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"Krankhaft nostalgisch wie Wien"

Von Stephanie Lehner

Politik
Mit geschlossenen Augen lassen sich die Tanzpartnerinnen durch den Raum führen.
© © Vincent Sufiyan

Österreichs gute Musikausbildung hat schon einige Tangomusiker angezogen.


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Wien. Nur die Ventilatoren an der Decke drehen sich weiter. Die Tanzpaare in der "Galeria ideal" in Wien Meidling sind gerade alle gleichzeitig in ihren Posen versteinert - die Nummer ist zu Ende. Nach wenigen Sekunden gehen sie wieder auseinander, zur Bar, setzen sich auf die roten Sofas oder fordern einen neuen Partner auf - als wäre gerade eben nichts gewesen. "Es ist wie ein Spiel", sagt der 33-jährige Andrés García. "Man findet sich für einen Tanz zusammen und vergisst ihn auch gleich wieder."

Der Dirigent aus Kolumbien hat Tango erst in Wien gelernt und sieht ihn als Hobby - so wie ein paar hundert Österreicher jeglicher Herkunft in Wien. Andere haben im Tango ihre Profession gefunden, ob als Musiker, Veranstalter oder Tanzlehrer. Einige von ihnen sind deshalb in die Musikhauptstadt Wien emigriert. Die Tangoband Garufa! etwa setzt sich aus vier Musikern zusammen, von denen drei wegen der guten Musikausbildung oder einem bestimmten Lehrer gekommen sind.

"Anders als in Uruguay ist der Kontakt mit Musikern hier sehr natürlich und offen", sagt Ignacio Giovanetti, 31 Jahre alt und Gitarrist bei Garufa!. Noch etwas hat die Emigration für Giovanetti verändert: "In Uruguay habe ich nur klassische Gitarre gespielt. Tango und die Folklore waren sowieso rund um mich. In Wien hat mir das gefehlt." Seitdem spielt er Tango und die dazugehörigen Rhythmen Vals und Milonga.

Auch wenn die meisten Tangomusiker in Österreich Lateinamerikaner sind, treten selbst Japaner hier mit Tango auf, sagt Bassist Felipe Medina. Um ihre Texte auch einem Publikum ohne Spanischkenntnisse verständlich zu machen, hat Garufa! bei Konzerten zuerst auf deutsche Texthefte gesetzt. Mittlerweile textet die Band auf Deutsch und Spanisch. "In der Tangoszene wird nicht nach Herkunft getrennt", betont der Gitarrist Giovanetti. "Hier findet man Serben, Türken, Chinesen und Afrikaner, auch unter den Musikern", sagt der argentinische Tangokomponist Diego Collatti. Er sagt auch gleich, weshalb Tango in Österreich so beliebt ist. "Der Tango ist krankhaft nostalgisch, Wien ebenfalls."

Der Tango bringt in Wien nicht nur Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen. Auch er selbst hat mehrere Emigrationen hinter sich gebracht, was aber kaum bekannt ist. Tango bedeutet ursprünglich der Ort, "wo die Schwarzen tanzen", und gibt Hinweise zur Herkunft der Tanzbewegungen: Die Salontänze in Buenos Aires wurden der jungen Generation irgendwann langweilig. Deshalb gingen sie heimlich zu den verpönten Veranstaltungen der schwarzen Bevölkerung. Deren erotische Hüftbewegungen vermischten sich so mit den Salontänzen. Bis der Tanz in Buenos Aires und Montevideo, der Hauptstadt Uruguays, von der adeligen Gesellschaft und der Polizei geduldet wurde, musste er noch Ende des 19. Jahrhunderts in Paris en vogue werden. Den letzten Schliff bekommt der klassische Tango ríoplatense am Río de la Plata vor allem von italienischen und spanischen Einwanderern. Sie kamen ab 1870 in die Region um Montevideo und Buenos Aires. Das Bandoneon schließlich, ein Harmonikainstrument, das aus dem Tango nicht wegzudenken ist, wurde aus Deutschland an den Río de la Plata exportiert.

In der "Galeria ideal" beginnt gerade eine Vals, der Reigen setzt sich ein wenig langsamer fort. In einen warmen, rot-violetten Schein gehüllt, schließen die Frauen wieder ihre Augen. Sie lehnen ihren Kopf an den ihres Partners und lassen sich durch den Raum führen. Die Streicher der Musik aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts erzeugen mit dem Licht eine erotische, fast psychedelische Atmosphäre. "Für die Musik ist es besonders wichtig, mit Argentiniern zu arbeiten und von ihnen zu lernen", sagt Bernhard Gehberger. Für den Veranstalter des Tanzabends ist es auch beim Tanzen hilfreich, die argentinische Sichtweise zu verstehen.

Die steigende Anzahl österreichischer Veranstalter erklärt sich der 37-jährige Wiener Tango-DJ und Lehrer so: "Argentinier sind oft nicht die Besten, wenn es um das Organisieren und Lehren geht." Auch bei Veranstaltungen, mit elektronischem Tango (Tango nuevo) finden sich einige österreichische Organisatoren, wie Susi Maurer. Doch auch die 52-jährige Werbegestalterin ist der Meinung: "Auf jeden Fall bringt der Tango die Österreicher und die Lateinamerikaner zusammen."

Karl Kraus mochte ihn nicht

Nicht von Anfang an war der Tango in Wien willkommen. Der Wiener Künstler Otto Eder gibt seit 2003 die Zeitschrift "el tango" heraus und hat darin auch die Anfänge beschrieben. Für Eder setzt die Entwicklung etwa 1910 ein, als Karl Kraus in einer Glosse den Tanz beschreibt: "Mann und Weib messen einander, welcher Teil dem anderen mehr versagt, ihn mehr runtergebracht hat. Gottseidank halten wir in Wien noch nicht so weit." Ein Medium jener Zeit zählt den Tango sogar zu jenen dummen Dingen, "die wir von den Negern gelernt haben".

Nach dem Ersten Weltkrieg wird der immer noch ein wenig befremdliche Tanz mit spanischen und ungarischen Musikelementen zum Tango Bizarre oder Tango Tzigane. Vom Original bleibt wenig über. Für Otto Eder beginnt mit einem Konzert des Tangoerneuerers Astor Piazzolla 1983 in Wien die Entwicklung der Tangoszene bis heute. Als stünden sie für die verschiedenen Stufen dieser Entwicklung, überholt in der "Galeria" ein junger Mann in Sportschuhen einen älteren Tänzer im Dreiteiler. Tango in Wien kann auf vielen Ebenen Brücken schlagen.