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"Kreativküchen" könnten die Innovationskraft erhöhen

Von Eva Stanzl

Wissen

Open Innovation: 78 Prozent der Bevölkerung wünschen sich, dass Wissenschafter ihre Anregungen aufgreifen.


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Wien. Sie zählen Sterne am Nachthimmel, Vögel in Städten und Zebras in Afrika. Aus Satellitendaten fertigen sie Landnutzungskarten, und in ihren Blumenbeeten suchen sie nach Fadenwürmern. Bürger, die ehrenamtlich an wissenschaftlichen Projekten mitwirken, betreiben "Citizen Science".

Für diese Tätigkeit greift der Begriff "Bürgerbeteiligung" jedoch zu kurz. Einerseits helfen "Citizen Scientists" bei der Bewältigung von Aufgaben, die für Forscherteams zu groß wären: Etwa sucht die Universität Oxford Freiwillige, die die Pinguine auf Fotos der Antarktis zählen, um neue Erkenntnisse zu den Auswirkungen des Klimawandels zu gewinnen. Für andere Fragen werden Fachleute gesucht: Fischer zum Thema Gewässerverschmutzung, Ornithologen zur Gesundheit der Vogelbestände, Kardiologen zur Entwicklung von neuen Herzklappen. Der Überbegriff für beide Forschungspraktiken ist "Open Innovation": die Öffnung des wissenschaftlichen Systems für andere, neue und frische Blickpunkte von außerhalb des Forschungsbetriebs. Beim "Science Talk" des Wissenschaftsministeriums (bmwfw), das Förderungen für derartige Projekte vergibt, diskutierten Experten am Montagabend über die Gestaltungschancen, die eine solche kollektive Intelligenz bringt.

Dass ein gewisses Maß Offenheit einem System gut tut, wissen Unternehmen. Etwa berichtet das Institut für Wissensmanagement der Universität Ramon Llull in Barcelona, dass die Zusammenarbeit mit externen Forschungspartnern die betriebliche Innovationskraft erhöhe. Und forschende Unternehmen, die gewisse Fragen vorübergehend einer größeren Allgemeinheit gestellt hätten, konnten ganze Datenbanken mit Ideen sammeln, was schneller zu mehr Innovationen geführt hätte.

"Das Innovationstempo lässt sich durch die Einbeziehung vieler Menschen erhöhen. Umgelegt auf die Forschung wird Wissen schneller gewonnen", betonte Marie Céline Loibl, Projektleiterin für "Sparkling Science" im bmwfw. In dem Programm können sich Schüler und Erwachsene an sieben Forschungsprojekten beteiligen - die Themen reichen von Erdbebenauswirkungen über "Natur vor der Haustür" bis hin zu politischer Bildung. "Besonders Schüler sind wie eine Kreativküche: Sie entdecken völlig neue Zugänge und drehen etablierte Prozesse gedanklich um", sagte Loibl.

Ein Projekt, das die Relevanz von Forschungsfragen erhöhen soll, leitet Lucia Malfent von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft. "Open Innovation in Science" will neue Zugänge zu psychischen Erkrankungen eröffnen. Unter www.redensiemit.org können ab 16. April Patienten und deren Angehörige Probleme und Fragen, die sie hierzu als wichtig erachten, einreichen. "Das Projekt selbst ist eine Prozessinnovation", sagte Malfent: Nicht Ärzte suchen nach Lösungen, sondern Betroffene geben an, wo die Probleme liegen. Dass Forscher Ideen von außen begrüßen, kann Malfent belegen: "Wir haben bereits jetzt Feedback von Psychiatern und Therapeuten - es scheint ein Wissenschaftszweig zu sein, der sich bewusst ist, dass er nicht im Besitz der ganzen Wahrheit ist." Umgekehrt will die Bevölkerung ihre Anregungen in der Wissenschaft wiederfinden. Einer repräsentativen Umfrage des Gallup Instituts unter 1000 Männern und Frauen in Österreich zufolge wünschen sich 78 Prozent, die Wissenschaft möge ihre Themen aufgreifen.

Fördert Beteiligung auch die Bürgerbegeisterung für Wissenschaft? Philipp Kornfeind, Sporttechnologe an der Uni Wien, würde es so sehen: "Bei Open Innovation ergreifen die Bürger die Initiative und engagieren sich, um etwas zu verändern", sagte er. Gert Wagner, Vorstand des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hätte es aber lieber anders: "Besonders in den Naturwissenschaften gibt es Lobbyisten in eigener Sache, die viel Geld verschwenden. Citizen Science sollte aber eher manch unnütze Forschung bereits im Ansatz verhindern."