China positioniert sich als Großmacht und macht sich Sorgen um die Umwelt.
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Peking. Diesmal war es nicht der Smog, der sich über dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking ausbreitete: Kurz vor 11 Uhr stieg in der Nähe des Porträts von Staatsgründer Mao Zedong vor der Verbotenen Stadt weißer Rauch auf. Es gibt zwar keine offizielle Bestätigung, doch laut mehreren Augenzeugen soll es einer etwa 40 Jahre alten Frau gelungen sein, sich selbst anzuzünden. Die Sicherheitskräfte haben für solche Fälle vorgesorgt; nicht zuletzt aufgrund mehrerer Selbstverbrennungen in der Vergangenheit sind am Tiananmen im Abstand von 50 Metern überall Feuerlöscher aufgestellt. Dementsprechend rasch wurde das Feuer gelöscht, die Frau soll angeblich lebend weggebracht worden sein. Sicherheitskräfte schirmten den vom Löschpulver noch weißen Bereich so gut wie möglich ab und schritten resolut gegen potenzielle Fotografen ein. Auch sonst hatten sie am Tag der Auftaktsitzung des Nationalen Volkskongresses einiges zu tun: Mehreren Aktivisten war es gelungen, Flugblätter auf den streng bewachten Platz zu schmuggeln, sie wurden jedoch umgehend in Gewahrsam genommen.
In der Großen Halle des Volkes war die Stimmung ungleich weniger aufregend, auch wenn sich Premierminister Li Keqiang sichtlich bemühte, etwas Spannung in seinen ersten Rechenschaftsbericht zu bringen: "Mühsam." "Komplex." "Schwierig." "Die Abwärtsspirale der Wirtschaft hat sich beschleunigt." "Die Naturkatastrophen häufen sich." Bei aller Dramatik bewies Li in seiner 108 Minuten dauernden Ansprache, dass aus ihm kein großer Redner mehr wird; mehrfach fielen ihm die 2932 Abgeordneten mit zögerlichem Applaus ins Wort, obwohl sie mit dem Ablauf derartiger Reden bestens vertraut sein sollten: Auf Hiobsbotschaften und Warnungen folgt eine Aufzählung meist wirtschaftlicher Errungenschaften, und das war diesmal nicht anders. Li bezifferte das Bruttoinlandsprodukt Chinas 2013 mit 56,9 Billionen Yuan, umgerechnet 6,7 Billionen Euro. Das entspreche einem Zuwachs von 7,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für das laufende Jahr belässt die Regierung das anvisierte Wachstum bei niedrigen 7,5 Prozent, was allgemein erwartet worden war.
Geld für High-Tech-Waffen
Erst gegen Ende seines Berichts wich Li Keqiang vom vertrauten Schema ab und kam mit blumigen Worten auf die letzte von neun "großen Aufgaben für 2014" zu sprechen: die Umweltverschmutzung. Offen beklagte der Premier den anhaltenden Smog in weiten Teilen des Landes und andere Belastungen als "großes Problem": "Es ist die rote Ampel der Natur, die vor einer ineffizienten und blinden Entwicklung warnt." Inwiefern die Warnungen fruchten, wird sich zeigen, denn schon im letzten Jahr war den Beamten im Falle einer andauernden Luftbelastung die Rute ins Fenster gestellt worden, was diese jedoch nicht aus ihrer Komfortzone zu bringen vermochte. Nun sollen 50.000 kleinere Kohleöfen geschlossen und größere Kraftwerke technisch auf den neuesten Stand gebracht werden, um der Umweltverschmutzung "den Krieg zu erklären", wie es Li ausdrückte.
Es war nicht das einzige Mal, dass das formal größte Parlament der Welt an diesem Tag mit dem Wort "Krieg" konfrontiert wurde. So nahm das per Verfassung höchste Staatsorgan Chinas die Erhöhung des Wehretats um 12,2 Prozent auf umgerechnet 95 Milliarden Euro wohlwollend zur Kenntnis. Somit freut sich die Volksbefreiungsarmee, deren Budget laut Experten in Wahrheit sogar bei 146 Milliarden Euro liegen dürfte, über den Haushaltsposten mit der größten Steigerungsrate und den weltweit zweitgrößten Militärhaushalt nach den USA mit 383,4 Milliarden Dollar im Jahr 2014. Das zusätzliche Geld soll vor allem in die Küsten- und Luftabwehr sowie in die Entwicklung von hochtechnologischen Waffen investiert werden.
Vor dem Hintergrund der Spannungen mit den pazifischen Nachbarn und den USA sind die Steigerungsraten selbst in dieser Höhe wenig überraschend. Es ist eher die Rhetorik, mit der Li Keqiang aufhorchen ließ. Wörtlich sagte er, man müsse die "Vorbereitungen auf den Kriegsfall" sowie die militärische Einsatzfähigkeit "unter allen Szenarien und auf allen Gebieten" verbessern. Er schloss mit einer Anspielung auf Japan, mit dem sich China unter anderem um eine unbewohnte Felsengruppe in der Ostchinesischen See streitet: "Wir werden niemandem erlauben, den Kurs der Geschichte umzudrehen."
Lauter war der Beifall an diesem Tag bei keinem anderen Thema, auch wenn sich der Premier beim Umbau der Wirtschaft zu mehr Binnennachfrage, zu hochwertiger Produktion und Innovation sichtlich wohler fühlte. Insbesondere seinem Steckenpferd Urbanisierung widmete er einen längeren Abschnitt seiner Rede, die Problembereiche wie Korruption und den Konfliktherd Xinjiang weitgehend aussparte - auf das Messerattentat von Kunming mit 29 Toten gingen die Abgeordneten nur mit einer Schweigeminute zu Beginn der Sitzung ein. Zu diesem Zeitpunkt stieg draußen am Tiananmen bereits der weiße Rauch auf.