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"Kriegskabinett"

Von Ines Scholz

Politik

Mit Zugeständnissen an Bennetts ultrarechte Partei hat sich Netanjahu keine Freunde gemacht.


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Jerusalem/Wien. Benjamin Netanjahu ist es in sprichwörtlich letzter Minute gelungen, doch noch eine knappe Regierungsmehrheit in Israel zustande zu bringen. Zwei Stunden vor Fristablauf unterzeichnete der Likud-Chef mit der Partei Jüdisches Heim eine Koalitionsvereinbarung. Von den 120 Parlamentsmandaten stellt das neue Fünf-Parteien-Kabinett künftig 61.

Den vorerst gesicherten Machterhalt hat sich der israelische Ministerpräsident allerdings teuer erkauft. Sein künftiger Koalitionspartner Naftali Bennett von der ultrarechten Siedlerpartei Jüdisches Heim ließ sich die Rolle als Königsretter mit zahlreichen Schlüsselposten, inhaltlichen Zugeständnissen und Budgetzuckerln vergolden. Neben dem Erziehungsministerium, das der millionenschwere ehemalige Start-up-Unternehmer selbst übernehmen wird, wird die Rechtsaußen-Partei, obwohl sie nur acht Mandate mitbringt, künftig das Justiz- und Landwirtschaftsministerium leiten, einen der Vize-Verteidigungsminister stellen, für den Siedlungsbau in Palästina zuständig sein, zwei Sitze im Sicherheitskabinett erhalten und dem Justiz-Ausschusses in der Knesset vorstehen. Darüber hinaus rang Bennett Netanjahu das Versprechen ab, dass für das bereits zugesagte Zusatzbudget für Ultraorthodoxe der künftige Finanzminister von der religiösen Schas-Partei, Arje Deri, und nicht Bennetts Erziehungsministerium aufkommt, welches eigentlich zuständig wäre. Zudem setze sich Bennett mit seiner Forderung durch, die Budgets für religiöse Schulen, die Armee, den Ausbau der jüdischen Siedlungen im Westjordanland (für dessen Annexion er wirbt) sowie für die Zwangsumsiedelung zehntausender Beduinen in die Negew-Wüste zu erhöhen.

Mit seinem neuen Kabinett hat sich Netanjahu nicht nur in der Mitte-Links-Opposition und der Palästinensischen Autonomiebehörde Feinde gemacht - sie sprechen von einem Kniefall des Likud vor den radikal-religiösen Kräften in Israel und einem letzten Todesstoß für den Nahost-Friedensprozess.

Auch im Likud selbst machte sich am Donnerstag deutlicher Unmut breit. Viele enge Parteikollegen monieren, dass sich Netanjahu von Bennett regelrecht erpressen ließ - und fürchten nun um Ministerposten. Obwohl sich die größte Koalitionspartei bei der Wahl im März 30 Mandate gesichert hat, stellt sie künftig nur fünf Minister - darunter das Außenministerium, das Netanjahu vermutlich selbst übernimmt, und als weitere Schlüsselressorts das Verteidigungs- und das Ministerium für Öffentliche Sicherheit. Einflussreiche Likudgranden könnten leer ausgehen. Um eine Parteirevolte zu verhindern, will Netanjahu deshalb am Montag im Eilverfahren ein Gesetz durchboxen, das die Höchstzahl der Ministerien, die bisher auf 18 beschränkt war, erhöht.

Das verschlingt hunderte Millionen Schekel im Jahr, die anderswo fehlen - etwa bei Sozialausgaben oder im staatlichen Bildungssystem. Jair Lapid von der liberalen Jesch-Atid-Partei, hatte bereits zu einem ersten Protestmarsch gegen die Regierungspläne aufgerufen.

Isaac Herzog vom Mitte-Linksbündnis Zionistische Union schrieb am Donnerstag auf Facebook Netanyahus neuer, rechts-religiöser Regierung mit blick auf die knappe Mandatszahl eine kurze Regierungszeit voraus."Sie wird die vor uns liegenden gewaltigen Probleme nicht lösen können" und die Lebensqualität von Israelis und Palästinensern weiter verschlechtern. Sie werde sich nicht lange halten können. Netanjahu habe jedoch erneut bewiesen, dass ihm "sein politisches Überleben wichtiger ist als alles andere."

Auch die Palästinenserführung in Ramallah drückte ihre Besorgnis aus. Der Chefunterhändler im festgefahrenen Nahost-Friedensprozess, Saeb Erakat, sprach gar von einem "Kriegskabinett". Die neue Regierung unter Netanjahu werde die Besiedelung der Palästinensergebiete weiter beschleunigen. "Das ist eine Einheitsregierung für den Krieg und gegen Frieden und Stabilität in unserer Region".