Oase der Kreativwirtschaft, Vorzeigeprojekt und Objekt der Kritik: das Packhaus.
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Wien. Die Medien und die Stadtregierung feiern das "Packhaus" in der Marxergasse im 3. Bezirk als Paradebeispiel erfolgreicher Zwischennutzung. Das gefällt nicht allen. Das Ergebnis ist ein Kapitel Wiener Stadtentwicklung, das spaltet. Für die einen ist es eine Erfolgsgeschichte, wie da aus einem tristen, leerstehenden Amtsgebäude ein belebtes Bürohaus wurde, ein Zentrum der Kreativen und Motivierten. Die junge Betreiberin Margot Deerenberg wird dafür jetzt schon zur "Koryphäe" der Zwischennutzung geadelt. Für die anderen ist das hippe Projekt ein Paradebeispiel für den Verrat eines alternativen Vorhabens, das ihrer Meinung nach altruistisch sein und den Benachteiligten der Stadt nützen sollte. Margot Deerenberg wird vorgeworfen, im Alleingang streitbare Entscheidungen getroffen und soziale Projekte hinausgeworfen zu haben, weil sie nicht ins Bild der schicken Start-up-Welt passten.
Hier treffen Pragmatiker auf Idealisten, Unternehmer auf Künstler. Es herrscht Streit zwischen Mastermind Margot Deerenberg und ehemaligen Mitarbeitern des Vereins "Paradocks", die auch einmal Freunde waren und mittlerweile nur noch via Anwalt kommunizieren. Anonym haben sie sich an die "Wiener Zeitung" gewandt, mit dem Anliegen, der "Lobhudelei", wie sie es nennen, etwas entgegenzusetzen. Ein Streit, der auch daraus resultiert, dass bei Projekten wie diesem aus Freunden, Mitarbeitern und aus jungen Idealisten plötzlich kühl kalkulierende Unternehmer werden.
"Endlich ist Zwischennutzung nach vielen anderen europäischen Städten auch in Wien angekommen und schon wird wieder gejammert", seufzt Jutta Kleedorfer, Projektkoordinatorin für Mehrfachnutzung in der MA18, dem Magistrat für Stadtentwicklung und Stadtplanung. Sie ist frustriert von den internen Streitereien und ideologischen Scharmützel um das Vorzeigeprojekt "Packhaus". Denn die Zwischennutzung in der Marxergasse war von Anfang auch ein Pilotprojekt. Es sollte zeigen, dass Zwischennutzung allen Seiten nützen kann: Dem Grätzl, weil da statt einem öden, verlassenen Bürokomplex plötzlich ein Zentrum junger und kreativer Menschen entsteht, inklusive Blumenkästen vor dem Haus und Eintopf für alle beim "Grätzl-Lunch". Der Stadt, weil es vernachlässigte Viertel aufwertet, weil Start-ups profitieren und die Wirtschaft ankurbeln. Den Jungen, Kreativen und Prekären, die auf der Suche sind nach günstigen Büros und Ateliers. Und natürlich den Investoren und Immobilienfirmen, denn sie bekommen durch die Zwischennutzung völlig kostenlos eine Art "Hausbesorger", die dafür sorgen, dass das Gebäude gepflegt, vielleicht sogar in Eigenregie renoviert wird und dass sich vor allem keine Hausbesetzer breitmachen.
Gestiegene Mietpreise
Eine klassische Win-win-Situation? Zumindest ist nach zwei Jahren aus dem leerstehenden ehemaligen Bundesrechenzentrum in der Marxergasse längst ein modernes Bürogebäude geworden. Das Erdgeschoß wurde komplett renoviert. Der alte Teppichboden wurde herausgerissen, der Betonboden ist frisch lackiert. Vintage-Möbel stehen neben Designer-Stücken. Durch große trübe Fenster scheint die Sonne auf einen langen Esstisch aus Holz. Ein düsteres Treppenhaus führt in die eher kleinen, meist dunklen Zimmer, die noch an die damalige Amtsatmosphäre erinnern. Hier arbeiten heute Kreative und Start-ups. Doch die Miete ist von Anfangs wenigen Euro um fast zehn Euro pro Quadratmeter gestiegen.
Es läuft gut. Trotz der hohen Mieten, oder vielleicht gerade deswegen. Denn die Mieter bekommen einiges geboten für ihr Geld: Nebenkosten, Internet, Reinigung durch einen Putzmann und Küchenmitbenutzung - alles ist inkludiert. Das zieht ein anderes Klientel an als zu Beginn: Statt mittelloser Künstler arbeiten hier jetzt Unternehmer und freie Dienstnehmer, die schon Geld verdienen mit ihrer Arbeit und es sich leisten können, in ein Büro zu investieren, in das man auch Kunden einladen kann. Das Packhaus ist repräsentativ und hat dabei die Aura des Subversiven, Unfertigen, Unkonventionellem behalten. Auch eher konservative Institutionen mieten mittlerweile gern das Erdgeschoß für ihre Veranstaltungen. Business mit Shabby Chic, das kommt gut an. 20 Anfragen für Büroräume gebe es pro Woche, erzählt Margot Deerenberg. Die junge Stadtgeografin war von Anfang an Betreiberin des Projektes. Auf der Suche nach einem Ansprechpartner hatte sich die Immobilienfirma Conwert an Stadtplanerin Jutta Kleedorfer gewandt, die hatte Deerenberg vorgeschlagen.
Aussage gegen Aussage
Man kannte sich vom Zwischennutzungsprojekt Trust 111 in der Schönbrunnerstraße im 5. Bezirk. Ausgeschrieben wurde die Stelle nicht. Conwert ist zwar einverstanden, dass Start-ups und Kreative in das Gebäude einziehen, fürchtet sich aber vor Klagen wegen Lärmbelästigung und anderen Nebenwirkungen exzessiven Feierns. Auf der Suche nach einer seriösen Betreiberin, die Verständnis haben muss, für die Sorgen der Investoren, rät ihnen Kleedorfer zu Deerenberg.
Kleedorfer spricht lobend über ihren Schützling, lobt ihr professionelles Konzept für das Packhaus, ihre guten Ideen, ihren Fleiß. Es fallen aber auch die Worte Selbstdarstellung und Pioniergehabe. Und sie sagt: "Ich weiß, dass gestritten wird." Ehemalige Mitarbeiter werfen Margot Deerenberg jetzt eine Liste an Verfehlungen vor. Es geht um Anstellungsverhältnisse und um Geld. Sie habe Festanstellungen versprochen und nie eingelöst, heißt es. Ihre Rücklagen, die nur aus der Kaution der Mieter bestehen, seien nicht ausreichend dafür, kontert sie. Sie habe unsauber gearbeitet, zum Teil sogar selbst profitiert. Gar Airbnb-Wohnungen soll sie im Packhaus vermietet haben. Deerenberg bestreitet die Vorwürfe. In allen Punkten steht Aussage gegen Aussage.
Klar ist, dass Margot Deerenberg spaltet: Die einen sehen in ihr die pragmatische Jungunternehmerin mit zupackender Mentalität, die anderen eine gefühllose Immobilienmagnatin außer Rand und Band. Klar ist auch, in Sachen Mitarbeiter- und Unternehmensführung besteht die Führungsriege des Hauses aus Autodidakten. Nichts Ungewöhnliches bei einem Immobilienprojekt, das Start-ups nützen soll und selbst auch eine Art Start-up ist.
Doch welche Schuld trifft die Stadt? Ein Kritikpunkt ist eine finanzielle Forschungsförderung von 12.000 Euro, die das Packhaus 2014 erhalten hat, darüber hinaus sind keine Gelder der Stadt geflossen. Die Summe wurde vor zwei Jahren von der Kulturabteilung MA7 überwiesen, Deerenberg sollte dafür einen Bericht über das Gedeihen des Zwischennutzungsprojektes liefern. Die Stadt wollte dann Erfahrungen und Erkenntnisse für weitere Projekte nutzen. Doch dieser Bericht wurde nie abgegeben, im Jänner dieses Jahres hätte er fertig sein sollen. Laut einem Mail der Grünen, das der "Wiener Zeitung" vorliegt, sei Paradocks von der MA7 bereits dringend ermahnt worden, diesen zu liefern. Er werde im nächsten Monat auf der Homepage nachzulesen sein, verspricht Margot Deerenberg im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Keine sozialen Projekte
"Aber das Packhaus war von Anfang an ein Pilotprojekt. Deshalb haben wir laufend an Conwert und MA7 Bericht erstattet", rechtfertigt sie sich. Die Vorwürfe rund um das Packhaus und ihre Person machen ihr sichtlich zu schaffen. "Weil wir als liebe, naive Gutmenschen gelten, sind wir leicht zu attackieren. Das Projekt läuft wahnsinnig gut und das zieht immer Kritik an."
Hat sie sich übernommen? Ist das Packhaus eine Nummer zu groß für sie, wie ihre ehemaligen Mitarbeiter schimpfen? Klar ist, dass es Learning-by-doing ist, was da passiert. 60 Stunden pro Woche habe sie in den vergangenen Jahren für das Projekt gearbeitet, im ersten Jahr habe sie sich nicht einmal ein Gehalt auszahlen können.
Heute läuft es finanziell gut. Aber nicht für alle. Der "Sozialmarkt", ein gemeinnütziger Verein, der stark vergünstigte Lebensmittel für sozial Benachteilige anbietet und sich anfangs im Erdgeschoß eingemietet hatte, musste wieder gehen. Es habe gestunken. Stark alkoholisierte Menschen hätten Anwohner und Mieter gestört, es seien Mäuse gesichtet wurden. "Es war sehr schwierig", erzählt Margot Deerenberg. Doch letztendlich sei es nicht an ihr gescheitert, sondern daran, dass das Packhaus ohnehin keine Gewerberäume anbieten darf. "Sie hat sie einfach rausgeschmissen. Sie wollte keine armen Leute im Haus", sagen ihre Widersacher. Auch eine Sammlung für das Flüchtlingslager in Traiskirchen sei kurzfristig abgebrochen worden, weil es angeblich an Platz mangelte.
Hier ist er wieder, der Graben zwischen Idealisten und Pragmatikern. Auf der einen Seite die Frustration, dass soziale Projekte keinen Platz hatten im schicken, hippen Bürokomplex. Auf der anderen Seite die kühle Entscheidung Deerenbergs, dem Verein zu kündigen, das Lager räumen zu lassen. Sie habe an die anderen Parteien denken müssen, an potenzielle Mieter.
Stadtrat Ludwig dagegen
Verzweifelt habe sich Deerenberg damals an sie gewandt, erinnert sich Kleedorfer. Leicht habe sie es sich dabei nicht gemacht, stellt sich Kleedorfer schützend vor ihre Protegée. Sie sagt: "Wenn ein Projekt so groß wird, müssen die Betreiber eben auch unternehmerisch denken." Ganz anders sieht das zum Beispiel die IG Kultur, die gerade in einer Petition fordert, Zwischennutzung transparenter zu gestalten. Die Stadt solle offenlegen, wo es Leerstand gibt. Außerdem sollte Zwischennutzung generell nur auf Betriebskostenbasis passieren. "Natürlich wird keine Miete gezahlt an die Inhaber", sagt Kleedorfer. "Aber Zwischennutzung heißt nicht, etwas umsonst zu kriegen. Da entsteht ein neuer Markt und die passende Struktur muss erst noch gefunden werden." Zwischennutzung spaltet nicht nur die Szene. In der Stadtregierung stehen sich auch grüner Idealismus und roter Pragmatismus gegenüber.
Besonders Michael Ludwig, ehemaliger Vizebürgermeister und Stadtrat für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung, soll kein Fan von Zwischennutzung sein, heißt es aus Kreisen der Stadtverwaltung. "Ihr redet von euren Gutmenschen und dann kommen die bösen Unternehmer", soll er einmal formuliert haben.
Dieser politische Streit ist auch der Grund, warum Zwischennutzung noch nicht in der städtischen Bauordnung zu finden ist - mit Ausnahme der Sonderregelungen für den Fonds für Soziales Wohnen im Zuge der Flüchtlingskrise vom vergangenen Jahr. Von den Zwischennutzungs-Befürwortern wird besonders kritisiert, dass es bis jetzt keine behördlichen Erleichterungen für die Betreiberinnen und Betreiber gibt. Erleichterungen, die nötig wären, will man verhindern, dass weitere Zwischennutzungen zu ähnlichen Zankäpfeln werden wie das Packhaus. "Wir wollen kein Hub sein, es geht uns um die Zwischennutzung", sagt Margot Deerenberg abschließend. "Wir wollen die Stadt mitgestalten."