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Kratzer in Macrons "schöner neuer Welt"

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

Bei Frankreichs Kommunalwahlen im März rechnet die erstmals antretende Präsidentenpartei LREM mit nur schwachen Ergebnissen. Ihr fehlt die Verankerung im Land - und in etlichen Städten gibt es Konflikte und Dissidenz-Kandidaturen.


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Genau drei Jahre ist es her, da schienen der Optimismus und der Enthusiasmus in der Wahlkampfzentrale im Südwesten von Paris, die der aufstrebende, junge Kandidat für den Präsidentschaftswahlkampf gemietet hatte, regelrecht überzuborden. Die Stimmung erinnerte an ein Start-up: Die meisten Mitarbeiter waren zwischen 20 und 30 Jahre alt, hochmotivierte junge Leute. Viele engagierten sich zum ersten Mal politisch. Unter ihnen befand sich Margaux Pech, die wortreich davon berichtete, wie sehr sie das neue politische Angebot von Emmanuel Macron überzeugt habe. Macron galt ab Frühjahr 2017 als einer der vielversprechendsten Bewerber für die Präsidentschaftswahl im Mai desselben Jahres, die er dann auch klar gewann.

"Er will die französische Gesellschaft von Grund auf modernisieren und hat eine ganz andere Politik-Methode", sagte die damals 27-Jährige. Macron baue sein Programm auf Basis von Gesprächen mit den Bürgern auf und erreiche über die sozialen Netzwerke und lokales Engagement wie Tür-zu-Tür-Aktionen viele Menschen außerhalb der Hauptstadt. Damit ermögliche er gerade den Leuten ihrer Generation, seine Partei, die er erst im Frühjahr 2016 gegründet hatte, von unten mit aufzubauen. "En Marche!" hieß die Bewegung zunächst, also in etwa "Los gehts!". Sie trug wohl nicht zufällig seine Initialen und sollte sich in der politischen Mitte zwischen den Republikanern und den Sozialisten positionieren. Seit Macron die Partei nach der Wahl in "La République En Marche" umbenannte, wird sie mit LREM abgekürzt.

Margaux Pechs Engagement hat sich ausgezahlt. Heute ist sie Kabinettschefin der Sportministerin und steht bei den Kommunalwahlen Mitte März auf der Wahlliste des offiziellen LREM-Kandidaten Benjamin Griveaux für den Stadtrat von Paris. Sie sei glücklich und stolz, diese Kampagne an seiner Seite zu führen, verkündete sie. Dabei zeigt gerade dieser Wahlkampf, dass die Dynamik von damals nicht mehr dieselbe ist und sich viele der Hoffnungen in eine neue Art, Politik zu machen, die Macron damals geweckt hat, nicht erfüllt haben. Das wird sich nun an der Wahlurne bemerkbar machen. Die Umfragen sind nicht rosig.

Zwar konnte Macron 2017 die Präsidentschaftswahl im Duell gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen eindeutig für sich entscheiden. Bei den Parlamentswahlen wenige Wochen später holte seine Partei sogar die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Auch bei der Europawahl 2019 erzielte sie mit 22,4 Prozent ein ansehnliches Ergebnis. Doch die anstehenden Kommunalwahlen mit zwei Urnengängen am 15. und am 23. März dürften deutlich weniger erfolgreich ausfallen. Da es LREM bei der letzten Wahl noch nicht gab, stellt es kaum Rathauschefs und Gemeinderäte - abgesehen von ein paar wenigen, die von anderen Parteien übergelaufen sind. Die meisten der amtierenden Bürgermeister, die wieder antreten, haben gute Chancen auf die Wiederwahl. Und selbst dort, wo das nicht zutrifft, wird sich LREM schwertun.

Lichtblick Lyon

Parteichef Stanislas Guerini hat als Ziel ausgegeben, landesweit 10.000 Stadt- und Gemeinderäte zu stellen - für eine Regierungspartei klingt das äußerst bescheiden. Insgesamt gibt es 536.000 Sitze in den 34.970 Kommunen des Landes - von denen allerdings die große Mehrheit weniger als 3500 Einwohner zählt. Abgesehen von Lyon erscheint kaum ein Sieg in einer Metropole in greifbarer Nähe. "Sollte jemand behauptet haben, dass uns ein Erdrutsch gelingen würde, war das ein Fehler", räumt Guerini ein; es klingt beinahe zerknirscht. Er wolle "Bescheidenheit üben", sagt er: "Eine lokale Verankerung aufzubauen, das dauert eben."

Vom Ziel einer politischen Rundumerneuerung, mit der Kandidat Macron angetreten war, ist seine Partei heute weit entfernt. Bei den Parlamentswahlen waren noch 95 Prozent der 428 Bewerber nie zuvor Abgeordnete, in der Folge zogen sehr viele Novizen in die Nationalversammlung ein. Doch vor den kommenden Kommunalwahlen stützt sich die Partei, die sich mit so hochfliegenden Worten als die "neue Welt" präsentiert hatte, stark auf Politiker der "alten Welt".

In 48 Prozent der Fälle unterstützt sie Kandidaten der traditionellen Parteien, anstatt eigene aufzustellen. Sie hofft über solche Koalitionen auf ein paar Sitze in den Gemeinderäten. "Es ist nicht realistisch, überall LREM-Bewerber ohne Verbündete ins Rennen zu schicken", erklärte Alain Richard, Co-Präsident der nationalen Kommission für die Aufstellung von Kandidaten. "Sonst ist das Risiko zu groß, dass man das Ergebnis als Misserfolg für Emmanuel Macron deutet." Um dies unbedingt zu verhindern, will man am Ende nicht nur die Erfolge der parteieigenen Kandidaten für sich beanspruchen, sondern auch all jener, die LREM unterstützen - ob sie nun Republikaner, Sozialisten oder Mitglieder des liberalen Bündnispartners MoDem (Mouvement Démocrate) sind. Die Kooperation sei jeweils an die Bedingung gebunden, die "großen Linien" von LREM vom Umweltschutz bis zum Respekt der Geschlechtergleichheit zu achten, rechtfertigt Guerini dieses Vorgehen. Die Opposition nennt es trotzdem "zynisch" und "opportunistisch".

"Weil LREM unfähig ist, glaubwürdige eigene Wahllisten aufzustellen, unterstützt es Bürgermeister, die eine diametral entgegengesetzte Politik machen, um Siege präsentieren zu können, die nicht die eigenen sind", kritisiert Sozialisten-Chef Olivier Faure. Auch an der Basis sorgt diese Strategie für Unruhe - vor allem dort, wo LREM-Bewerber zugunsten anderer Kandidaten mit besseren Gewinnchancen nicht von der eigenen Partei unterstützt werden. In der Pariser Vorstadt Courbevoie kritisiert ein Zusammenschluss von Parteimitgliedern offen die "vertikal getroffenen Entscheidungen ohne Sinn".

Tatsächlich hat LREM für viele mit dem Versprechen einer horizontalen Organisation mit flachen Hierarchien und großem Mitspracherecht für die Basis, von dem Margaux Pech vor drei Jahren noch so schwärmte, gebrochen. Stattdessen häufen sich die Klagen über eine stark zentralisierte und alles kontrollierende Parteiführung, der es dennoch an Autorität fehlt: Etliche Bewerber haben sich über ihre Vorgaben hinweggesetzt. In Aix-en-Provence kandidiert der Chirurg Dominique Sassoon für das Bürgermeisteramt, der Mitglied der Präsidentenpartei ist, doch offiziell aufgestellt wurde die LREM-Abgeordnete Anne-Laurence Petel.

Der Dissident Sassoon erklärte seine Entscheidung mit dem Widerstand gegen das "autoritäre, undurchsichtige und antidemokratische Funktionieren" seiner Partei und fügte hinzu: "Meine Enttäuschung ist sehr groß, weil ich einmal dachte, wir würden anders Politik machen." Dass es in Aix-en-Provence zusätzlich noch einen Bürgermeisterkandidaten der Zentrumspartei gibt, die sonst oft als Bündnispartner von LREM fungiert, verkompliziert die Lage und verkleinert die Chancen der drei Betroffenen auf einen Sieg.

Mangelnde Kohärenz

"Diese Wahlen werden zeigen, dass LREM die lokale Verankerung noch weitgehend fehlt", analysiert ein hochrangiger Diplomat in Paris. "In Gemeinden unter 10.000 Einwohnern gibt es meist gar keine eigene Wahlliste, sondern es werden die Bewerber anderer Parteien unterstützt. In größeren Städten treten oft zwei LREM-Kandidaten an und machen sich damit gegenseitig Konkurrenz."

Dies ist auch der Fall in Lyon, wo der langjährige Bürgermeister Gérard Collomb, der zu Macrons ersten gewichtigen Unterstützern gehörte und zeitweise französischer Innenminister war, gegen seinen Vertreter und LREM-Parteifreund David Kimelfeld kämpft. Nach Collombs Rücktritt aus dem Kabinett wollte ihm Kimelfeld den Bürgermeistersessel nicht mehr überlassen.

In Biarritz sollte es sogar zur Konfrontation von zwei Regierungsmitgliedern kommen: Jean-Baptiste Lemoyne, Staatssekretär für Tourismus und Außenhandel, kandidierte für einen Stadtratssitz auf der Liste des amtierenden MoDem-Bürgermeisters Michel Veunac, während Landwirtschaftsminister Didier Guillaume für LREM antrat. Nun zogen beide ihre Bewerbungen zurück.

Solche Konstellationen bringen Rivalitäten ans Licht, die zeigen, wie wenig gefestigt der ideologische Kern von Macrons Partei ist. "LREM ist eine junge Bewegung, die noch keine Erfahrung im Umgang mit internen Konflikten auf lokaler Ebene hat", sagt der Politikwissenschafter Bruno Cautrès. "Die Hauptschwierigkeit wird darin bestehen, vor den eigenen Leuten zu rechtfertigen, warum sie sich in manchen Städten mit den Konservativen und in anderen mit den Linken zusammenschließt." Längerfristig stelle sich die Frage der Kohärenz. "LREM präsentiert sich wie eine Partei der Offenheit und Erneuerung, aber diese Werte verblassen angesichts der Kandidatenauswahl bei den Kommunalwahlen", klagt Amélie Therond-Keraudren, die in der Pariser Vorstadt Maison-Laffitte ohne ihre Partei im Rücken antritt, die die MoDem-Bewerberin unterstützt. Ähnliche Fälle gibt es im ostfranzösischen Besançon, in Lille und in Macrons Heimatstadt Amiens.

Eine Karikatur in der Tageszeitung "L’Opinion" ("Die Meinung") spiegelt das Dilemma wider, in dem die Partei steckt: Sie zeigt Emmanuel Macron vor einer Frankreich-Kartei, auf der markiert ist, wo LREM Kandidaten aufstellt und wo nicht. "Wir haben niemanden in Lisieux, Fameck, Carentan-les-Marais . . .", referiert Parteichef Guerini. Daneben steht Benjamin Griveaux, ehemaliger Regierungssprecher, der für LREM den Bürgermeister-Posten in Paris anstrebt: "Sie sollten mit Villani darüber reden . . .", sagt er mit säuerlicher Miene. Denn der Mathematiker Cédric Villani, ebenfalls ein LREM-Mitglied, führt parallel zum offiziellen Kandidaten Grivaux eine eigene Kampagne, ohne dass ihn Macron oder die Partei stoppten.

Laut einer aktuellen Umfrage liegen beide mit 15 (Griveaux) und 13 Prozent (Villani) deutlich hinter der amtierenden sozialistischen Bürgermeisterin Anne Hidalgo und der republikanischen Ex-Justizministerin Rachida Dati. Damit drohen sich die LREM-Bewerber gegenseitig die Chance auf den Einzug in die Stichwahl zu nehmen. Gerade wurde Villani aus der Partei ausgeschlossen - aber angesichts der Beliebtheit des untypischen Politikers, der gerne in extravagantem Outfit mit einem an die Brust gehefteten Spinnen-Accessoire auftritt, erscheint auch das riskant.

Le Pen rechnet mit Gewinnen

In der politisch so zentralen Hauptstadt, wo Bürgermeisterin Hidalgo nicht unumstritten ist, zu scheitern, wäre auch ein Rückschlag für Macron. Er selbst sagte im September zu Abgeordneten seiner Partei, wer die Kommission für die Kandidatenaufstellung für illegitim halte, vergesse, dass er selbst daraus hervorgehe: "In der Politik ist Spaltung tödlich." Offiziell mischt sich der Präsident nicht in den Kommunalwahlkampf ein, auch um nicht als Hauptverantwortlicher für einen möglichen Misserfolg gesehen zu werden.

Sein Konterfei auf Wahlplakate zu drucken, gilt zudem derzeit nicht unbedingt als erfolgversprechend: In Umfragen dümpelt Macron bei unter 30 Prozent vor sich hin, die Widerstandsbewegung der "Gelbwesten" vor einem Jahr und die massiven Proteste gegen seine Rentenreform habe ihn unter Druck gesetzt. Zwar konnte er bei nationalen Wahlen die Republikaner und die Sozialisten erfolgreich abdrängen, doch ihre lokalen Bastionen halten diese weiterhin. Auch Macrons Hauptgegnerin Le Pen rechnet mit Zugewinnen für ihren rechtspopulistischen Rassemblement National, vor allem im strukturschwachen Norden und an der Côte d‘Azur. Eine weitere Konkurrenz tut sich mit den französischen Grünen (EELV-Les Verts) auf, denen bei den Europawahlen ein Überraschungserfolg gelang und die nun auf die Eroberung mehrerer Städte setzen. Dies würde ihnen weiteren Auftrieb für den Aufbau einer ökologisch und links orientierten Opposition geben.

Macrons Anhänger argumentieren, auch Charles de Gaulle habe bei seinen ersten Kommunalwahlen als Präsident im Jahr 1959 schlechte Ergebnisse für seine konservative Partei eingefahren, die erst später mehrere große Städte erobern konnte. Wiederholt nannte Macron den stolzen de Gaulle als sein Vorbild, den auch viele Franzosen verehren. Und doch ist er ein eindeutiger Vertreter der "alten Welt" - also jener, die Emmanuel Macron eigentlich verlassen wollte, um voranzustürmen und alles anders zu machen.