Alter Streit zwischen Initiative Liberaler Muslime und IGGiÖ geht weiter.
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Wien. Amer Albayati, Präsident der Initiative Liberaler Muslime in Österreich (ILMÖ), hat in einem offenen Brief an die Bundesregierung massive Kritik an der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) geübt. Er erhebt schwere Vorwürfe und spricht der IGGiÖ das Recht ab, alle Muslime in diesem Land zu vertreten.
"Die IGGiÖ betreibt seit 30 Jahren Religionsunterricht und verbreitet auch radikale und fundamentalistische Inhalte gegen den demokratischen Staat, wie die Sharia, das Kalifat und den Jihad. Der Staat und die Steuerzahler zahlten für diesen Unterricht bisher hunderte Millionen Euro, die zurückgefordert werden müssten", lautet ein Auszug aus einer Presseaussendung der ILMÖ.
"Wir haben an den Stadtschulrat geschrieben und darauf aufmerksam gemacht, dass die IGGiÖ mehr Lehrer beschäftigt, als sie braucht. Damit arbeitslose Personen Arbeit bekommen. Hier werden auch Islamisten als Imame angemeldet. Die meisten haben keine pädagogische Ausbildung und nie eine Universität besucht. Es handelt sich auch oft um Taxifahrer oder Zeitungsverkäufer, die aus dem politisch organisierten Islam stammen, wie etwa den Muslimbrüdern, der Hamas oder der Milli Görus", behauptet Albayati. Gespräche mit dem gebürtigen Iraker und ehemaligen BBC-Journalisten sind wie eine kleine Explosion. Viel hat er anzumerken, und vor allem zu kritisieren. "Wir wissen nicht, ob die Islamische Glaubensgemeinschaft als Verein oder als Körperschaft registriert ist. Im Dezember 2010 hat der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass die IGGiÖ keinen Alleinvertretungsanspruch für alle Muslime in diesem Land besitzt. Aber das Kultusministerium beachtet diesen Entscheid nicht", kritisiert Albayati weiter.
Abgrenzung von den Parallelgesellschaften
Die IGGiÖ ist seit 1979 eine anerkannte Religionsgemeinschaft in Österreich und für die offizielle Vertretung und Verwaltung der religiösen Belange aller in Österreich lebenden Muslime zuständig. Laut Artikel 1 der eigenen Verfassung gehören ihr alle Muslime an, die in der Republik Österreich ihren Aufenthalt haben. Das sind rund 500.000 Männer und Frauen. Wahlberechtigt sind jedoch nur Personen ab 14 Jahren, die in dem vom Gemeindeausschuss geführten Mitgliederverzeichnis seit mindestens sechs Monaten eingetragen sind und einen jährlichen Mitgliedsbeitrag von 43,60 Euro zahlen.
Einen großen Gegner hat sich die ILMÖ hier ausgesucht. Diesen Verein gibt es erst seit dem Jahr 2000. Wie viele Mitglieder er hat, will Albayati nicht verraten. Man verstecht sich als Verein für Intellektuelle, "die mit der Parallelgesellschaft in den Moscheen nichts zu tun haben wollen", erklärt Albayati. "Dies ist ein christliches Land, das muss man akzeptieren. Wir wollen nicht die Probleme der ehemaligen Heimatländer mitnehmen, denn wir fühlen uns als Österreicher. Die Problematik des Nahen Osten nach Österreich zu schleppen, bedroht den sozialen Frieden und unsere Sicherheit", sagt er. Es geht ihm darum, sich von radikalen Strömungen im Islam abzugrenzen. Insbesondere ist ihm die Lehrer- und Imame-Ausbildung der IGGiÖ ein Dorn im Auge.
Als Fuat Sanac 2011 Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft wurde, setzte Albayati große Hoffnungen in den neuen Vorsitzenden und unterstützte ihn. "Sanac hat mir erzählt, dass sein Vorgänger Anas Schakfeh die IGGiÖ wie ein Alleinherrscher geleitet hat. Er selbst würde anders arbeiten. Leider hat er uns nachher einen Dolch in den Rücken gejagt und bei jeder offiziellen Veranstaltung wie der Islamkonferenz im Innenministerium gegen uns gesprochen und uns untergraben. Aber wir werden weiter kritisieren. Sie müssen lernen, dass Österreich nicht der Orient ist, und bedenken, dass es in Europa Gesetze und Grundsätze für Vereine und Körperschaften zu achten gilt", sagt Albayati.
Wie schwer seine Arbeit fällt, merkt Albayati an den Nicht-Reaktionen der Personen und Organisationen, an die er sich wendet. So hat er wegen einem Antrag für den Bau einer Kirche in Saudi-Arabien einen Brief an den Botschafter geschrieben. Die Antwort blieb aus. Ebenso erfolglos blieben seine Versuche mit dem saudischen König, dem Kronprinz sowie dem Aufsichtsrat des Abdullah-Zentrums für Interreligiösen Dialog (KAICIID) in Kontakt zu treten.
Die Gründe dafür sieht Albayati darin, dass seine "Gegner" Angst vor ihm haben. "Sie wissen, dass das Zentrum eine saudi-arabische wahabitische Institution ist und keine internationale. Die Wahabiten sind eine Sekte, die nicht einmal ein Prozent der Muslime weltweit repräsentieren und behaupten, dass sie die einzige Wahrheit kennen. Christen und Juden sind in ihren Augen Ungläubige", sagt Albayati.
"Wir können nicht aufalles reagieren"
Seine Frustration über die Vorgänge in Österreich entlädt Albayati auch an der österreichischen Politik. Er glaubt, dass viele Parlamentarier Angst vor dem "radikalen Islam" haben. "SPÖ und ÖVP müssen bedenken, über kurz oder lang wird es zu Konfrontationen kommen. Wir bei der ILMÖ fühlen die Pflicht als Staatsbürger, an die Zukunft Österreichs zu denken. Leider hat man uns aus dem Innenministerium ausgeklammert. Auch Sebastian Kurz hat das getan. Ich glaube ja, dass er null Ahnung von Muslimen, dem Islam und der Integration der Muslime hat. Die Realität ist, dass es Parallelgesellschaften, Konservativismus und Islamismus gibt. Bald wird es in Europa keine Frau mehr wagen mit einem Kopftuch durch die Gegend zu laufen, denn mittlerweile hasst jeder Vierte den Islam und die Muslime. Und wir sind daran schuld."
IGGiÖ-Präsident Fuat Sanac kennt die Vorwürfe der ILMÖ bereits seit mehr als zehn Jahren. Sanac selbst gilt als Vertreter der liberalen Ausrichtung des Islams, Kritiker werfen ihm allerdings auch eine Nähe zur Milli Görüs, bei der er in jungen Jahren in Deutschland Funktionär war. Das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz hat im Juli 2013 festgestellt, dass Milli Görüs ein antidemokratisches Staatsverständnis zeige sowie westliche Demokratien ablehne.
"Österreich ist ein freies Land und jeder darf seine Meinung äußern. Die Klage gegen die Islamische Glaubensgemeinschaft auf Aberkennung als offizielle Religionsgemeinschaft ist 2009 gescheitert", sagt Sanac. Angesprochen auf Albayatis Vorwürfe der Rechtswidrigkeit entgegnet er: "Es gibt acht Millionen Menschen in dem Land. Wir müssen und können nicht auf alles reagieren. Die IGGiÖ gibt es seit 1979 und wir haben über 120.000 registrierte Mitglieder und unterrichten 70.000 Schüler."
2009 gab es allerdings doch eine Reaktion auf die Diskussion um den Repräsentationsanspruch der Islamischen Glaubensgemeinschaft. In einer Stellungnahme von muslimischen Verbandsobmännern zeigten sich 45 muslimische Organisationen und Moscheegemeinden über die Tendenzen, die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich als gemeinsames offizielles Vertretungsorgan der Muslime in Österreich in Frage zu stellen, sehr besorgt. Es stand geschrieben: "Wir erklären daher, dass wir keinen Keil zwischen uns treiben lassen. Zu einem authentischen und lebhaften innermuslimischen Diskurs gehört es dazu, in Einzelfragen auch einmal verschiedene Auffassungen oder Lösungsmodelle zu entwickeln. In unserer ganzen Bandbreite bilden wir allerdings die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich ab. Wir sehen uns als Vereine der Islamischen Glaubensgemeinschaft, die alle gemeinsam die Linie mittragen und verfolgen, die Vereinbarkeit einer Identität als Muslime und Österreicher zu unterstreichen und damit Muslime als Teil der österreichischen Gesellschaft bewusst zu machen."
Auch Atheisten und Freidenker willkommen
In erster Linie mangelt es Albayati bei seinen Gegnern an Dialogbereitschaft. "Wir respektieren unsere Feinde und sind bereit, ihnen die Hände zu reichen. Aber wir leben nun mal hier in Europa und müssen Farbe bekennen. Unsere Beratung ist für alle da, egal welcher Religion der Mensch angehört. Alle sind willkommen, auch die Freidenker und Atheisten. Wir leben ja schließlich in einer Demokratie", stellt Albayati seine Einstellung klar.
Die IGGiÖ wird, laut Albayati, von der heimischen Politik geduldet, weil das von Saudi-Arabien und der Türkei gewünscht wird. "Das muss enden. Noch einmal, ich fordere die Auflösung der Islamischen Glaubensgemeinschaft und auch, dass sich der Stadtschulrat um den Missbrauch rund um die islamischen Lehrer und Imame kümmert. Es kann nicht sein, dass wir auf ein besorgtes Schreiben als Antwort eine Frage zugeschickt bekommen. Nämlich die, ob wir denn genaue Namen kennen würden. Falls ja, sollten wir den Stadtschulrat darüber informieren. Das ist ja nicht unsere Aufgabe. Wir können nur auf die Missstände aufmerksam machen.", sagt Albayati, "Den Rest müssen zuständige Stellen prüfen, um den Missbrauch zu beenden."