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Kreml kommt Kritikern entgegen

Von Gerhard Lechner

Politik

Medwedew kündigt Wahl der Gouverneure durch das Volk an.


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Moskau. Der gelernte Judoka Wladimir Putin scheint sich gegenwärtig einer der Maximen seines Sports - "durch Nachgeben siegen" - zu erinnern: Vor ein paar Tagen dachte der russische Ministerpräsident, der nach den umstrittenen Parlamentswahlen unter Druck geraten ist, laut darüber nach, die Gouverneure in den Regionen künftig wieder vom Volk wählen zu lassen. Nun kündigte der scheidende Präsident Dmitri Medwedew in seiner letzten Rede zur Lage der Nation eben diesen Schritt an. Das Überraschende dabei: Es war Putin selbst, der als Präsident vor sieben Jahren die Wahl der Gouverneure abgeschafft hatte. Seitdem wurden die Chefs der Regionen vom Kreml ernannt. Auch Moskau bekam auf solche Weise nach der Absetzung von Langzeit-Zampano Juri Luschkow mit Sergej Sobjanin einen neuen, deutlich weniger als Volkstribun geeigneten Bürgermeister vorgesetzt.

Nun will man in Russland wieder zur alten Praxis zurückkehren. Unumstritten ist der Schritt allerdings nicht: Mit seinem Aufruf, die Regionen sollten sich so viel Souveränität nehmen, "wie sie verdauen können", hatte Ex-Präsident Boris Jelzin Russland in den 1990er Jahren an den Rand der Unregierbarkeit getrieben. Für viele in dem Riesenreich waren die von Putin eingeleiteten Maßnahmen ein notwendiges Mittel zur Stärkung des Gesamtstaats. Nun scheint der Unmut über die zunehmende Stagnation die russische Führung zum Umdenken gezwungen zu haben: Die Menschen in Russland müssten mehr Möglichkeiten zur Mitbestimmung haben, sagte Medwedew angesichts der jüngsten Proteste. Neben der Volkswahl der Gouverneure, einer der Kernforderungen der demokratischen Opposition, kündigte er einen leichteren Zugang für Bewerber zu Wahlen sowie eine bessere Kontrolle der Abstimmungen an. Für die Teilnahme an den Präsidentenwahlen reichen demnach künftig 100.000 statt bisher 300.000 Unterstützungsunterschriften aus, auch die Gründung von Parteien wird erleichtert. Außerdem soll es künftig einen TV-Sender geben, der inhaltlich "weder von der Regierung noch von seinem Privateigentümer abhängt", sagte Medwedew. Dem gegenwärtigen Staats-TV wird zu große Nähe zum Kreml vorgeworfen. Die jüngste TV-Fragestunde mit Putin etwa hatte sich mit mundgerecht formulierten Fragen zum Hochamt für den Premier gestaltet.

Spaltung der Opposition?

Auch wenn nur schwer vorstellbar ist, dass der Kreml einen selbstkritischen TV-Sender aus dem Hut zaubert: Profilierte Oppositionelle wie Boris Nemzow reagierten positiv auf Medwedews Ausführungen. Besonders die geplante Rückkehr zu Direktmandaten in der Staatsduma wertete der Vizepremier unter Jelzin als "richtigen Schritt". Auch die nicht zugelassene liberale Oppositionsbewegung Parnas hofft jetzt wieder auf eine Registrierung.

Auf die bei den Demonstrationen skandierte Forderung nach Neuwahlen ging Medwedew freilich nicht ein, stattdessen warnte er vor "Provokateuren und Extremisten". Am Samstag wollen wieder zehntausende Menschen unter dem Slogan "Für ehrliche Wahlen" auf die Straße gehen. Neben dosiertem Entgegenkommen scheint der Kreml auch auf gezielte Provokationen zu setzen, um die Gegner zu spalten: Eine kremlnahe Aufdeckerseite hatte Mitschnitte von Telefongesprächen Nemzows veröffentlicht, der darin über Mitstreiter wie die Umweltaktivistin Jewgenia Tschirikowa herzog. Zwar entschuldigte sich Nemzow sofort und trat gemeinsam mit Tschirikowa auf, das Bild der einheitlichen Opposition hat aber gelitten.

Die Altliberalen um Nemzow sollen auch nur wenig mit dem ruppigen Nationalismus der Jungen um den Blogger Alexej Nawalny anfangen können. Der Internet-Aufdecker wurde einst wegen nationalistischer Ansichten aus der liberalen Oppositionsbewegung "Jabloko" hinausgeworfen. Im November nahm er am "Russischen Marsch" nationaler Bewegungen teil, denen ebenfalls die Registrierung für die Parlamentswahlen verweigert wurde. Vor allem Kaukasier hat Nawalny im Visier: In einem Internetvideo, in dem er für freien Waffenbesitz eintritt, vergleicht er sie mit Küchenschaben und empfiehlt als Gegenmittel - "die Pistole".

Nawalny wird auf der Demonstration am Samstag wieder sprechen - ausgestattet mit dem Nimbus des Polit-Häftlings: Am Mittwoch kam er aus seiner 15-tägigen Haft frei. "Es ist wichtig, dass wir zusammenhalten", rief er seinen Anhängern zu.

Video von Nawalny (russisch)