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Kriegsherr und Grenzgänger

Von Gerald Wolf

Wissen
Roman von Ungern-Sternberg (1886-1921), genannt der "blutige" oder auch der "verrückte Baron", vor seiner Hinrichtung am 15. September 1921.
© Sovfoto / Universal Images Group via Getty Images

Baron Roman von Ungern-Sternberg war einer der berüchtigtsten Warlords des Russischen Bürgerkrieges.


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"Ein kleiner Kopf auf breiten Schultern; blondes Haar in Unordnung; ein rötlicher, borstiger Schnurrbart; ein mageres, erschöpftes Gesicht, wie auf den alten byzantinischen Ikonen. Dann verblasste alles andere außer einer großen, hervorstehenden Stirn über stählernen, stechenden Augen. Diese Augen waren auf mich gerichtet, wie die eines aus einer Höhle blickenden Tieres."

Schilderungen wie diese aus dem 1923 erschienenen Buch "Tiere, Menschen und Götter" von Ferdynand Ossendowski haben Roman von Ungern-Sternbergs Image als des "verrückten" oder "blutigen Barons" wesentlich mitgeprägt. Zur Wahrheitsfindung trägt Ossendowski, der nur sehr bedingt glaubwürdig ist, wenig bei. Auch die Erinnerungen anderer Zeitgenossen und Mitstreiter umgeben den Baron mit einem undurchdringlichen Dickicht aus Halbwahrheiten, Irrtümern, Gerüchten, Übertreibungen und Widersprüchen. Primärquellen, die vom Baron selbst stammen, sind nur spärlich vorhanden, sodass viele Etappen seines Lebens im Dunkeln bleiben. Seine Pläne und Absichten lassen sich letztlich nur aus seinen Taten erschließen.

So ist der Baron bis heute eine ebenso rätselhafte wie faszinierende Gestalt geblieben. Letzteres bezeugt auch sein Einzug in die Popkultur. Bereits in den 1970er Jahren verewigte ihn der italienische Comiczeichner Hugo Pratt in seiner "Corto Maltese"-Reihe. Im französischen Comic-Zweiteiler "Le Baron fou" aus dem Jahr 2015 ist er ebenso eine Hauptfigur wie im 2002 erschienenen Videogame "Iron Storm", wo er das Vorbild für den Bösewicht ist.

Europa und Asien

Roman Nikolai Maximilian Fjodorowitsch von Ungern-Sternberg war ein Mensch zweier Welten: der des Westens und der des Ostens. Symbolisch stehen dafür seine beiden Geburtstage. Nach dem Gregorianischen Kalender wurde er am 10. Jänner 1886 geboren, nach dem in Russland bis 1917 geltenden Julianischen Kalender schon am 29. Dezember 1885. Sein Vater Theodor, ein Geologe, entstammte dem uralten deutschbaltischen Adelsgeschlecht der Ungern-Sternberg, seine Mutter Sophie dem deutschen Adelsgeschlecht der Wimpffen. Die berufliche Tätigkeit des Vaters und die familiären Bande der Mutter brachten es mit sich, dass Roman in der Leechgasse im damals noblen Grazer Geidorf-Viertel auf die Welt kam. Hier verbrachte er auch seine ersten Lebensjahre.

Nach der Trennung der Eltern und der zweiten Heirat seiner Mutter lebte der Bub auf dem Gut seines Stiefvaters im heute estnischen Flecken Järvakandi. Wie stark ihn diese Jahre in ländlicher Umgebung und seine privilegierte Stellung geprägt haben, kann nur gemutmaßt werden. Fest steht, dass Ungern zeitlebens Monarchist und Antisemit war.

Die zahlreichen Brüche, die für seinen Lebensweg charakteristisch sind, setzten sich in seiner Jugendzeit fort. 1902 nahm ihn seine Mutter wegen disziplinärer Probleme aus dem Gymnasium in Reval (heute Tallinn); und aus dem gleichen Grund musste er 1905 auch die Marineakademie in St. Petersburg wieder verlassen.

Als einfacher Freiwilliger trat Ungern in die russische Armee ein und kam während des Russisch-Japanischen Krieges erstmals nach Asien. Nach seiner Rückkehr schloss er 1908 die Ausbildung zum Offizier ab. Danach diente er in verschiedenen Kosakeneinheiten in den fernöstlichen Regionen Russlands. 1913 bereiste er die Mongolei und hielt sich in deren Hauptstadt Urga (heute Ulan-Bator) auf. In dieser Zeit lernte er das Land und seine Bewohner kennen, begeisterte sich für den Buddhismus und erlernte die mongolische Sprache.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges scheint für Ungern eine Art Erweckungserlebnis gewesen zu sein. Er kämpfte an allen Fronten und erwarb sich rasch den Ruf eines verwegenen Draufgängers. Fünfmal wurde er verwundet und erhielt das Georgskreuz, die höchste Tapferkeitsauszeichnung Russlands. Sein damaliger Vorgesetzter Pjotr Wrangel, später der letzte Anführer der gegen das Sowjetsystem kämpfenden Weißen auf der Krim, charakterisierte Ungern als jenen Typ von Mensch, der "unschätzbar in Kriegszeiten und unmöglich in Zeiten des Friedens" sei. Er bewunderte Ungerns "eiserne Konstitution", bemängelte aber, dass er sich nicht wie ein Offizier verhalte und die "Scheu eines Wilden" habe.

Terrorherrschaft

Grigorij Semjonow (1890-1946).
© Public domain / via Wikimedia Commons / Urheber unbekannt

Die 1917 beginnenden revolutionären Wirren brachten Ungern und seinen Weggefährten aus der Kriegszeit, Grigorij Semjonow, in den Fernen Osten zurück. Dort rekrutierten sie Kämpfer für die Weißen. Semjonow machte sich als Kosakenführer (Ataman) zum Herrscher über Transbaikalien (auch Daurien), die Region östlich des Baikalsees. Gleichzeitig etablierte sich Ungern militärisch im nahe dem Fluss Argun gelegenen Garnisonsort Daurija.

Hier, unweit der chinesischen Grenze, formierte sich seine berüchtigte "Asiatische Kavalleriebrigade", die aus Kosaken sowie Kämpfern verschiedenster mongolischer und anderer Ethnien bestand. Wie Ungern waren viele seiner Männer eine Art Strandgut des Welt- und des Bürgerkrieges; und wie fast alle Kampfverbände dieser Zeit hielten sie sich durch eine rücksichtslose Bürgerkriegsökonomie am Leben. Was man an Ressourcen brauchte, wurde der wehrlosen Bevölkerung abgenommen, Widerstand wurde mit brutaler Gewalt gebrochen.

Politisch diente Ungerns Brigade der Herrschaftssicherung seines Vorgesetzten Semjonow. Zwar unterstand dieser nominell dem obersten Herrscher Russlands, Admiral Alexander Koltschak, doch blieb das de facto bedeutungslos. Koltschak gelang es nie, geordnete Herrschaftsverhältnisse aufzubauen und die Exzesse der ihm unterstellten weißen Militärs zu unterbinden. In Sibirien blieben die Jahre von 1918 bis 1920 als Atamanschtschina in Erinnerung, (frei übersetzt) die "Zeit der bösen Taten der Atamane". Willkür und schrankenloser Terror bestimmten während dieser Schreckensperiode den Alltag der Menschen.

Dass sich Männer wie Semjonow an der Macht halten konnten, lag nicht zuletzt an der ab Sommer 1918 erfolgenden Intervention der alliierten Mächte in Sibirien. Die Briten, US-Amerikaner und Japaner folgten aber weder einem gemeinsamen Plan, noch stimmten sie ihr Tun aufeinander ab. Während sich die Westmächte von Koltschak politische Stabilität erhofften, um Russland wieder in den immer noch andauernden Weltkrieg gegen die Mittelmächte zurückzubringen, ging es den Japanern vorrangig um die Annexion von Gebieten aus der fernöstlichen territorialen Konkursmasse des Zarenreiches. Dabei war politische Instabilität vorteilhaft, weswegen sie Semjonow unterstützten, der sich so eine weitgehend unabhängige Machtposition aufbauen konnte.

Das bekannteste Bild von Ungern-Sternberg, aufgenommen Anfang September 1921.
© Sovfoto / Universal Images Group via Getty Images

Ungern soll während dieser Jahre durch Sauf- und Gewaltexzesse aufgefallen sein und Daurija in ein wahres Folter- und Hinrichtungszentrum verwandelt haben. Die vielen über ihn kursierenden Horrorgeschichten wurden natürlich auch mit propagandistischer Absicht verbreitet. Ihr Wahrheitsgehalt ist meist kaum zu ergründen. Fest steht jedoch, dass er mit Funktionären und Sympathisanten des Sowjetsystems kurzen Prozess machte. Aber außer ihm und Semjonow gab es noch eine Reihe anderer Warlords, die in Sibirien Angst und Schrecken verbreiteten.

Historiker stimmen darin überein, dass Ungern eine Vereinigung der Ethnien der Mongolei und angrenzender Gebiete unter dem Banner der wieder inthronisierten Mandschu-Dynastie vorschwebte. Danach sollte Russland vom Sowjetsystem "befreit" und die Dynastie Romanow wieder eingesetzt werden. Manche Autoren meinen sogar, er habe sich als neuen Dschingis Khan gesehen und dessen Reich wiederherstellen wollen; und die Mongolen hätten ihn als einen reinkarnierten Kriegsgott angesehen.

Sicher ist, dass Ungern bereits 1918 über Möglichkeiten nachdachte, seiner oben genannten Idee internationalen Rückhalt zu verschaffen. Eine davon schien kurioserweise die Schaffung einer Art von panasiatischem Frauenkomitee gewesen zu sein, um damit einen Kontakt zur internationalen Frauenrechtsbewegung herzustellen.

Nach dem endgültigen militärischen Scheitern der Weißen hatten auch die Japaner ihre Beziehungen zu den Sowjets normalisiert - und Semjonow die Unterstützung entzogen. Dessen Machtstellung war daraufhin in der zweiten Jahreshälfte 1920 zusammengebrochen. Ungern überschritt am 1. Oktober 1920 mit seiner rund 1.500 Mann starken Brigade die Grenze zur Mongolei, um quasi als ersten Schritt zur Realisierung seiner Idee Urga einzunehmen. Wer die Stadt besaß, kontrollierte die Warenströme, die hier durchliefen, und verfügte über die dort vorhandene militärische Infrastruktur.

Der Bogd Gegen auf einem Gemälde von Marzan Sharav (1869–1939).
© Public domain / via Wikimedia Commons / Marzan Sharav

Die Chinesen hatten mittlerweile die während der Revolution von 1911 ausgerufene Unabhängigkeit der Mongolei von China (aus chinesischer Sicht die "Äußere Mongolei") wieder beendet. Das Staatsoberhaupt, der Bogd Gegen, der höchste buddhistische Lama in der Mongolei, war entmachtet und Urga durch eine Garnison von rund 7.000 Mann gesichert worden.

Aufgrund der Stärke des Gegners scheiterten im Oktober und November 1920 Ungerns Versuche, die Stadt einzunehmen. Erst im dritten Anlauf gelang ihre Eroberung am 3. Februar 1921. Daraufhin folgte eine dreitägige Orgie des Mordens, Plünderns und Vergewaltigens, die in den Quellen detailreich geschildert wird. Dieser fielen primär jene zum Opfer, die Ungern als Feinde ansah: "Bolschewiken", "Kollaborateure" und fast alle in Urga ansässigen Juden, die zum Teil russische Bürgerkriegsflüchtlinge waren.

Mongolischer Khan

Nach dieser "Säuberung" bestand Ungerns erste politische Handlung in der Wiedereinsetzung des Bogd Gegen. Dieser revanchierte sich, indem er ihn in den Rang eines Khan erhob und ihm eine Reihe mongolischer Würden und Ehrentitel verlieh. Das stärkte Ungerns Position im Land und seitdem trug er bevorzugt einen orange-goldenen Kaftan mit den Epauletten der Zarenarmee und seinem Georgskreuz auf der Brust.

Ungern-Sternberg kurz vor der Hinrichtung.
© Public domain / via Wikimedia Commons / Urheber unbekannt

Im Sommer 1921 begann das Schlachtenglück Ungern zu verlassen. Die Rote Armee und ihre mongolischen Verbündeten marschierten im Juli 1921 in Urga ein, und im August wurde Ungern mit den ihm noch verbliebenen rund 30 Männern in der Steppe gefangengenommen. Im heutigen Nowosibirsk wurde ihm am 15. September vor einem sowjetischen Revolutionstribunal der Prozess gemacht. Das Todesurteil wurde noch am selben Tag vollstreckt.

In Russland wurde 1998 ein Antrag seiner Nachfahren auf eine Rehabilitierung Ungerns abgewiesen, in der Mongolei genießt er nach wie vor Anerkennung. Sicher ist aber, dass er den mongolischen Staat, der nach 1921 entstanden war, vehement abgelehnt hätte. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass durch sein Tun dort gerade jene Kräfte gestärkt wurden, die er zeitlebens bekämpft hatte. Die Mongolei war nach dem Bürgerkrieg das einzige Land, in das die Sowjets ihre Revolution erfolgreich "exportiert" hatten.

Gerald Wolf lebt und arbeitet als Historiker und Lehrer in Wien.