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Krieg auf dem Sinai

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Seit drei Jahren kämpft das ägyptische Militär gegen Extremisten auf dem Sinai - ohne Erfolg.


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Kairo. "Ich will hier nicht mehr weiterleben", sagt eine verzweifelte Stimme am Telefon, "ich will hier raus, weg aus Ägypten!" Mohammed Ali ist Polizist und seit sechs Jahren im Einsatz auf dem Sinai. Er stand an der Grenze zum Gazastreifen, als Israel im Jänner 2009 Krieg gegen die Hamas führte. Er war bei dem Sturm der Palästinenser auf den geschlossenen Übergang Rafah dabei, als sechs ägyptische Soldaten getötet wurden und sich die Hamas-Regierung in Gaza bei den Ägyptern in Kairo entschuldigen musste. Und er ist jetzt wieder dabei, wenn Armee und Polizei um die Sicherheit auf dem Sinai und im ganzen Land kämpfen.

"Fünfzehn meiner engsten Kollegen sind schon getötet worden", begründet der 34-Jährige seine Resignation. "Jeden Tag werden wir angegriffen, jeden Tag sterben einige von uns." Seit fast drei Jahren tobt vor allem im Norden des Sinai ein erbitterter Kampf gegen "Terroristen", wie die Armeeführung ihre Operationen dort offiziell nennt. Nur wenige Meldungen dringen davon an die Weltöffentlichkeit.

"Bis an die Zähne bewaffnet"

"Sie haben es ganz bewusst auf uns abgesehen", erzählt Ali über den Alltag in Al Arish, der Mittelmeerstadt, in der er zurzeit stationiert ist. "Sie fahren mit ihren Autos an unsere Polizeifahrzeuge heran und schießen auf uns oder es explodiert ein Sprengsatz direkt neben unserem Fahrzeug." Unter Mubarak habe es auch schon Kriminalität auf dem Sinai gegeben. Es wurde geschmuggelt, mit Drogen gehandelt, Autos wurden gestohlen. "Aber jetzt", empört sich der Polizist, "sind die alle bis an die Zähne bewaffnet." Seit dem Ausbruch der Revolution Ende Jänner 2011 ist der Sinai zur Brutstätte von Gewalt und Terror geworden. Wer "die" sind, kann Mohammed Ali nicht sagen. Nur dass ihre Waffen aus Libyen kämen und dass sich der Konflikt auf dem Sinai längst zu einem Krieg entwickelt hat.

Bei einer Anschlagsserie im Norden der Halbinsel waren diese Woche dutzende Menschen getötet worden. Unklar ist weiter die genaue Opferzahl: Laut ägyptischer Armee starben 17 Soldaten und 100 Dschihadisten, andere offizielle Stellen hatten zuvor von etwa 70 getöteten Soldaten und Zivilisten gesprochen. Sicher ist: Das war die bislang schwerste Anschlagserie auf dem Sinai. Zu den Angriffen bekannte sich der ägyptische Zweig des Islamischen Staats (IS), der sich bis Oktober "Ansar Beit al-Makdis" nannte, bevor er sich dem Terrorchef Abu Bakr al-Bagdadi anschloss.

Die Organisation zählte ursprünglich etwa 1000 Kämpfer, zu denen Sinai-Beduinen, Ägypter und auch Ausländer gehörten. Mittlerweile dürften sie um ein Vielfaches mehr sein. Anfänglich richteten sich ihre Anschläge hauptsächlich gegen Einrichtungen in Israel und gegen die Erdgasleitung aus Ägypten nach Israel. Doch seit dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi im Juli 2013 kommt es immer häufiger zu Kämpfen zwischen Terror-Milizionären und ägyptischen Soldaten. Bei den Auseinandersetzungen und Anschlägen wurden schon hunderte Armee-Angehörige und Polizisten getötet. Am Montag erlag Generalstaatsanwalt Hischam Barakat seinen Verletzungen nach einem Anschlag in Kairo.

Die Dschihadisten rechtfertigen ihre Attacken mit der blutigen Unterdrückung der Mursi-Anhänger seit dessen Sturz. Tausende Mursi-Sympathisanten sitzen in Haft. Hunderte wurden in Massenprozessen zum Tode verurteilt, darunter auch Mursi selbst. Doch der Konflikt auf dem Sinai ist älter als der Sturz Mursis, das daraufhin verhängte Verbot der Muslimbruderschaft und dem Abtauchen vieler Anhänger in den Untergrund. Deren Radikalisierung war vorhersehbar und trägt nun zur weiteren Eskalation auf dem Sinai bei.

Sinai einst Hort der Sicherheit

Bis zum Sturz Hosni Mubaraks im Februar 2011 galt die 60.000 Quadratkilometer große Halbinsel immer als sicher. Internationale Konferenzen mit hochrangigen, gefährdeten Politikern fanden in der Ära Mubarak stets auf dem Sinai statt. Sharm el-Sheikh ist als Austragungsort in die Geschichte eingegangen. Dort hatte auch der gestürzte Langzeitpräsident sein letztes ziviles Domizil, bevor er ins Militärkrankenhaus in Kairo transportiert wurde. Doch das Machtvakuum, das durch die Revolution entstand, hatte auch Auswirkungen auf die Sicherheit. Die Polizei verweigerte über Monate ihren Dienst, die Militärs waren mit dem Regieren beschäftigt. Der Sinai hatte plötzlich offene Türen. Und Kurzzeitpräsident Mursi tat auch nichts, um die Sicherheitslage zu verbessern. Im Gegenteil. Auf dem Sinai wie im ganzen Land stieg die Kriminalitätsrate während seiner Amtszeit an, die Gewalt nahm zu.

Seit fast drei Jahren nun versuchen die ägyptischen Sicherheitskräfte, die Lage auf dem Sinai in den Griff zu bekommen. Wie die jetzigen Übergriffe zeigen, ohne größeren Erfolg. Regelmäßig meldet die Militärführung Tötungen von Anführern der Dschihadisten, spricht von der Eindämmung der Terroraktivitäten. Doch immer wieder sickern Meldungen über Gefechte, Explosionen, Bombenanschläge und getötete Polizisten durch, auch wenn offiziell eine Nachrichtensperre über die Militäroperationen verhängt wurde.

Einwohner der Städte Al Arish und Raffah aber berichten darüber. Für Journalisten, die auf den Sinai fahren wollen, ist die Reise zumeist kurz hinter dem Tunnel durch den Suezkanal oder der Fährverbindung bei Ismailia zu Ende. Die Lage im Norden sei zu explosiv, wird als Begründung angegeben. Die harte Haltung der Staatsführung lässt aber auch andere Schlüsse zu. Die neuerliche Eskalation auf dem Sinai trägt nicht gerade zu einem positiven Image bei, hatte der jetzige Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi seinen Landsleuten doch Sicherheit versprochen, wenn sie ihn wählen würden. So beschuldigt er uneingeschränkt die Muslimbrüder und deren Anhänger für den Terror im Land und will künftig noch härter gegen Regimegegner vorgehen.

Vergessen scheinen die Fotos in der Tageszeitung "Al-Ahram" von Mai 2013, als al-Sisi in seiner damaligen Funktion als Oberbefehlshaber der Armee neben Präsident Mursi saß und zusammen mit ihm die Freilassung von sieben entführten Soldaten auf dem Sinai feierte. Der seit Jahren schwelende Konflikt zwischen den Beduinen dort und der Regierung in Kairo wurde zum ersten Mal deutlich benannt. Mit der Entführung der Soldaten sollten inhaftierte Stammesmitglieder freigepresst werden. Bei den Verhandlungen mit den Entführern hätten die Beduinen sich geweigert, die Armee zu unterstützen. Der Hass auf die Staatsmacht sei groß, erklärte ein Armeemitglied der Zeitung. Sollte es kein Angebot an die Beduinen seitens der Regierung geben, so die Einschätzung des Kommentators damals, werde die Zukunft des Sinai düster. Inzwischen ist Mursi zum Staatsfeind Nummer eins erklärt und zum Tode verurteilt worden. Die Probleme auf dem Sinai sind geblieben.