Patienten erbracht werden, da dieser gebündelt mit anderen in den Nachmittagsstunden versorgt wird.
Auch würde es dadurch immer schwieriger werden, junge Ärzte zu halten. Konkret will der KAV in seinen Spitälern die Kernarbeitszeit zwischen 7 und 19 Uhr festlegen und sich von den um
13 Uhr beginnenden Nachtdiensten verabschieden. Die "Wiener Zeitung" hat darüber berichtet. 47 Millionen Euro sollen durch Dienstplanumschichtungen frei werden. Bis März soll das Modell im Wiener Landtag beschlossen werden. Bis dahin wird jede Abteilung einzeln evaluiert werden. Leistungen und Personal sollen dabei erhoben und die Strukturen den Erfordernissen entsprechend abgeändert werden.
Traindl glaubt nicht an dieses Modell. Nicht jeder Arzt wäre durch einen anderen ersetzbar. Das würde man bei der Reduktion spüren. "Und ich kann mir gut vorstellen, dass darunter der Nachwuchs leiden wird, weil die Lehrenden durch den Mehraufwand weniger Zeit haben." Und gerade um den Nachwuchs muss man sich in Zeiten wie diesen bemühen. "Wir brauchen die Jungen gerade mehr denn je."