Ganz Asien ist derzeit in einem rasanten Umbruch begriffen - ökonomisch, sozial und nicht zuletzt auch strategisch. Das kann naturgemäß nicht ohne Folgen auf das diffizile Machtgleichgewicht des riesigen Kontinents bleiben. Und damit ist auch Europa betroffen, sind hier doch die Märkte der Zukunft beheimatet. Erich Reiter, Leiter des Österreichischen Büros für Sicherheitspolitik, warnt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" davor, die Gefahren, die in einer Eskalation der zahlreichen regionalen Konflikte liegen, zu unterschätzen.
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"Ein großer Krieg bleibt das Damoklesschwert, das über diesem Erdteil schwebt", ist Reiter überzeugt. Zu groß ist das Eskalationspotenzial der zahlreichen Konflikt. Zu den gefährlichsten Brandherden zählt er - ungeachtet der jüngsten Entspannung - den Kashmir-Konflikt zwischen den beiden Atommächten Indien und Pakistan, die nach wie vor ungelöste Taiwan-Frage sowie das unberechenbare Regime in Nordkorea.
Auf einer Ebene darunter schwelt immer noch - zusätzlich zur derzeitigen Auseindersetzung über die unterschiedlichen Geschichtsbetrachtungen - ein sino-japanischer Streit um die Hoheit über einige Felsklippen im chinesischen Meer und auch in der Frage der chinesisch-indischen Grenze sind längst nicht alle Fragen zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst.
Heikle Achse China-Indien
Wie ist dann aber die erst am 11. April feierlich verkündete "strategische Partnerschaft" zwischen China und Indien zu verstehen? Für Reiter steckt hinter diesem großspurigen Begriff in erster Linie das Bemühen, die gegenseitigen Beziehungen zu nomralisieren, indem bestehende Probleme wenn schon nicht gelöst, so doch immerhin abgebaut werden.
Wie gering mittlerweile die konkrete Substanz des diplomatischen Begriffs "strategische Partnerschaft" ist, wird für Reiter nicht zuletzt an dessen inflationären Verwendung deutlich: Schließlich bezeichnete damit erst jüngst US-Außenministerin Rice das Verhältnis der USA zu China, und auch die Europäische Union und Russland sehen sich in einer solchen Zweckgemeinschaft einander verbunden.
Eine weitere Relativierung erfährt die sino-indische "Partnerschaft" durch das traditioniell enge Verhältnis Pekings zu Pakistan, dem großen Gegenspieler Neu Dehlis, gibt Reiter zu bedenken. Tatsächlich ist wahrscheinlich, dass China seinen Schritt mit Pakistan, seinem engsten Verbündeten in der Region, abgestimmt hat. Die entscheidende Frage lautet für ihn daher: Wie verhält sich China im Falle einer neuerlichen Eskalation des Konflikts um Kashmir?
China strebe derzeit danach, wieder seine alte historische Rolle als "Reich der Mitte" in Asien einzunehmen, so Reiter. Trotz zahlreicher, nach wie vor ungelöster Grenzkonflikte arbeite das sich rasant modernisierende Riesenreich beharrlich daran, die Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten zu normalisieren. "Mit China erscheint derzeit - neben den USA - eine zweite Macht auf der internationalen Bühne, die bereit ist, seine militärischen und anderweitigen Muskeln auch im Sinne seiner Interessen einzusetzen", ist Reiter überzeugt. Dass dies bei den anderen die Furcht vor einer chinesischen Hegemonie schüre, ist für den Sicherheitsexperten nur natürlich.
Problem Taiwan-Straße
Den größten Unsicherheitsfaktor für die Sicherheit der Region stellt für den Sicherheitsexperten die Taiwan-Frage dar. Eine militärische Eskalation für den Fall, dass eine demokratisch legitimierte Führung die Unabhängigkeit der Insel proklamiert, hält er für durchaus realistisch. Daneben gibt vor allem das kommunistische Nordkorea Rätsel auf: "Niemand weiß genau, wie stark die Führung wirklich ist: Hat sie das Land tatsächlich im Griff oder gleicht das bizarre Regime von Kim Jong Il eher einem Potemkinschen Dorf?"
Russland hat für Reiter den Status einer Großmacht in Ostasien längst verloren: Die marktwirtschaftlichen Reformen würden hier nicht greifen und die Bevölkerung schrumpfen - "und damit fehlen schlicht die Grundvoraussetzungen für eine Großmachtstellung". Über diese verfüge dagegen nach wie vor das hochentwickelte Japan - trotz einer hartnäckigen wirtschaftlichen Depression.