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Kriegstrommeln tönen leiser - ein Erfolg für Ban Ki-moon

Von Michael Schmölzer

Politik

Analyse: Die Strategie des Abwartens birgt Risiko für US-Präsident Obama.


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Washington/London. Der Westen drosselt das Tempo und will mit einem Angriff auf Syrien noch zuwarten. Zunächst sollen die Erkenntnisse der UN-Sonderermittler geprüft werden, die die mutmaßliche Verwendung von Giftgas untersuchen. In London will sich das Parlament die Sache näher ansehen. Die Abgeordneten verlangen "harte Beweise" für die Schuld Bashar al-Assads und wollen den Bericht der UN-Inspektoren abwarten. Bei massivem Widerstand in der UNO werde er den Militärschlag überdenken, sagt Premier David Cameron.

Auch Frankreichs Präsident François Hollande, der zuletzt noch martialische Töne angeschlagen hat, klingt jetzt um einiges friedfertiger. Es müsse alles getan werden, um eine politische Lösung zu erreichen.

US-Präsident Barack Obama will zwar, dass Assad "einen Schuss vor den Bug" erhält. Der Angriff werde aber maßgeschneidert und begrenzt sein. Eine Entscheidung hat er nicht getroffen. Der US-Präsident kann laut Verfassung allein über einen Militärschlag entscheiden.

Dass die Kriegstrommeln nun leiser erklingen, ist als klarer Erfolg von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zu werten. Der Südkoreaner war am Donnerstag in Wien, um einen hohen Orden entgegenzunehmen. Nachdem die Musiker im Sitzungssaal des Wiener Rathauses den Geigenbogen zur Seite gelegt hatten, betonte der von Journalisten umringte UN-Generalsekretär erneut, dass es in Syrien eine diplomatische Lösung geben müsse. Er habe US-Präsident Barack Obama klargemacht, dass die UN-Inspektoren ihre Arbeit zu Ende bringen müssten. Ban, so scheint es, hat sich durchgesetzt.

Zuletzt hatte es so ausgesehen, als wäre die westliche Kriegskoalition auf die Untersuchungsergebnisse der UN-Inspektoren nicht mehr angewiesen. Das hat sich geändert. Vom US-Geheimdienst in Syrien abgehörte Telefongespräche reichen nicht mehr als Beweis. Das syrische Verteidigungsministerium soll in "panischen Gesprächen" Erklärungen vom Chef der Chemiewaffeneinheit verlangt haben - keine "smoking gun". Damit liegt der Ball bei den UN-Inspektoren, die an verschiedenen Schauplätzen Proben ziehen und Zeugen befragen. Sollten die Experten feststellen, dass Zweifel an der Täterschaft des Assad-Regimes bestehe, wäre die "Bestrafungsaktion" des Westens schwer argumentierbar.

Angst vor Rache

Eines muss Obama freilich bedenken, wenn er nicht sofort in Syrien eingreift. Je mehr Zeit bis zu einem Militärschlag vergeht, desto klarer treten die nachteiligen Auswirkungen zutage, die ein solcher Einsatz hätte. Der Iran, einer der engen Verbündeten Assads, hat bereits gedroht, dass ein Angriff der USA "die unmittelbare Zerstörung Israels bedeuten" würde. Syrien würde "zum zweiten Vietnam für die Vereinigten Staaten". Das kann als bloße Propaganda abgetan werden. Möglich ist aber, dass der Iran und Syrien Cyberangriffe gegen US-Ziele starten. Zuletzt wurde die Internetseite der "New York Times" von syrischen Hackern lahmgelegt. Deutsche Medien berichten unter Berufung auf Sicherheitskreise von einer anderen Gefahr: Bei einem Militärschlag gegen Assad könnten viele in Syrien kämpfende Islamisten aus europäischen Ländern in ihre Heimatländer zurückkehren und dort Anschläge auf amerikanische, britische und französische Einrichtungen verüben. Aus Deutschland seien 120 Islamisten in Syrien, heißt es in der "Rheinischen Post". Die Behörden wären sich der Gefahr bewusst, heißt es hier. Dazu kommt, dass ein Schlag gegen Syrien in den USA, aber auch in Frankreich und Deutschland bei der Bevölkerung nicht sonderlich populär sind.

Dass Barack Obama und seine Verbündeten nach der Kriegsrhetorik der vergangen Tage einen Rückzieher machen, ist indes schwer vorstellbar. Das wäre eine Blamage vor allem für den US-Präsidenten, der sich den Vorwurf gefallen lassen müsste, er sei ein Zauderer.