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Kriegserklärung an die Kurden

Von Thomas Schmidinger

Gastkommentare

Mit dem Verbot der "Partei für eine demokratische Gesellschaft" (DTP) hat die alte militaristisch-kemalistische Elite der Türkei nicht nur die durchaus hoffnungsvollen Ansätze für eine friedliche Lösung des Konfliktes zerstört. Sie hat damit der kurdischen Bevölkerung des Landes einmal mehr den Krieg erklärt.


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Schon seit Monaten lief die offen rechtsextremistische MHP mit ihrer Jugendorganisation, den Grauen Wölfen, gegen die Bemühungen der AKP-Regierung um einen entspannteren Umgang mit der Kurden-Frage an. In ihrer nationalistischen Hetze versuchte die ehemalige Einheitspartei Mustafa Kemal Atatürks, die Republikanische Volkspartei (CHP), die offen faschistische MHP bisweilen jedoch sogar noch zu überholen.

Ausgerechnet die gemäßigten Islamisten von Recep Tayyip Erdogans AKP wurden zu Hoffnungsträgern für eine Demokratisierung der Türkei und ein Ende des Bürgerkrieges im Südosten.

Deutliche Signale für eine Friedenslösung kamen auch von kurdischer Seite. Unbewaffnete "Friedensbotschafter" wurden von der PKK aus den Bergen herabgeschickt, von den türkischen Behörden nach kurzer Festnahme wieder enthaftet und von der Bevölkerung begeistert empfangen.

Ich gehörte zu jenen, die optimistisch waren und es der AKP durchaus zutrauten, hier substanzielle Schritte zur Demokratisierung vorzunehmen. In Diyarbakir, Van, Dogubeyazit, Kars oder in der kurdischen Diaspora in Europa musste ich mir jedoch immer wieder anhören, naiv zu sein. Zwar schöpften auch in Türkisch-Kurdistan in den letzten Monaten viele vorsichtig Hoffnung. Niemand traute jedoch einem Staat, in dessen Sicherheitsapparaten immer noch der sogenannte "tiefe Staat" als unkontrollierte Parallelstruktur funktionierte und der nicht bereit war, der kurdischen Bevölkerung anders als repressiv entgegenzutreten. Zu frisch waren die Erinnerungen an vernichtete Dörfer, Todesschwadronen und die Folterkeller des Militärregimes der 1980er Jahre.

Mit dem Verbot der DTP haben die Skeptiker recht behalten. Wer eine friedliche Lösung des Konflikts anstreben würde, müsste eine Integration der kurdischen Nationalbewegung ins politische System der Türkei befürworten und irgendwann auch mit dem militärischen Arm dieser Bewegung - der PKK - Verhandlungen führen. Wer die Möglichkeiten des parlamentarischen Arms dieser Bewegung aber zerstört, auf Demonstranten - wie letzte Woche in Mus - tödliche Schüsse abfeuert und jeden legalen Protest unterdrückt, drängt eine weitere Generation junger Kurden in die Berge und in den bewaffneten Untergrund. Vielleicht ist es aber genau das, was die Militärs anstreben, denn ohne ihren Krieg im Osten verlieren sie auch ihren Einfluss im Staat.

Thomas Schmidinger ist Lektor am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien.