Am Zwist zwischen Wien und Ankara leiden heimische Unternehmen.
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Wien. Ende 2015 schien die Welt noch in Ordnung: Nach Neuwahlen im Herbst saß die AKP wieder fest im Sattel - beim ersten Durchgang hatte sie ihre Mehrheit im Parlament verloren -, das Wirtschaftswachstum belief sich auf vier Prozent, das Leistungsbilanzdefizit konnte weiter gesenkt werden und auch die Auslandsinvestitionen stiegen wieder an. Neben den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und der Türkei gewannen auch die poltischen Kontakte an Dynamik. Eine Lösung in der Flüchtlingskrise, so viel war klar, ist ohne die Türkei nicht möglich. So wurden im Dezember auch die EU-Beitrittsverhandlungen wieder aufgenommen - und das Kapitel zu Wirtschafts- und Währungspolitik eröffnet.
Grabungsstopp als "Retourkutsche"
Heute sieht die Lage anders aus. Im Streit um die Visafreiheit für türkische Staatsbürger droht Ankara der EU immer wieder mit Konsequenzen. Sollte die Frage nicht "so schnell wie möglich" geklärt werden, werde die Türkei "Maßnahmen hinsichtlich der Rücknahme von Flüchtlingen" ergreifen, drohte Europaminister Ömer Celik nun erneut. Während die Beziehung zwischen EU und Türkei an den Entwicklungen nach dem Putschversuch leidet, hat jene zwischen Ankara und Wien den absoluten Tiefpunkt erreicht. Besonders erzürnt die türkische Regierung, dass Bundeskanzler Christian Kern und Außenminister Sebastian Kurz den Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen fordern.
Konstantin Bekos, der die vergangenen sieben Jahre als österreichischer Wirtschaftsdelegierter in Ankara verbracht hat, zeigt sich "persönlich betroffen" über diese Entwicklung. Man sei jetzt in der Phase, in der man "sich wehtun möchte", so Bekos. Jede weitere Eskalation würde beiden Ländern schaden. Die Wirtschaft und auch die Wissenschaft sind von dem Bruch der Beziehungen besonders betroffen. Deutlich wurde das zuletzt durch die Einstellung der österreichischen Ausgrabungen in der antiken Weltkulturerbestätte Ephesos nahe Izmir. Das Projekt ist eines der Flaggschiffe österreichischer Forschung im Ausland. "Je schlechter die Beziehungen, desto unsicherer die Grabungslizenzen, das ist normal", sagt Bekos. Für ihn ist der von Ankara auferlegte Grabungsstopp die "Retourkutsche".
Doch die Enttäuschung Ankaras über den Westen reicht weiter zurück. Europa habe nach dem Putschversuch Mitte Juli zu lange gewartet und nicht klar Stellung bezogen, sagt Bekos: "Die Türkei fühlt sich im Stich gelassen. Man hätte auf sie zugehen müssen." Ein positives Signal wäre etwa gewesen, politische Entscheidungsträger wie den Vizekanzler oder Außenminister nach Ankara zu schicken.
Nun kommt es nicht überraschend, dass Wirtschaftsvertreter vor allzu harscher Kritik an wichtigen Handelspartnern wie der Türkei warnen: Die EU ist mit einem Anteil von 44,5 Prozent am Gesamtexport der größte Handelspartner für die Türkei. Und Österreich steht bei den ausländischen Direktinvestitionen in der Türkei an dritter Stelle - nur die Niederlande und die USA investieren mehr. 2015 stiegen die heimischen Exporte ins Land am Bosporus um 16 Prozent auf mehr als 1,4 Milliarden Euro. Und auch die Importe erhöhten sich um 12,2 Prozent auf 1,44 Milliarden Euro.
Was bedeuten die Ausfälligkeiten zwischen Wien und Ankara - Bekos spricht von einem "Krieg der Worte" - nun für österreichische Firmen? Die Exporte heimischer Unternehmen in die Türkei sind bereits im ersten Quartal 2016, also noch vor dem Putsch, um fast 13 Prozent zurückgegangen, nun drohen noch schwierigere Zeiten. Insgesamt sind laut Bekos rund 140 heimische Unternehmen vor Ort vertreten, viele davon als Zulieferer für die Bauindustrie.
Dass die OMV, die mit Petrol Ofisi das größte Tankstellennetz der Türkei betreibt, diese Tochter nun abstoßen will, liege allerdings nicht an der politischen Situation, sondern an den fallenden Ölpreisen. Doch nicht nur der österreichische Erdölriese, auch heimische Energiefirmen sind in der Türkei vertreten. Vor allem der Bau von Wasserkraftwerken geschehe mit österreichischer Beteiligung. "Es geht für beide Seiten um viel", sagt Bekos. Ob beim Bau des dritten Istanbuler Flughafens, neuen Bahnnetzen oder dem Bosporustunnel Marmaray: "Da sind überall österreichische Firmen dabei." Heuer sind allerdings bereits mehrere heimische Unternehmen um öffentliche Großaufträge in der Türkei umgefallen.
Firmen, die in die Türkei expandieren wollen, rät der Wirtschaftsdelegierte, vorerst abzuwarten. Denn die "Säuberungen" in der Türkei nach dem Putschversuch beschränken sich nicht auf Richter, Militärs und Beamte, denen Ankara eine Nähe zur Gülen-Bewegung vorwirft. Auch mehr als 3000 Firmen wurden "unter Aufsicht" gestellt. Selbst die Boydak-Holding, eines der wichtigsten Unternehmen in der Türkei, geriet ins Visier der Fahnder.
Visa-Liberalisierung"eine Frage der Ehre"
Und wie sieht es mit den Drohungen Ankaras aus? Ist es realistisch, dass die Türkei den Flüchtlingsdeal mit der EU aufkündigt, sich also weigert, über die Ägäis nach Griechenland geflohene Menschen zurückzunehmen? Die EU-Perspektive sei der Türkei weiterhin wichtig, sagt Bekos, die Visa-Liberalisierung "eine Frage der Ehre". Nun gelte es, "kleine Schritte" aufeinander zuzumachen. Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen Österreichs und der Türkei reichen weit zurück, doch sie könnten nun in die Brüche gehen, warnt Bekos - zumindest "in einigen Bereichen".
Wenn die Türkei in sieben Jahren den 100. Jahrestag ihrer Gründung feiert, was für ein Land wird der Staat am Bosporus dann sein? Bekos wagt eine Prognose: "2023 wird die Türkei noch näher an Europa herangerückt sein."