Justiz- und Innenministerium haben Gremium zur Kontrolle der Vorgänge vor dem Attentat in Wien eingesetzt. Binnen vier Wochen soll es einen Bericht geben.
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Jetzt steht es fest: Ingeborg Zerbes, Strafrechtlerin und Kriminologin an der Universität Wien, wird den Vorsitz jener unabhängigen Untersuchungskommission leiten, die die Vorkommnisse und Fehler im Vorfeld des Terroranschlags in der Wiener City prüfen und mögliche Konsequenzen ausarbeiten soll. Damit kommt eine Expertin zum Zug, die zuvor jahrelang in Deutschland tätig war. Schon binnen vier Wochen soll die Kommission Bericht erstatten, lautet die Vorgabe von Innen- und Justizministerium.
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) haben sich damit auf eine Frau verständigt, mit der die Unabhängigkeit der Untersuchungskommission betont werden soll. Zerbes war in der Vergangenheit kritisch zum Bereich der Justiz tätig. Fünf Mitglieder gehören der Kommission an.
Zerbes, die vor ihrem Wechsel nach Wien fast ein Jahrzehnt an der Uni in Bremen tätig war, stellte diesen Aspekt ebenfalls in den Mittelpunkt ihrer ersten schriftlich übermittelten Stellungnahmne: "In der Kommission geht es allein um eine vorbehaltlose, von politischen Einstellungen unabhängige und möglichst genaue Aufklärung. Die Gruppe ist so zusammengesetzt, dass jedes einzelne Mitglied diese Unabhängigkeit garantieren kann."
Im Ministerrat beschlossen
Eingesetzt wird die Untersuchungskommission formal heute per Umlaufbeschluss durch den Ministerrat. Gewünscht ist eine Prozessanalyse der sicherheitsbehördlichen, justiziellen und nachrichtendienstlichen Reaktionen in- und ausländischer Behörden im Zusammenhang mit dem Anschlag. Auch das Wirken der Bewährungshilfe sowie des zur Deradikalisierung des späteren Attentäters beauftragten Vereins soll erörtert werden.
Nach dem Terroranschlag ist bekannt geworden, dass Attentäter F., ein Sympathisant des Islamischen Staats (IS), bereits im Juli versucht hat, in der Slowakei Munition zu kaufen, wie der slowakische Geheimdienst nach Wien dem Verfassungsschutz berichtet hat. Aus deutschen Geheimdienstkreisen wurden die Wiener Behörden informiert, dass es im Sommer auch Treffen des bei der Tat am 2. November erschossenen Attentäters mit Islamisten aus Deutschland und der Schweiz in Wien gegeben hat. Dennoch ist die Überwachung durch die Verfassungsschützer in Wien offenkundig eingestellt worden.
Innenminister bei BTV-Reform unter Druck
Der Innenminister ist wegen der offensichtlichen Ermittlungspannen des Verfassungsschutzes im Vorfeld des Anschlags unter Druck geraten. Forderungen nach einer Reform des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) wurden seither deutlich lauter.
In einer schriftlichen Stellungnahme betonte Nehammer am Mittwoch: "Die Untersuchungskommission wird alle Vorgänge im Bezug auf das Attentat genauestens prüfen und transparent aufklären. Es ist keine politische, sondern eine rein fachliche Kommission mit renommierten Experten. Ich bin froh, dass wir mit Ingeborg Zerbes eine anerkannte Universitätsprofessorin als Vorsitzende gewinnen konnten. Mit dem Münchner Polizeipräsidenten a.D. ist auch internationale Erfahrung und Expertise gegeben."
Zadic erwartet Schlüsse für Anti-Terror-Paket
Justizministerin Zadic assistierte: "In erster Linie geht es um Aufklärung. Die Terrortat von Wien wird jetzt detailliert untersucht und aufgearbeitet. Nur so können wir die richtigen Schlussfolgerungen ziehen." Auch Zadic zeigte sich froh über Zerbes als Vorsitzende und das Gremium: "Die Kommission ist mit exzellenten Persönlichkeiten besetzt - fünf ExpertInnen - unter ihnen Professor Franz Merli, ein erfahrener Verfassungs- und Verwaltungsjurist. Die Arbeit der Kommission wird zum umfassenden Maßnahmenpaket zur Abwehr von Terrorismus und Extremismus beitragen." Erst am Mittwoch ist ein Anti-Terror-Paket, das sich gegen Radikal-Islamisten, aber auch weitere Extremisten richtet, von der Bundesregierung angekündigt worden.
Vier Wochen ab Aufnahme ihrer Tätigkeit soll die fünfköpfige Kommission einen ersten Bericht samt einer chronologischen Darstellung der Ereignisse Justiz- und Innenminister vorlegen.
Opposition kritisiert Regierungsnominierungen
Die Opposition zweifelt an der Unabhängigkeit der Untersuchungskommission, die mögliche Missstände im Vorfeld des Wiener Terroranschlags untersuchen soll. Die Regierung wolle Innenminister Nehammer einen "Persilschein" im Eilverfahren ausstellen, kritisierte am Donnerstag etwa die SPÖ. Die FPÖ sah den Bock zum Gärtner gemacht, die Neos befürchteten die Vertuschung von Fehlern.
"Wir sind wirklich skeptisch, ob eine Kommission unabhängig ist, wenn der, dessen politische Verantwortung untersucht werden soll, diese selbst einsetzt", meinte SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried in einer Aussendung. Das Parlament sei wie befürchtet nicht einmal ansatzweise eingebunden: "Kein einziger Experte, keine einzige Expertin konnte von der Opposition nominiert werden."
FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer übte Kritik an der personellen Zusammensetzung. Insbesondere die Bestellung des ehemaligen Generaldirektors für öffentliche Sicherheit, Herbert Anderl, sei ein deutliches Zeichen dafür, dass Nehammer weiter auf Vertuschung setze. "Anderl ist ein Mann des später wegen Korruption verurteilten Ex-Innenministers Strasser und war tief in dessen schwarzes Umfärbenetzwerk verstrickt. Nehammer macht den Bock zum Gärtner", kritisierte Amesbauer.
"Diese Untersuchungskommission kann keine unabhängige Aufklärung des Terroranschlags in Wien und der Fehler und Versäumnisse im Vorfeld bringen", erklärte auch Neos-Verteidigungssprecher Douglas Hoyos: "Bei allem Respekt vor Dr. Zerbes - aber eine Kommission, die von der Regierung eingesetzt wird, als Mitglieder zum Teil ehemalige höchstrangige Beamte mit klarer Parteizugehörigkeit hat und nur den zu untersuchenden Ministerien Bericht erstatten soll, kann nicht unabhängig sein." (ett)