Für eine Lösung in Syrien darf sich Europa nicht bloß auf die USA verlassen.
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Meinem Bauchgefühl nach wurde in keinem Krieg in unserem Millennium bisher so viel gelogen wie in Syrien. Wer denkt da nicht an das Wort von Winston Churchill: "Das erste Kriegsopfer ist die Wahrheit."
Vor einem halben Jahrzehnt war die Begeisterung unter Europas Demokraten groß, als in Nordafrika und in der Levante vor allem die Jungen ihre Machthaber und orientalischen Despoten stürzten. Der Arabische Frühling erweckte große Hoffnungen, inzwischen sind die Blütenträume verwelkt. Der scheinbare Befreiungskampf erwies sich bald als Religionskrieg und als Machtkampf der Regionalmächte und später der USA und Russlands, was unsere Meinungsmacher noch lange nicht wahrhaben wollten. Die Wut wurde auf Muammar al-Gaddafi und Baschar al-Assad fokussiert, und dabei wurde vergessen, dass Syrien laut Internationalem Währungsfonds zwar zu den korruptesten Staaten des Nahen Ostens gehörte, aber wenigstens herrschte dort 30 Jahre lang mehr oder weniger Friedhofsstille - was immer noch besser ist als ein Bürgerkrieg, und unsere Soldaten am Golan konnten dazu einen Beitrag leisten.
Seit fünf Jahren mischen sich alle Kriegsgurgeln in die Kämpfe ein und ringen um die Vorherrschaft in dem zerstörten Land. Die Vereinten Nationen versuchen sich mit Waffenstillständen an ein Bürgerkriegsende heran zu arbeiten, aber bisher sind diese alle gescheitert. Denken wir nur an den vergangenen Waffenstillstand in Aleppo, wo US-Flieger Truppen des Assad-Regimes bombardierten, sich nachher entschuldigten, aber mit Entschuldigungen lassen sich angegriffene Soldaten nicht abspeisen, und so erfolgte unmittelbar ein Gegenangriff, dann wurde um den nächsten Waffenstillstand verhandelt.
Vor einigen Tagen kam die Meldung, dass die USA erwägen, ihre "gemäßigten Aufständischen" mit Waffen und Munition aufzurüsten. Otto Habsburg-Lothringen äußerte einst: "Das größte Verbrechen, das eine Regierung begehen kann, ist einen verlorenen Krieg fortzusetzen." Und für die Saudis und ihre Unterstützer ist dieser Krieg offenkundig verloren, wahrscheinlich wird den USA nichts anderes übrigbleiben, als die Krot zu fressen und dem Assad-Regime zumindest einen Teil Syriens zu überlassen.
Kein Weltpolizist mehr
Den Weltpolizisten möchte man doch kennenlernen, der nach diesen Erfahrungen glaubt, mit einer Handvoll Aufständischen, noch dazu untereinander verfeindeten Banden, eine Regierung bilden zu können. Man betont unbeirrt, in Syrien könne es keine militärische Lösung geben, aber die diplomatischen Anstrengungen haben nicht einmal einen dauerhaften Waffenstillstand zustandegebracht. Und die Zeiten, als die USA einigermaßen erfolgreich den Weltpolizisten spielten, sind schon lange vorbei. Zumal die aktuellen Entwicklungen in den USA jede Hoffnung begraben, dass diese einigermaßen ruhigen Zeiten wiederkommen.
Schon vor einem Jahr hat die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik der Bundesregierung einen "Plan für Syrien" vorgeschlagen, der einen kreditfinanzierten Wiederaufbau und eine Rückführung von Flüchtlingen vorsieht. Bis heute hat die EU, die so einen Marshall-Plan für Syrien organisieren hätte sollen, wenigstens erkannt, dass in Afrika ein noch größeres Problem für die Stabilität in Europa schlummert. Was man im Nahen Osten versäumt hat, will man jetzt in Afrika gutmachen, aber man weiß nicht, wie. Russland ist in der Levante vor allem an militärischen Stützpunkten interessiert. Von den USA ist, egal wie der nächste Präsident heißt, kaum zu erwarten, dass sie es noch einmal riskieren wollen, in der nahöstlichen Bredouille steckenzubleiben.
Aus diesen Fakten muss man wohl auch den Schluss ziehen, dass die europäischen Staaten, vereinigt in der Europäischen Union, auf ihre eigene Kraft setzen müssen, um in ihrer näheren Umgebung erträgliche Zustände herbeizuführen. Politiker, die glauben, sie könnten die oben erwähnten Probleme, die auch ihr Land belasten, mit Rückgriff auf nationale Lösungen bewältigen, sind entweder realitätsblind oder, schlimmer noch, Schwindler.