Schwierige Ausgangslage für die kommenden Europawahlen.
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Wien. Politik ist ein schnelllebiges Geschäft. Die Wahlen sind abgehakt, die Trauer respektive Jubelarbeit erledigt. Also: Schwamm drüber und weiter, schließlich gilt es jetzt für SPÖ und ÖVP, eine neue Regierung zu bilden; und - wenn schon nicht die Wahlen gewonnen wurden, so doch zumindest nun die Regierungsverhandlungen zu gewinnen.
Fritz Plasser und Franz Sommer geht das alles zu schnell. Die beiden Koryphäen der heimischen Wahlforschung (die für die Hochrechnung der Arge Wahlen am Wahltag verantwortlich waren) haben am Dienstag in Eigenregie das Rad der Zeit noch einmal um gut eine Woche zurückgedreht, indem sie das Wahlergebnis von aller Schönrederei befreit und die diesem zugrunde liegenden Trends offengelegt haben.
Das für die beiden Regierungsparteien ernüchternde Resultat in Kurzform:
Die Wählerschaft ist mehrheitlich parteiungebunden. Mit Kampagnen, die sich darauf beschränken, die eigenen Kernwähler zu mobilisieren, lassen sich daher keine Wahlen mehr gewinnen.
In Österreich existieren zwei generationenspezifische Parteien- und Wettbewerbssysteme. Während SPÖ und ÖVP noch immer bei den Älteren dominieren, sprechen sie bei den Jüngeren nur noch eine Minderheit an.
Die EU-Skepsis ist in den letzten Jahren alarmierend angestiegen. Dahinter steckt nicht zuletzt ein eklatantes Kommunikationsversagen der pro-europäischen Eliten des Landes.
"Österreich ist eine Boulevard-Demokratie", so Plasser, in dem Sinne als die überwiegende Mehrheit der Wähler von SPÖ, FPÖ und BZÖ regelmäßig zu Medien dieses Typs ("Kronen Zeitung", "Österreich", "Heute") greift.
Die Neuordnung der politischen Kräfteverhältnisse ist längst noch nicht zum Abschluss gekommen. Vor allem die Ränder des parlamentarischen Spektrums sind hochgradig fragil und instabil. Als Beispiele können die aktuellen Entwicklungen beim Team Stronach und dem BZÖ herangezogen werden.
EU-Stimmungverdüstert sich
Vor allem die EU-Skepsis vieler Österreicher verdient einen genaueren zweiten Blick, finden Plasser und Sommer. Zumal am 25. Mai 2014 die Wahlen zum Europäischen Parlament stattfinden. Nimmt man die derzeitige Stimmung in der Bevölkerung als Ausgangslage, haben SPÖ und ÖVP bei diesem Urnengang nichts Gutes zu erwarten.
Laut den Ergebnissen einer Vorwahlbefragung eine Woche vor der Nationalratswahl halten sich Befürworter und Kritiker der EU in Österreich mittlerweile mit 45 zu 46 Prozent die Waage. Interessant dabei ist, dass Frauen und Ältere deutlich EU-skeptischer eingestellt sind als Männer und Jüngere.
Noch stärker ausgeprägt ist die Skepsis gegenüber dem Euro, hier sind diejenigen, die von den Nachteilen überzeugt sind, mit 42 zu 51 Prozent deutlich in der Überzahl, wiederum mit einem deutlichen Ausschlag bei Frauen und Älteren. Eine noch stärkere Mehrheit von 48 Prozent sind zudem der Überzeugung, es wäre besser gewesen, von der Pleite bedrohte Banken nicht mit Steuergeldern zu retten; für die Bankenrettung plädieren lediglich 38 Prozent. Vollends ins Negative kippt das Stimmungsbild der Österreicher bei den Rettungspaketen für Griechenland, Portugal und Spanien mit 62 Prozent, die eher gegen die Finanzhilfen sind, und 35 Prozent dafür.
Es hat den Anschein, als ob die Auswirkungen der Finanzkrise die Zahl der EU-Befürworter massiv dezimiert. Dass FPÖ-Wähler, Stronach-Wähler sowie Pensionisten und Arbeiter bei den Euro-Kritikern dominieren, überrascht dagegen weniger. Eindeutig am stärksten Pro-EU positionieren sich die Wähler der Grünen.
Ist der Grad an Ablehnung gegenüber den wichtigsten EU-Entscheidungen der letzten Jahre - Euro, Bankenrettung sowie Hilfspakete für Krisenstaaten - schon für sich genommen, eine bittere Pille für die beiden Koalitionsparteien, muss sie das Ausmaß der Sehnsucht nach einer grundlegenden Erneuerung des politischen Systems Österreichs geradezu erschüttern.
Rot-Schwarz schlimmerals Griechen-Hilfe?
Nur noch 31 Prozent der Wahlberechtigten sprechen sich (Stand einer Woche vor der Nationalratswahl) für die Fortsetzung der großen Koalition aus, 61 Prozent plädieren für einen Regierungswechsel. Zugespitzt ließe sich formulieren: Steuergeld für Griechenland ist populärer als die Neuauflage von Rot-Schwarz. Selbst bei Anhängern von SPÖ und ÖVP optieren rund 40 Prozent für einen Regierungswechsel.
Diese Daten, so Plasser, seien zwar keine definitive Ablehnung einer künftigen Regierungspartnerschaft von SPÖ und ÖVP, aber spiegeln die Frustration mit dem Zustand der vergangenen Jahre wider. Der Politikwissenschaft interpretiert diese vor dem Hintergrund der anlaufenden Sondierungen und Verhandlungen vielmehr als ausdrückliche Warnung vor einem "more-of-the-same".