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Krieg im Internet

Von Hans Pechar

Gastkommentare
Hans Pechar ist Leiter des Instituts für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung an der Universität Klagenfurt.
© © Foto: Foto Wilke

Wer die Schurken sind, ist im Ringen um Urheberrechte ziemlich klar. Aber: Wer sind die Guten?


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Noch vor wenigen Jahren erfüllten die Industrien, welche die materiellen Träger geistiger Inhalte sprachlicher, musikalischer oder visueller Art produzierten, eine unverzichtbare Funktion. Wie hätte man ein Buch lesen sollen, wäre es nicht von einem Verlag publiziert worden? Wie hätte man - außerhalb des Konzertsaals - ohne Schallplatten Musik hören können? Die revolutionären Fortschritte bei den digitalen Technologien haben aber bei diesen Wirtschaftszweigen zu radikalen Veränderungen geführt. Während Verlage im vordigitalen Zeitalter Produkte herstellten, deren Kosten sich mit steigender Auflage zwar verringerten, aber eine gewisse Schwelle nie unterschritten, können die digitalisierten Formen geistiger Arbeit ohne zusätzliche Kosten beliebig vervielfältigt werden. Auf die Herstellungskosten eines
E-Books oder einer mp3-Musikdatei hat es keinen Einfluss, ob sie hundert Mal oder eine Million Mal heruntergeladen werden. Zwar nutzen die meisten Menschen nach wie vor konventionelle Bücher und Tonträger, aber der Anteil der digital verbreiteten geistigen Inhalte steigt rasant.

An der geistigen Leistung zur Herstellung dieser Inhalte hat sich wenig geändert. Aber weil sich der "Content" in der digitalen Welt von seinem materiellen Träger zunehmend emanzipiert, ist das überkommene Geschäftsmodell der Kulturindustrien in eine tiefe Krise geraten. Diese Industrien werden immer weniger gebraucht, doch freiwillig wollen sie ihre gewinnträchtigen Reviere nicht aufgeben. In den USA haben ihre Lobbyisten derzeit zwei Gesetzesinitiativen eingebracht, die mit der Schrotflinte auf alles zielen, was sich im Internet bewegt. Schon der Verdacht der Onlinepiraterie soll genügen, um Internetseiten ohne richterlichen Beschluss zu sperren. Die User-Community und die Internetindustrie haben den Fehdehandschuh aufgegriffen. Auch das Weiße Haus unterstützt nicht länger den ursprünglichen Gesetzesentwurf, weil die Regierung das kreative Potenzial des Landes gefährdet sieht.

Wer in dieser Auseinandersetzung die Schurken sind, ist ziemlich klar. Aber wer sind die Guten? Sind es jene Piraten, die - weil dadurch die Verfügbarkeit kultureller Güter "künstlich" verknappt wird - jede Form digitaler Eigentumsrechte kompromisslos ablehnen? Aber welche Folgen hat das für die Urheber geistige Inhalte? Dass deren Interessen den alten Medien als Vorwand dienen, ändert nichts daran, dass sie real und legitim sind.

Die kommerziellem Giganten des Internets unterstützen nicht die Piraterie, sie wollen nur nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Natürlich verfolgen Google & Co. dabei ihre eigenen Geschäftsinteressen. Das ist solange kein Problem, als diese nicht ihrerseits mit dem kreativen Potenzial des Internets in Konflikt geraten. Die Widersprüche, die sich hier auftun, werden derzeit von der gemeinsamen Front gegen die Dinosaurier des Medienzeitalters überdeckt. Dass Letztere so wild um sich schlagen, ist vielleicht nur ein letztes Aufbäumen vor dem finalen Exitus. Das Internet wird aber auch nach deren Ableben eine Kampfzone bleiben.